Russisch Roulette: Was der Ukraine-Russland-Konflikt für die Aktienmärkte bedeutet
22. Februar 2022Die Aktienmärkte haben das Jahr 2022 mit einem klassischen Fehlstart begonnen. Technologiewerte, die in den vergangenen Jahren die Börsenrallye angeführt haben, weisen dabei die höchsten Verluste auf. Es gibt verschiedene Gründe, die zu dieser Entwicklung beitragen.
1. Weltweit hohe Inflationsraten
Die weltweit hohen Inflationsraten haben zu einer Neubewertung der zukünftigen Geldpolitik geführt. Es wird erwartet, dass die US-Notenbank im März beginnt, die Zinsen zu erhöhen. Bis Jahresende wird mittlerweile von fünf Zinserhöhungen ausgegangen, weitere Schritte dürften 2023 folgen.
Zudem wird im zweiten Halbjahr damit begonnen, die Bilanzsumme zu reduzieren („quantitative tightening“). Fed-Präsident Powell hat hierzu auf der jüngsten Pressekonferenz sehr deutliche Hinweise gegeben. So war auffällig, wie oft Powell auf die Gefahr einer sich überheizenden Wirtschaft hinwies,
- in der sich die Omikron-Variante auf dem Rückzug befindet,
- Knappheiten bei Material, Rohstoffen und Vorprodukten bestehen bleiben,
- zu wenige Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt zurückkehren und
- die Löhne stärker steigen als die Produktivität.
All das sind Hinweise darauf, dass die Fed das Potenzial für eine dauerhaft erhöhte Inflation mittlerweile kritischer einschätzt als noch vor einigen Monaten. Aus unserer Sicht ist diese Sorge durchaus gerechtfertigt. Zudem hat die Fed deutlich gemacht, wie sie vorgehen wird, um die aufgeblähte Notenbankbilanz in geordneten Bahnen wieder auf ein Normalmaß zu reduzieren.
Hier wurde davon gesprochen, dass der Abbau der Fed-Bilanz in einem „signifikanten“ Umfang erfolgen wird, in dem fällige Wertpapiere auslaufen und nicht mehr reinvestiert werden. Andere Notenbanken werden dem Vorbild der Federal Reserve folgen und ebenfalls die Zinsen erhöhen, wobei die EZB bisher betont, in diesem Jahr an ihrer Geldpolitik festhalten zu wollen. Dennoch bedeutet dies, dass der geldpolitische Rückenwind, von dem die Kapitalmärkte in den letzten drei Jahre profitiert haben, abnehmen wird.
2. Die Omikron-Welle spielt an den Kapitalmärkten keine große Rolle
Einzig die Null-Covid-Strategie in einigen asiatischen Ländern, vor allem in China, bleibt ein Risikofaktor, da dort weitere Lockdowns möglich sind, die negative Auswirkungen auf die Produktion und Lieferketten haben könnten. Dies würde eine Normalisierung der Inflation verzögern und könnte dementsprechend weitere Zinserhöhungen der Notenbanken erfordern.
3. Anstieg der Zinsen
Seit Jahresbeginn sind die Zinsen an den internationalen Kapitalmärkten aufgrund von Inflationssorgen und der zu erwartenden Reaktion der Geldpolitik angestiegen. Vor allem sogenannten Growth-Aktien, zu denen vor allem Technologiewerte gehören, reagieren sehr sensibel auf Zinsveränderungen, da der Barwert zukünftiger Gewinne oder Cash-Flows bei steigenden Zinsen sinkt und Unternehmen damit weniger an der Börse wert sind.
4. Neu hinzu gekommen ist die Kriegsangst
Die zunehmenden politischen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine bzw. Russland und der NATO erhöhen die Unsicherheiten und vermindern den Risikoappetit der Anleger. Russland soll mittlerweile rund 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen haben. Um das einmal in Relation zu setzen: Das US-Verteidigungsministerium hat angekündigt, 8.500 amerikanische Soldaten in die Region zu verlegen, falls Russland die Ukraine angreift. Und die Bundeswehr könnte selbst im Ernstfall ad hoc kaum mehr als 50.000 Soldaten mobilisieren. Zudem darf nicht unterschätzt werden, wie zielstrebig die russische Armee auch technologisch aufgerüstet hat.
Die jetzt an der Grenze zur Ukraine zusammengezogenen Einheiten haben nichts mehr mit den Truppen aus späten Zeiten der Sowjetunion gemein und weisen eine sehr hohe Kampfkraft auf. Hintergrund der jüngsten Truppenbewegungen sind Bestrebungen, den russischen Einfluss in der Ostukraine zu vergrößern, um damit eine mögliche wirtschaftliche und vor allem militärische Anbindung der Ukraine an den Westen zu verhindern.
Vor allem geht es Moskau darum, den Beitritt der Ukraine zur NATO zu unterbinden. Gleichzeitig hat man als autokratisches System wenig Interesse daran, dass in unmittelbarer Nachbarschaft ein zunehmend westlich orientiertes Gesellschaftssystem entsteht, dass Russland im Systemwettbewerb zunehmend unattraktiv aussehen lässt.
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Ukraine-Russland-Konflikt – Politische und wirtschaftliche Konsequenzen eines Krieges
Allerdings ist es höchst unsicher, ob Russland tatsächlich eine (Teil-)Invasion der Ukraine wirklich in Erwägung zieht. Denn die damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Risiken sind äußerst hoch. So ist im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung mit scharfen Sanktionen der USA zu rechnen. Dazu dürften
- ein Halbleiter-Embargo gehören,
- Zugangsbeschränkungen russischer Banken zum internationalen Zahlungsverkehr (SWIFT),
- Beschränkungen im Güterverkehr,
- ein Handelsverbot russischer Staatsanleihen für internationale Banken und Anleger sowie
- generelle Zugangsbeschränkungen zum US-Dollar als wichtigster internationaler Leitwährung.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die europäischen Staaten dieses Mal den Sanktionen unmittelbar anschließen werden, wenn auch möglicherweise etwas halbherzig. Dies liegt daran, dass die meisten europäischen Länder über engere Handelsbeziehungen zu Russland verfügen als es in den USA der Fall ist. Vor allem für die deutsche Wirtschaft steht viel auf dem Spiel.
Zwar gehört Russland mit einem Anteil von rund zwei Prozent an den gesamten Ausfuhren nicht zu den wichtigsten Handelspartnern, anders sieht es jedoch bei den Lieferungen von russischem Öl und Gas aus. Wenn man bedenkt, dass Deutschland zu mehr als 50 Prozent sein Gas aus Russland bezieht, gerade drei sehr große Kernkraftwerke abgestellt wurden und die Gasspeicher nur noch zu 40 Prozent gefüllt sind, zeigt sich, dass nicht nur Russland etwas zu verlieren hat.
Ein möglicher starker Anstieg der Öl- und Gaspreise durch auftretende Versorgungsengpässe ist kurzfristig nicht zu kompensieren, auch wenn zusätzliche Lieferungen aus Norwegen, Qatar und den USA das Schlimmste verhindern könnten. Europa würde aber versuchen, sich möglichst schnell unabhängig von russischen Energielieferungen zu machen, wodurch Russland zukünftig sogar als Energielieferant komplett überflüssig werden könnte. Dies wiederum hätte verheerende Auswirkungen auf die russische Wirtschaft.
Käme es zum Krieg, würden somit beide Seiten nur verlieren können. Diese Überlegungen sollten sowohl für Russland als auch für den Westen genügend Anreize bieten, um die Situation zu deeskalieren, so dass ein ernsthafter kriegerischer Konflikt vermieden werden kann. Ein Restrisiko bleibt aber zweifellos bestehen.
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Donnerstag, der 10. Februar 2022, 09:00 Uhr
Aktienmarkt: Fallen die Kurse weiter?
An der Börse haben all diese Aspekte zu einem Stimmungswechsel geführt – die Mehrzahl der Marktteilnehmer ist mittlerweile „bearish“, erwartet also weiter fallende Kurse. Die Anlegerstimmung ist jedoch häufig ein Kontraindikator und ein Indiz dafür, dass mittlerweile viele negative Nachrichten in den Kursen enthalten sind. Ob dies zu einer schnellen Trendwende führen wird, ist dennoch nicht vorhersehbar.
Vor allem die zukünftige Geldpolitik gilt es als Anleger im Blick zu behalten, denn in der Vergangenheit war es häufig so, dass die Aktienkurse im Vorfeld der ersten Zinserhöhung nachgegeben haben, um sich danach wieder zu erholen.
Insofern könnte es noch bis Mitte März an den Märkten turbulent zugehen.
Trotz des schwachen Jahresauftakts, der auch zu einer deutlichen Eintrübung der Markttechnik geführt hat, gehen wir davon aus, dass sich die Aktienkurse wieder erholen werden. Solange es nicht zu einer gravierenden wirtschaftlichen Abschwächung kommt, sollten die sich verbessernden Unternehmensgewinne und die zuletzt wieder gesunkenen Bewertungen zu neuen Mittelzuflüssen in den Aktienmarkt führen.
So zeigt die derzeitig laufende Berichtssaison für das vierte Quartal 2021, dass die Mehrzahl der Unternehmen die Gewinn- und Umsatzerwartungen erneut übertreffen konnte: 81 bzw. 76 Prozent im S&P 500, 82 bzw. 76 Prozent im Dow Jones 30 und 100 bzw. 86 Prozent im Nasdaq 100 (Quelle: Factset). Damit haben gerade die derzeit bei Anlegern unbeliebten und unter Abgabedruck stehenden Technologieunternehmen im Schlussquartal 2021 wieder einmal außergewöhnlich gute Ergebnisse erzielt. Dies macht Hoffnung für die nächsten Monate.
Beitrag vom 28. Januar 2022
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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