
Zeitenwende „Whatever it takes“, Teil 2
7. März 2025Wir freuen uns sehr, dass Friedrich Merz und seine Kolleginnen und Kollegen von der Union zu unseren Lesern zählen. Letzte Woche hatten wir in unserem wöchentlichen Newsletter „Konjunktur & Strategie“ die deutsche Politik aufgefordert, es Mario Draghi gleichzutun.
Denn Deutschland braucht dringend einen „Whatever it takes“-Moment und mutige Entscheidungen, wie sie der damalige EZB-Präsident im Juli 2012 getroffen hat.
„Whatever it takes“ Teil 1
Mit dem OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) konkretisierte die Notenbank damals ihre Bereitschaft, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen. Allein die Ankündigung dieses Programms hat damals den Euro und die Märkte stabilisiert.
Wie der wirtschaftliche Turnaround gelingen soll
Nicht einmal eine Woche nach unserem Appell hat Herr Merz im Beisein der SPD-Spitze drei Meilensteine der zukünftigen Fiskalpolitik verkündet, die das Ende des bisherigen politischen Credos „Wir machen keine Schulden“ bedeuten könnten.
Die Vorschläge im Einzelnen:
- Verteidigungsausgaben von mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (43 Milliarden Euro) sollen künftig nicht mehr unter die Schuldenbremse fallen. Ähnlich wie beim OMT, das den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen vorsah (und übrigens nie aktiviert wurde), gibt es damit keine feste Obergrenze für künftige Verteidigungsausgaben mehr. Um das Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Landesverteidigung zu erreichen, wären also rund 50 Milliarden Euro Mehrausgaben pro Jahr nötig, bei drei Prozent der Wirtschaftsleistung ungefähr 100 Milliarden Euro pro Jahr.
- Für dringend notwendige Investitionen in die Verkehrs-, Energie- und digitale Infrastruktur wird ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro mit einer Laufzeit von zehn Jahren geschaffen. Diese Investitionen könnten die marode Infrastruktur Deutschlands modernisieren und die Wettbewerbsfähigkeit stärken.
- Für die Bundesländer, die bisher wegen der Schuldenbremse keine neuen Schulden machen durften, soll der Spielraum auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden.

Noch ist nichts entschieden
Noch sind das alles Planungen, noch ist nichts entschieden. Aber alle diese Überlegungen sind aus unserer Sicht richtig und wichtig, um die anhaltende wirtschaftliche Lethargie zu überwinden. Dennoch gibt es – wie immer in Deutschland – auch viel Kritik an den Plänen. Denn für viele Menschen in Deutschland gehören solide Staatsfinanzen und wirtschaftliche Stabilität untrennbar zusammen. Aber die innere und äußere Sicherheit der Haushaltsdisziplin unterzuordnen, ergibt keinen Sinn.
Schließlich kann man sich auch zu Tode sparen.
Eine niedrige Verschuldung ist kein Selbstzweck, wenn es darum geht, ein sicheres, modernes und lebenswertes Land zu sein. Um die Ankündigungen umsetzen zu können, ist eine 2/3 Mehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig. Im „alten“ Bundestag sind mindestens 490 von 735 Stimmen erforderlich.
Union und SPD haben zusammen 403 Stimmen, die fehlenden 87 müssten dann von den Grünen (118 Abgeordnete), der FDP (91) oder den Linken (39) kommen.
Die AfD (83 Sitze) wird höchstwahrscheinlich nicht zustimmen. Im „neuen“ Bundestag haben AfD und Linke zusammen eine Sperrminorität, eine Verabschiedung dieser Pläne ist daher im „alten“ Bundestag leichter durchzusetzen, weshalb bereits nächste Woche darüber abgestimmt werden könnte.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen sind zu erwarten?
Nimmt man vereinfachend an, dass in den nächsten 10 Jahren jährlich 50 Mrd. Euro zusätzlich für Infrastruktur und 50 Mrd. Euro zusätzlich für Verteidigung ausgegeben werden, so entspricht dies gut zwei Prozent des nominalen BIP. Der positive Wachstumsimpuls des Regierungsprogramms wäre also beachtlich, selbst wenn man davon ausgehen muss, dass der tatsächliche Wachstumseffekt geringer ausfallen wird, da das Geld auch für zusätzliche Importe (z.B. US-Waffensysteme) verwendet wird. Das deutsche Geschäftsmodell, das bisher auf der Fähigkeit beruhte, hochwertige Güter ins Ausland zu exportieren, und das durch die Handelspolitik Donald Trumps und die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit Chinas zunehmend unter Druck geraten ist, könnte somit auf ein neues Fundament gestellt werden und in Zukunft von einer stärkeren Binnennachfrage profitieren.
Höhere Schulden bedeuten aber auch höhere Zinsen.
Würde Deutschland in den nächsten zehn Jahren jährlich 200 Milliarden Euro mehr Schulden aufnehmen, stiege die Staatsverschuldung von derzeit 2,7 Billionen Euro auf 4,7 Billionen Euro. Die Schuldenstandsquote könnte bei einer konservativen Wachstumsprognose von nominal drei Prozent pro Jahr in den nächsten zehn Jahren von derzeit gut 60 auf rund 80 Prozent steigen. Bei einem positiveren Wachstumsszenario von nominal vier Prozent pro Jahr steigt die Schuldenquote dagegen nur auf 74 Prozent. Damit läge sie aber immer noch unter dem bisherigen Höchststand von 80 Prozent im Jahr 2010, sodass wir insgesamt von einem moderaten Zinsanstieg ausgehen.
Was prognostizieren wir?
Unsere Prognose, dass die Rendite für 10-jährige Bundesanleihen aufgrund weiterer Zinssenkungen der EZB, einer schwachen Konjunktur in der Eurozone und einer sich in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels bewegenden Inflationsrate bis Jahresende auf unter zwei Prozent zurückgehen wird, können wir aber nicht mehr aufrechterhalten. Zwar dürfte der Druck auf die Anleihekurse zunächst hoch bleiben, bis zum Jahresende rechnen wir aber mit einer deutlichen Beruhigung am Rentenmarkt und einer Rendite von dann 2,4 Prozent.

Denn eines ist auch klar:
Beschlüsse über Sondervermögen und höhere Verteidigungsausgaben sind leichter zu fassen als umzusetzen – selbst wenn sie wie angekündigt verabschiedet werden.
Trotz eines leichten Anstiegs der Arbeitslosigkeit dürfte es für deutsche Unternehmen schwierig werden, neues Personal zu finden.
In der Baubranche haben viele Menschen einen Migrationshintergrund, vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen, die eine starke Einschränkung der Zuwanderung erwarten lassen, wird es besonders schwierig werden, neues Personal zu finden. Und dann ist da noch die Bürokratie, die die Vergabe von Aufträgen zäh wie Kaugummi machen könnte. Wer schnelle realwirtschaftliche Effekte des Maßnahmenpakets erwartet, könnte enttäuscht werden.
Unser Fazit
Diese Vorschläge markieren einen möglichen Paradigmenwechsel in der deutschen Wirtschaftspolitik. Nach Jahren der Sparpolitik und des Festhaltens an der “schwarzen Null” könnte ein investitionsorientierter Ansatz die deutsche Wirtschaft revitalisieren. Die Kombination aus Verteidigungsausgaben und Infrastrukturinvestitionen könnte der richtige Mix sein, um Deutschland aus der wirtschaftlichen Stagnation zu führen. Deutschland braucht diesen “Whatever it takes”-Moment – die Pläne liegen auf dem Tisch, jetzt ist politischer Mut zur Umsetzung gefragt!
Foto von Unsplash von Armand Khoury

Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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