Ausblick 2020 (I): Die Weltwirtschaft wächst im Schneckentempo

Die globalen Handelsaktivitäten schwächeln. Der Welthandel lag im Spätsommer dieses Jahres unter seinem Vorjahresniveau. Die vor einem Jahr von uns prognostizierte globale Konjunkturabkühlung ist eingetreten. Die Lage im verarbeitenden Gewerbe hat sich aber seit dem Sommer etwas verbessert – dank der besseren Stimmung der Unternehmen in den USA und China. Wie es um die globalen Dienstleistungsunternehmen und weiteren globalen Frühindikatoren, den OECD Leading Indicators, bestellt ist und ob wir aktuell auf eine bevorstehende Erholung der Weltwirtschaft schließen können, Chefvolkswirt Carsten Klude gibt Ihnen den Überblick.

Die vor einem Jahr von uns prognostizierte globale Konjunkturabkühlung ist eingetreten, wobei die Abschwächung sogar stärker als erwartet ausgefallen ist. Wuchs die Weltwirtschaft 2018 noch mit einer Rate von 3,6 Prozent, so wird vom Internationalen Währungsfonds für dieses Jahr nur noch ein Zuwachs von 3,0 Prozent prognostiziert. Sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern zeigen sich deutlich Bremsspuren.

Insbesondere die Abschwächung der globalen Handelsaktivitäten macht sich für viele Volkswirtschaften negativ bemerkbar. Der Welthandel lag im Spätsommer dieses Jahres unter seinem Vorjahresniveau; das war zuletzt in der schweren Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 der Fall. Ohnehin geht die wirtschaftliche Abschwächung in vielen Ländern mittlerweile über das hinaus, was beispielsweise während der Schwächephase von Ende 2015 bis Anfang 2016 oder davor in den ebenfalls schwachen Wirtschaftsjahren 2012 und 2013 zu beobachten war. Während es damals vorwiegend die Industrieländer waren, auf die die globale Konjunkturabschwächung zurückzuführen war, sind es diesmal vor allem die Schwellenländer, deren Wachstum nachgelassen hat.

Der Handelsstreit zwischen den USA und China zeigt Wirkung

Mit Blick auf die wichtigsten globalen Frühindikatoren kann derzeit noch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine konjunkturelle Trendwende zum Besseren unmittelbar bevorsteht. Allerdings hat sich die Tonlage zwischen den Streithähnen in Washington und Peking seit Mitte Oktober entspannt. Dies spiegelt sich zum Teil schon in den Stimmungsindikatoren wider, die sich zuletzt auf niedrigem Niveau stabilisiert haben. So ist es wahrscheinlich, dass sich beide Länder auf ein „Phase-1-Abkommen“ verständigen, das zumindest weitere Zollerhöhungen verhindert. Ob es dagegen im ersten Schritt, wie vor allem von China gewünscht, zu einer vollständigen Rücknahme der schon eingeführten Zölle kommt, ist zweifelhaft. Sollte China zu sehr auf dieser Forderung beharren, droht sogar eine erneute Zuspitzung im Zollkrieg. Doch dies ist nicht unser Basisszenario.

Der Brexit braucht Übereinkünfte

Auch beim zweiten wichtigen politischen Thema, dem Brexit, das Verbraucher und Unternehmen verunsichert und damit das Wachstum bremst, gab es jüngst positivere Signale. So wird in Großbritannien am 12. Dezember ein neues Parlament gewählt, das den von Boris Johnson mit der EU ausgehandelten Scheidungsvertrag spätestens zum 31. Januar 2020 beschließen dürfte. Ein ungeregelter Austritt wäre damit erstmal vom Tisch, weil es bis Ende des kommenden Jahres eine Übergangszeit geben wird, in der das Vereinigte Königreich und die EU ihre zukünftigen Handelsbeziehungen neu ordnen können. Ohne eine Übereinkunft könnte es dann aber immer noch zu einem harten Brexit kommen.

Frühindikatoren EMI und OECD – hat das Chaos ein Ende?

Der globale Einkaufsmanagerindex zeigt, dass sich die Lage im verarbeitenden Gewerbe, das die Hauptlast der globalen Handelsabschwächung trägt, seit dem Sommer etwas verbessert hat. Mit 49,8 Punkten liegt der von IHS Markit ermittelte Einkaufsmanagerindex nur noch geringfügig unterhalb der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Dies ist vor allem auf die bessere Stimmung der Unternehmen in den USA und China zurückzuführen, wobei die „konkurrierenden“ Indizes aus beiden Ländern, in den USA der ISM-Index und in China der von staatlicher Seite berechnete NBS-PMI-Index, schwächere Werte zeigen. Allerdings liegen nur noch 35 Prozent aller von uns beobachteten PMI-Indizes aus dem verarbeitenden Gewerbe über der Marke von 50 Punkten.

Dies ist der geringste Wert seit dem Jahr 2009.

Die Stimmung der globalen Dienstleistungsunternehmen, die sich lange Zeit von der Schwäche der Industrie abkoppeln konnten, hat sich in den vergangenen Monaten ebenfalls merklich abgekühlt und liegt mit 51,0 Punkten nur noch knapp über der Grenze, die das Wachstum von einem Schrumpfen trennt. Noch liegen aber gut 80 Prozent der Länderindizes im Wachstumsbereich.

Auch die zweite wichtige Gruppe globaler Frühindikatoren, die OECD Leading Indicators, lässt noch nicht auf eine bevorstehende Erholung der Weltwirtschaft schließen. Zwar hat sich die Abwärtsbewegung der OECD-Frühindikatoren verlangsamt, sie ist aber noch nicht zum Stillstand gekommen. Von den knapp 50 Länder- und Regionalindikatoren wiesen im letzten Quartal weniger als zehn eine Verbesserung gegenüber dem Vormonat auf. Gleichzeitig liegt der Index nur bei fünf Ländern über dem Wert von 100 Punkten, der dem langfristigen Trendwachstum entspricht.


Ausblick 2020 (II): Konjunkturelle Erholung in den Industrieländern – bislang mehr Hoffnung als Realität

Der Handelsstreit zwischen den USA und China belastet den Welthandel und wirkt sich vor allem auf exportabhängige Volkswirtschaften negativ aus. Sollten sich die Fronten nicht weiter verhärten, könnte sich der wirtschaftliche Ausblick in den meisten Industrieländern 2020 leicht verbessern. Doch noch beruht eine solche Einschätzung mehr auf Hoffnungen als auf Fakten.


Naht eine globale Rezession?

Dies spricht dafür, dass es zu keiner schnellen Erholung der Weltwirtschaft kommt, sondern dass sich die Phase eines vor sich hin dümpelnden Wachstums zunächst fortsetzen wird. Aufgrund des US-Präsidentschafts-wahlkampfes gehen wir aber davon aus, dass sich die USA und China in den nächsten Monaten auf eine teilweise Beilegung ihres Handelsstreits verständigen werden. Würden die bestehenden Zölle eingefroren werden, könnte es im Laufe des nächsten Jahres zu einer moderaten Erholung der Weltwirtschaft kommen. In unserem Basisszenario rechnen wir mit einem globalen Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent, also einem etwas höheren Wert im Vergleich zu diesem Jahr.

Sollten die Zölle hingegen komplett abgeschafft werden, könnte das Wachstum um bis zu einem halben Prozentpunkt besser ausfallen.

Umgekehrt würde es bei einer erneuten Eskalation und damit einem ausgewachsenen Handelskrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Erde wohl unausweichlich zu einer globalen Rezession kommen.

In unserem Basisszenario profitieren die Länder am stärksten, die in diesem Jahr besonders unter der Verlangsamung des Welthandels gelitten haben: vor allem Schwellenländer und einige Industrieländer, bei denen ein besonders hoher Anteil ihrer Wertschöpfung auf den Außenhandel und die Industrie entfällt. Bei den Schwellenländern dürfte sich das Wachstum beispielsweise in Singapur, Malaysia, Thailand und Südkorea erholen. Besonderes Gewicht für die Weltwirtschaft und damit für das globale Wachstum haben aber vor allem die vier großen BRIC-Länder. Neben China auf Platz zwei der globalen Rangliste der nach Wirtschaftsleistung größten Länder, sind dies Indien auf Platz fünf, Brasilien auf Rang neun und Russland auf elf. Nimmt man es genau, gehören Italien und Kanada mittlerweile nicht mehr zu den G7-Ländern, und auch Frankreich und Großbritannien werden wohl in den nächsten Jahren von Brasilien, Russland und Südkorea überholt werden.

Ein kurzer Ausblick in die Wirtschaftswelt von…

…China

In China hält der konjunkturelle Abwärtstrend an. Ein rückläufiges Wachstum der Industrieproduktion, der Einzelhandelsumsätze und der Investitionen dürften dazu führen, dass das BIP-Wachstum im vierten Quartal 2019 unter die Marke von sechs Prozent fällt. Die expansivere Geld- und Fiskalpolitik zeigen bislang wenig Wirkung, sodass weitere konjunkturstützende Maßnahmen von der Regierung in Peking ergriffen werden dürften. Dies sollte die Wirtschaft im Laufe des nächsten Jahres stabilisieren, sodass eine Wachstumsrate von 5,6 Prozent erreicht werden sollte. Der Preis zusätzlicher expansiver wirtschaftspolitischer Programme sind noch höhere Überkapazitäten in vielen Industriebereichen und eine weiter steigende Verschuldung der Unternehmen.

China könnte somit in absehbarer Zeit Auslöser einer neuen globalen Finanzkrise werden.

Ein weiteres Risiko stellen die politischen Unruhen in Hongkong dar. Sollte China militärisch intervenieren, würde dies ein Handelsabkommen mit den USA gefährden und vermutlich weitere Sanktionen nach sich ziehen. Dies würde die Wachstumsaussichten im Reich der Mitte weiter schwächen.

…Indien

In Indien ist es in diesem Jahr zu einer massiven Konjunkturabschwächung gekommen. Die offizielle Wachstumsprognose von 6,1 Prozent ist immer noch zu optimistisch, mehr als 5,5 Prozent dürften es kaum werden. Damit fällt Indien das erste Mal seit vielen Jahren wieder hinter China zurück. Gründe hierfür sind ein geringes Wachstum in der Landwirtschaft, die Krise der Automobilindustrie und ein schwächelnder Bankensektor. Obwohl die Notenbank den Leitzins seit Jahresbeginn von 6,5 auf 5,15 Prozent gesenkt hat, schauen die meisten indischen Unternehmen sehr pessimistisch in die Zukunft. Allerdings sollte die geldpolitische Lockerung, verbunden mit der kräftigen Senkung der Unternehmenssteuern von 30 auf 22 Prozent dazu führen, dass sich das Wachstum schrittweise erholt.

Mit rund sechs Prozent könnte das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr dann wieder höher ausfallen als in diesem – und höher als in China.

Langfristig profitiert die indische Wirtschaft von ihrer jungen und weiter wachsenden Bevölkerung, sodass der private Verbrauch seine derzeitige Schwächephase bald überwinden sollte.

… Brasilien und Russland

Auch in Brasilien und in Russland hat sich die wirtschaftliche Dynamik in diesem Jahr abgeschwächt. Wie von uns befürchtet, haben sich die letztjährigen Prognosen des IWF somit als zu optimistisch erwiesen. Für 2020 geht der Währungsfonds erneut davon aus, dass sich die Wirtschaft in beiden Ländern erholen wird. Zwar halten wir das Ausmaß der erwarteten Wachstumsbeschleunigung (in Brasilien von 0,9 auf 2,0 Prozent und in Russland von 1,1 auf 1,9 Prozent) für zu ambitioniert, eine Verbesserung der Zuwachsraten gegenüber diesem Jahr halten wir aber für wahrscheinlich. Wie in anderen Ländern haben auch die brasilianische und die russische Zentralbank in den vergangenen Monaten die Zinsen deutlich gesenkt. In Brasilien wurde der Leitzins um 150 Basispunkte auf 5 Prozent und in Russland um 125 Basispunkte auf 6,5 Prozent gesenkt.

Da die Inflationsrate in beiden Ländern sinkt, sind weitere geldpolitische Lockerungen wahrscheinlich. Zudem nimmt die Fiskalpolitik eine expansivere Rolle ein.

Dies ist vor allem in Russland der Fall, wo die Regierung zahlreiche neue Projekte auf den Gebieten Infrastruktur, Gesundheit und Bildung auf den Weg gebracht hat. In beiden Ländern hat sich die Stimmung unter den Unternehmen jüngst wieder verbessert, vor allem Firmen aus dem Dienstleistungssektor schauen zuversichtlicher nach vorne. Dass die Bäume aus ökonomischer Sicht aber nicht in den Himmel wachsen, ist darauf zurückzuführen, dass die für die Exporte wichtigen Rohstoffpreise niedrig bleiben.

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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