Türkei-Währungskrise: Damoklesschwert für andere Schwellenländer?

Seit Anfang August steht die türkische Lira unter immensem Druck: In der Spitze verlor die Währung seit Beginn des Monats etwa 30 Prozent gegenüber dem Euro. Gleichzeitig rauschen auch die Kurse türkischer Aktien und Anleihen in den Keller. Was bedeutet die türkische Währungskrise für die globale Wirtschaft und lohnen sich Investitionen in türkische Anlageformen noch? Börsenexperte und Chefvolkswirt Carsten Klude gibt uns seine Einschätzung.

Auswirkungen die Türkeikrise auf die globale Wirtschaft

Seit Anfang August steht die türkische Lira unter immensem Druck: In der Spitze verlor die Währung seit Beginn des Monats etwa 30 Prozent gegenüber dem US-Dollar bzw. dem Euro. Im Vergleich zum Jahresbeginn hat die Lira gegenüber dem Greenback mittlerweile sogar fast 40 Prozent verloren. Zeitgleich mit dem Verfall der Währung rauschten auch die Kurse türkischer Aktien und Anleihen in den Keller. So ist die Rendite einer türkischen Staatsanleihe mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren von 11,4 auf zuletzt 20,6 Prozent angestiegen; dies entspricht einem Kursverlust von mehr als 25 Prozent – in Lira gerechnet. Eine ähnliche Entwicklung verzeichnen türkische Aktien. Der Index der 100 größten an der Istanbuler Börse notierten Unternehmen weist seit Jahresbeginn ein Minus von gut 20 Prozent auf. Für den Euro-Anleger summiert sich der Verlust somit auf rund 50 Prozent.

Türkische Lira, Aktien und Anleihen verlieren stark an Wert

Diese Entwicklung ist zum einen auf wirtschaftliche, zum anderen aber auch auf politische Gründe zurückzuführen. So weist die Türkei seit vielen Jahren ein im Vergleich zu anderen Ländern sehr hohes Leistungsbilanzdefizit auf. Die Staatsverschuldung ist mit knapp 30 Prozent der Wirtschaftsleistung gering, doch insbesondere die türkischen Unternehmen sind aufgrund eines von der Regierung Erdogan angefachten Kreditbooms hoch verschuldet.

Aber auch Privathaushalte haben die tiefen Zinsen in den vergangenen Jahren genutzt, um mehr und mehr Kredite aufzunehmen. Dies relativiert die beeindruckenden Wachstumsraten der türkischen Wirtschaft, die in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt um knapp sechs Prozent gewachsen ist. Diese hohen Wachstumsraten wurden zu einem Großteil von ausländischen Investoren finanziert, die sich zwar lange Zeit über auskömmliche Renditen freuen durften, nun aber die Nachhaltigkeit ihres Engagements in Frage stellen, weil sie feststellen, dass das Land Jahr für Jahr über seine Verhältnisse gelebt hat und ein Aufschwung auf Pump finanziert worden ist.

Wirtschaftskrise in der Türkei: verschärft durch politische Entwicklungen

Verschärft wird die wirtschaftliche Krise durch die politischen Entwicklungen in der Türkei. Nach dem Referendum im vergangenen Jahr und der Parlamentswahl im Juni 2018 regiert Staatspräsident Erdogan das Land wie ein Autokrat. Staatliche Eingriffe in die türkische Wirtschaft nehmen zu, gleichzeitig wird die Unabhängigkeit der türkischen Notenbank in Frage gestellt. Diese müsste angesichts einer Inflationsrate von fast 16 Prozent die Zinsen deutlich erhöhen, um sie wieder in Richtung der Zielmarke von fünf Prozent zu bewegen. Da Erdogan aber öffentlich erklärte, dass er gegen hohe Zinsen sei, verzichtete die Notenbank Ende Juli auf eine vom Kapitalmarkt erwartete Zinserhöhung. Damit wurde die Talfahrt der türkischen Lira eingeläutet. Verschärft wurde der wirtschaftliche Druck durch die zunehmenden politischen Spannungen mit den USA. Nach der Festnahme eines US-Pastors in der Türkei hat US-Präsident Trump Wirtschaftssanktionen beschlossen, die die wirtschaftliche Verfassung der Türkei weiter schwächen.

Jasperneite im Video: USA & Türkei: Der Vergleich. Macht Trump alles richtig, macht Erdogan alles falsch?

Ursachen Währungskrisen: Hohe Inflationsraten, politische Unsicherheiten & mehr

Hohe Inflationsraten, ein negativer Leistungsbilanzsaldo, eine zunehmende Fremdwährungsverschuldung, sinkende Devisenreserven und politische Unsicherheiten sind allesamt Kriterien, die auch in der Vergangenheit Währungskrisen ausgelöst haben. Vor allem der hohe Anteil an Fremdwährungsschulden macht das Land verwundbar: Mit der Abwertung der Lira wird es immer schwieriger, die Schulden zurückzuzahlen. Außerdem stehen dem notwenigen Fremdwährungsbedarf sukzessive sinkende Devisenreserven gegenüber. Dies kann zu einem Teufelskreis führen, in dem Unternehmen ihre Dollar- oder Euroschulden nicht mehr bezahlen können und entweder zahlungsunfähig werden oder zumindest ihre Investitionen reduzieren. Beides wirkt sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus, worauf noch mehr Investoren ihr Geld aus der Türkei abziehen und die Lira umso mehr abwertet.

Aktionsplan: Der Weg aus der Währungskrise

Welche Möglichkeiten hat die Türkei, um die Lira zu stabilisieren und das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen? Höhere Zinsen und eine sparsamere Haushaltspolitik wären der naheliegende Weg, beides lässt sich im Moment aber noch nicht erkennen. Stattdessen hat die türkische Notenbank in dieser Woche einen Aktionsplan zum Schutz von türkische Banken und Unternehmen verkündet. Außerdem stellt die Notenbank zusätzliche Liquidität für den Finanzmarkt bereit, indem die Mindestreserveanforderungen für die türkische Lira und für Währungstransaktionen gesenkt werden. Zusätzlich sollen durch erhöhte Anforderungen an Devisen-swaps Spekulationen gegen die Lira eingeschränkt werden. Zwar konnte mit diesen Maßnahmen der Liraverfall vorerst gestoppt werden, jedoch werden mit diesen Maßnahmen nur die Symptome, nicht aber die Krankheit selbst behandelt. Ein Ausweg aus der Krise ist im Moment noch nicht erkennbar.

Sucht Erdogan Hilfe beim der Internationalen Währungsfonds?

In der Vergangenheit haben Schwellenländer in ähnlichen Situationen häufig Hilfe beim Internationalen Währungsfonds beantragt. IWF-Kredite sind jedoch immer an harte Auflagen gebunden, die das Vertrauen privater Kapitalgeber zurückbringen sollen. Ob sich Erdogan aber für einen Hilfsantrag entscheidet, ist derzeit fraglich. Zudem sind die USA der größte Kapitalgeber des IWF, was in der derzeit angespannten politischen Lage zwischen den beiden Ländern wohl dazu führen würde, dass die Vereinigten Staaten bei der Beantragung von Hilfen durch die Türkei ihr Veto einlegen würden. Ein Rettungsanker für die Türkei wäre somit erst dann in Sicht, wenn es zu einer politischen Kehrtwende der Regierung Erdogan käme. Solange dies nicht der Fall ist, dürfte die Krise kaum zu lösen sein. Selbst wenn der Worst-Case eines Zahlungsausfalls nicht eintritt, ist zumindest eine spürbare Wachstumsverlangsamung, wenn nicht sogar eine Rezession der türkischen Wirtschaft wahrscheinlich.

Leistungsbilanzdefizite: Vergleich zu anderen Schwellenländern

Wirft man einen Blick auf die zehn größten Schwellenländer (China, Indien, Brasilien, Russland, Mexiko, Indonesien, Türkei, Saudi Arabien, Argentinien, Polen) dann hat nur Argentinien ein ähnlich hohes Leistungsbilanzdefizit wie die Türkei (4,8 vs. 5,5 Prozent). Demgegenüber haben beispielsweise China, Russland, Saudi Arabien und Polen sogar einen Überschuss in der Leistungsbilanz, während die Defizite der anderen Länder nicht mehr als maximal zwei Prozent betragen.

Im Vergleich zu 1997 sind die Leistungsbilanzdefizite in fast allen Ländern und Regionen gesunken. So weisen die gesamten Schwellenländer heute eine fast ausgeglichene Leistungsbilanz auf, während es im Vorfeld der Krise von 1997/98 zum Teil erhebliche Ungleichgewichte gab. Auch die Währungsreserven der meisten großen Schwellenländer sind im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung bzw. Auslandsverschuldung deutlich angestiegen – mit Ausnahme der Türkei.

Besonders komfortabel sieht die Situation in Russland, Brasilien, Indien und Mexiko aus, aber auch in Argentinien und Polen sind die Reserven heute höher als im Jahr 1997. Dies impliziert eine bessere Krisenfestigkeit, was auch vor dem Hintergrund der Aufwertung des US-Dollar und der gestiegenen US-Zinsen wichtig ist. Es ist von daher unwahrscheinlich, dass durch die Krise in der Türkei ein Flächenbrand bei anderen Schwellenländern ausgelöst wird.

Auswirkungen der Türkeikrise auf die globale Wirtschaft

Auch wenn wir also davon ausgehen, dass es nicht zu einer neuen Schwellenländerkrise kommt, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Türkeikrise auf die globale Wirtschaft sowie auf den Finanzsektor hat. Hier kann weitgehend Entwarnung gegeben werden: Im vergangenen Jahr war die Türkei mit einer Wirtschaftsleistung von 826 Milliarden US-Dollar die siebzehngrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem Anteil von rund einem Prozent an der globalen Wertschöpfung. Der Einfluss der Türkei ist also vergleichsweise marginal.

Geht man davon aus, dass es in der Türkei 2019 zu einer Rezession in ähnlichem Ausmaß wie im Jahr 2001 oder 2009 käme (damals ging das reale Bruttoinlandsprodukt um fünf bis sechs Prozent zurück) und nicht, wie bislang vom IWF unterstellt, zu einem Wachstum von vier Prozent, würde das globale Bruttoinlandsprodukt um 0,1 Prozentpunkte niedriger ausfallen. Statt mit 3,9 würde die Weltwirtschaft 2019 um 3,8 Prozent wachsen, vorausgesetzt, dass es nicht zu negativen Ansteckungseffekten für andere Volkswirtschaften kommt.

Türkeikrise: Auch in Deutschland spürbar?

Für Deutschland gehört die Türkei mit einem Anteil von weniger als zwei Prozent an den Exporten nicht zu den wichtigsten Handelspartnern. Im vergangenen Jahr betrugen die deutschen Exporte in die Türkei gut 21 Milliarden Euro, die Importe beliefen sich auf 16 Milliarden Euro. Der Handelsbilanzüberschuss von 5 Milliarden Euro entspricht rund 0,15 Prozent des deutschen BIPs.

Mehr als 50 Prozent der deutschen Türkei-Exporte entfielen dabei 2017 auf nur drei Sektoren. Der mit Abstand wichtigste Exportartikel in die Türkei sind

  • deutsche Autos (4,7 Mrd. Euro bzw. 22 Prozent aller Türkei-Exporte), gefolgt von
  • Maschinen (4,6 Mrd. Euro bzw. 22 Prozent) und
  • elektrotechnischen Erzeugnissen (2,2 Mrd. Euro bzw. 10 Prozent). Danach folgen
  • Kunststoffe (1,4 Mrd. Euro, 6 Prozent),
  • optische Erzeugnisse (1,1 Mrd. Euro, 5 Prozent) und
  • pharmazeutische Erzeugnissen (0,7 Mrd. Euro, 3 Prozent).

Vom gesamten deutschen Handelsbilanzüberschuss mit der Türkei entfällt also der Löwenanteil auf den Automobilsektor und den Maschinenbau. Allerdings gehen nur 1,2 Prozent der gesamten Auto- und Maschinebauexporte in die Türkei, sodass die Auswirkungen einer wirtschaftlichen Krise in der Türkei für diese Branchen sehr begrenzt ausfallen werden.

Resümee: Lohnen sich Investitionen in türkische Anleihen oder Aktien?

Alles in allem glauben wir nicht, dass die Türkei das Potenzial hat, einen Flächenbrand unter den Schwellenländern auszulösen. Zum einen ist die Türkei ein politischer und wirtschaftlicher Sonderfall. Zum anderen sind die meisten Schwellenländer ökonomisch deutlich stabiler aufgestellt. Für eine weitgehend unabhängige Einstufung der Türkei spricht, dass sich die türkische Lira und die Renditen türkischer Anleihen von anderen Schwellenländern relativ eigenständig entwickeln.

Wir bleiben daher bei unserer schon im letzten Jahr ausgesprochenen Empfehlung, Investitionen in türkische Anleihen oder Aktien solange zu meiden, bis eine deutliche Veränderung der Wirtschaftspolitik erkennbar ist. Generell halten wir Schwellenländerinvestments weiterhin für attraktiv, allerdings dürften die Turbulenzen noch nicht vorbei sein. Mit Neuengagements sollte deshalb gewartet werden, bis eine Beruhigung der Situation eintritt. Dabei gilt es vor allem darauf zu achten, wie sich die Handelspolitik der USA weiter entwickelt. Denn von dieser geht wesentlich größeres Ungemach für die Schwellenländer aus als von der Türkei.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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