Sind Rohstoffe wichtig für die Portfoliodiversifikation?

An der Börse wird einem nichts geschenkt – das ist zumindest die gängige Weisheit bei Investoren und Händlern. Ganz richtig ist das jedoch nicht. Es gibt etwas, das tatsächlich kostenlos verfügbar ist, obwohl es sehr viel wert ist. Dabei handelt es sich um die Diversifikation.

Als Investor hat man immer die Möglichkeit, sein Kapital auf wenige Positionen zu konzentrieren oder aber extrem breit zu streuen. Und während sich der Erwartungswert der Performance durch die hohe Streuung nicht zwangsläufig ändert, werden die Risikoeigenschaften durch die Streuung dramatisch verbessert. So gesehen können Portfoliostrukturen tatsächlich signifikant verbessert werden, ohne einen Preis dafür zahlen zu müssen.

Portfoliodiversifikation hat Grenzen

Allerdings sollte man sich auch der Limitationen von Diversifikation bewusst sein. Es ist eben nicht so, dass der Einsatz von noch mehr Assets und noch mehr einzelnen Wertpapieren zu noch mehr Diversifikation führt. Irgendwann ist immer ein Punkt erreicht, wo Portfolios eine derart hohe und effiziente Streuung aufweisen, dass eine weitere Diversifikation im echten Leben keinen Mehrwert mehr erbringt.

Doch wann ist noch mehr Diversifikation nicht mehr sinnvoll?

Und welche Bestandteile einer strategischen Allokation lassen sich aus einem diversifizierten Portfolio sogar wieder entfernen, ohne dass es aus Diversifikationssicht zu einem Problem kommt?
Diese Frage ist nicht nur von akademischem Interesse, denn im Zuge der zunehmenden Ausrichtung von Portfolios auf Nachhaltigkeitskriterien können einzelne Wertpapiere und sogar ganze Märkte und Assetklassen aus dem zulässigen Investmentuniversum herausfallen. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür sind Rohstoffe.

So ist es beispielsweise nicht untypisch, in vermögensverwaltenden Portfolios Indexprodukte beizumischen, die die Preisentwicklung einer breiten Palette von Rohstoffen nachzeichnen sollen. Solche Indizes können beispielsweise Öl, Metalle, Erze und Agrarprodukte enthalten. Unter Nachhaltigkeitsaspekten ist ein solches Investment jedoch nur schwer zu vertreten, so dass solche Positionen zunehmend aus Portfolios entfernt werden. Nicht selten wird dann von Kunden die vollkommen berechtigte Frage gestellt, ob dieser unter ESG-Aspekten nachvollziehbare Verkauf die Diversifikationseigenschaften eines Portfolios spürbar verschlechtern könnte. Sowohl Bauchgefühl als auch Erfahrung legen nahe, dass dieser Verlust an Diversifikation verschmerzbar sein sollte. Eine richtig belastbare Aussage ist das aber natürlich nicht, weshalb wir uns der Frage mathematisch genähert haben, um eine abschließende Antwort zu finden.

Sind ESG-orientierte Portfolios weniger diversifiziert?

Ausgangspunkt war dabei ein global hochgradig diversifiziertes Portfolio, das aus vielen Indexpositionen besteht und damit Aktien, Anleihen und Rohstoffe abdeckt.

  • Die Aktienquote lag bei 60%,
  • die Rohstoffquote (abgebildet über den S&P GSCI Rohstoff-Index) bei 5% und
  • die Anleihenquote (Staatsanleihen und Unternehmensanleihen über diverse Laufzeiten, Bonitäten und Währungen) bei 35%.

Diese Portfoliostruktur haben wir dann anhand eines sog. Bootstrapping-Verfahrens auf Herz und Nieren geprüft. Dabei wird nicht nur eine konkrete historische Wertentwicklung analysiert, sondern auch tausende hypothetische Wertverläufe, die aber exakt die empirisch beobachtbaren statistischen Eigenschaften der relevanten Assetklassen und Märkten aufweisen. Mit diesem sehr reichhaltigen Datenmaterial können dann belastbare Aussagen darüber getroffen werden, wie beispielsweise Draw-Downs verlaufen und welcher Value-at-Risk für die Portfoliostruktur erwartet werden kann.

Bei dem Value-at-Risk (VaR) geht es um die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit (in unserem Fall 95%) welcher Verlust innerhalb eines Jahres nicht überschritten wird. Daraus kann wiederum der sog. Conditional VaR abgeleitet werden, der beschreibt, wie stark der zu erwartende „Absturz“ erfolgt, wenn diese Grenze nach oben durchschritten wird. Somit lässt sich ein reichhaltiges Set von Daten beschreiben, mit denen die Diversifikationseigenschaften gut beschrieben werden können.


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Und so sehen die Ergebnisse aus

Die strategische Allokation, die eine Rohstoffquote enthält, weist einen zu erwartenden maximalen Draw-Down von 29,6% auf. Dabei kann sich dieser Draw-Down auch kumuliert über mehrere Jahre erstrecken; der Wert ist also nicht als die schlechteste zu erwartende Jahresperformance zu interpretieren. Der zu erwartende VaR liegt in dieser strategischen Allokation bei -13,1%, der Conditional VAR bei -17,5%. Zudem lassen die Berechnungen erwarten, dass auch im schlimmsten anzunehmenden Szenario die gewählte strategische Allokation im Jahr 2034 eine positive p.a.-Rendite erzielen würde, wenn man heute beginnt zu investieren.

Ersetzt man nun die fünfprozentige Rohstoffquote durch europäische und US-amerikanische Aktien, ändert sich das Bild nur marginal. Der maximale Draw-Down steigt marginal um 0,1 Prozentpunkte, der VAR um 0,3 Prozentpunkte und der Conditional VAR ändert sich nahezu gar nicht.

Und auch in diesem Fall ohne Rohstoffe ist im schlimmsten anzunehmenden Szenario spätestens im Jahr 2034 mit einer positiven kumulierten p.a.-Rendite seit Start des Investments zu rechnen.

So lässt sich ohne größere Restzweifel festhalten, dass ein Ausschluss von Rohstoffen die Charaktereigenschaften von Portfolios kaum ändert. Aus ökonomischer Perspektive wäre dies auch zu erwarten, denn die Performancetreiber von Rohstoffen und Aktien sind langfristig mehr oder weniger identisch. Werden die Konjunkturdaten besser, steigen nicht nur die Gewinne und damit die Kurse der Aktien – es steigt auch die Knappheit von Rohstoffen und damit deren Preis.

Auch eine expansive Geldpolitik hinterlässt sowohl bei Aktien als auch bei Rohstoffen ihre Spuren

Das erklärt auch, warum sich Rohstoffe durch Aktien vergleichsweise gut substituieren lassen, ohne Diversifikationseigenschaften substanziell zu verschlechtern.

Nun ließe sich sicher argumentieren, dass unser „Design“ des Versuchsaufbaus mit zwei unterschiedlichen strategischen Allokationen einen kleinen Schönheitsfehler aufweist. Denn die Rohstoffposition in der Ausgangsallokation beträgt nur fünf Prozent, so dass ein Wegfall dieser Position schon fast per Definition keinen großen Einfluss haben sollte. Die Unterschiede in den Ergebnissen wären sicher ein wenig ausgeprägter ausgefallen, wenn man in der Ausgangsallokation eine Rohstoffquote von 15 oder 20 Prozent unterstellt hätte. Jedoch wäre eine solch hohe Quote für eine strategische Allokation unangemessen hoch und damit für die Praxis in keiner Weise relevant.

Es bleibt also dabei: Wer aus Gründen der Nachhaltigkeit auf Rohstoffe im Portfolio verzichtet, muss sich aus Risikosicht keine Sorgen machen.

Doch ändert sich die Sichtweise, wenn man nicht nur auf das Risiko, sondern auch auf die Rendite schaut? Aus unserer Sicht ist auch das nicht der Fall.

Denn es ist unwahrscheinlich, dass Rohstoffe langfristig eine bessere Wertentwicklung als Aktien aufweisen.

Die Performance von Aktien ergibt sich langfristig aus Gewinnen und Dividendenzahlungen. Da Rohstoffe keine Dividende zahlen, müsste sich deren Preis über die Jahre hinweg dramatisch besser entwickeln als die Gewinne von Unternehmen – was eine sehr gewagte Annahme wäre.

Und selbst wenn das Szenario eintreten würden, wäre nicht unbedingt damit zu rechnen, dass diese gute Wertentwicklung auch im Portfolio „ankommt“. Denn bisher unterstellt die Argumentation implizit, dass es gelingt, die Entwicklung der Spotpreise von Rohstoffen in Portfolios zu transportieren. Die Erfahrung zeigt aber, dass das nicht immer funktioniert.

Die meistens auf Future-Kontrakten beruhenden Rohstoffprodukte leiden nämlich unter negativen sog. Rollrenditen, die entstehen, wenn eine Position von einem bald auslaufenden Kontrakt in einen länger laufenden Kontrakt gewechselt (gerollt) werden muss. Gerade bei Rohstoffen ist dieser Vorgang aus strukturellen Gründen oftmals mit Verlusten verbunden. Wie man es dreht und wendet: Rohstoffe mögen konzeptionell eine interessante Assetklasse sein; wenn man aber auf sie verzichtet, geht die Welt nicht unter.

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Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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