Private Altersvorsorge: Was kann sie leisten?
18. Juni 2021Einmal im Jahr landet die Renteninformation der Deutschen Rentenversicherung im Briefkasten, zumindest bei all denjenigen, die in die Rentenkasse einzahlen. Spätestens bei dem Blick auf die dort avisierte Höhe der zukünftigen Rente, wird einem klar, dass eine zusätzliche private Altersvorsorge nahezu zwingend notwendig erscheint. Doch ist eine private Altersvorsorge auf Basis risikobehafteter Assets die Lösung, um den Lebensstandard im Alter halten zu können? Wir haben einmal nachgerechnet.
Leider neigt man schnell dazu, dieses Thema dann doch wieder auf die lange Bank zu schieben, statt es mutig anzugehen. Ein Grund für das oftmals zögerliche Verhalten mag darin liegen, dass die möglichen Lösungen für eine private Altersvorsorge auf den ersten Blick ebenfalls nicht hochgradig attraktiv erscheinen. Denn im Prinzip gibt es nur zwei Möglichkeiten:
- Entweder man setzt auf hohe Planbarkeit und Sicherheit im Auszahlungsprofil und akzeptiert damit eine Rendite, die vermutlich nur knapp über null Prozent liegen wird, oder aber
- man geht mit der Anlage in das Risiko und läuft Gefahr, zumindest temporär größere Einbrüche im angesparten Vermögen verkraften zu müssen.
Da man aus gut nachvollziehbaren Gründen gerade in Sachen Altersvorsorge das Risiko scheut, führt das viel zu oft dazu, dass man gar nichts unternimmt und stattdessen auf ein Wunder in der gesetzlichen Altersvorsorge hofft, das aber angesichts der weitgehend desaströsen demographischen Entwicklung in Deutschland ganz sicher nicht eintreten wird. Um vor diesem Hintergrund etwas Aufklärung darüber zu leisten, was eine Altersvorsorge leisten kann, die ohne Garantiezins in risikobehaftete Assets investiert, haben wir umfangreiche Berechnungen und Simulationen angestellt.
Altersvorsorge: Wie Sie mit diversifizierten Anlagen 200.000 Euro aufbauen können
Ausgangspunkt ist dazu folgender Anwendungsfall: Eine Person im Alter von 45 Jahren plant, mit 65 in Rente zu gehen und hat dementsprechend noch 20 Jahre Zeit, um einen privaten Kapitalstock aufzubauen. Während dieser Phase plant der Anleger, monatlich 1.000 Euro zu investieren und damit diesen Kapitalstock aufzubauen. Mit Beginn der Rentenphase sollen dann pro Monat 1.500 Euro dem Kapitalstock entnommen werden, um die gesetzliche Rente aufzubessern. Wenn dieser Plan über eine unverzinste Kasse ohne Negativzinsen und ohne Gebühren abgewickelt wird, wäre der Kapitalstock in der Rentenphase nach 14 Jahren aufgebraucht. Das klingt nicht unbedingt nach einem guten Geschäft.
Doch wie sähe die Situation aus, wenn das Geld dauerhaft in einer international hochdiversifizierten vermögensverwaltenden Struktur investiert wäre, die bis zu 50% Aktien und zudem Anleihen über das ganze Bonitäts- und Laufzeitenspektrum hält? Wenn man unterstellt, dass im Durchschnitt die globalen Aktienmärkte in den nächsten 40 Jahren pro Jahr 7% erwirtschaften und Anleihen über die nächsten 40 Jahre im Durchschnitt eine Performance ganz leicht oberhalb ihrer aktuellen Rendite erwarten lassen, sieht die Welt schon ganz anders aus. Man könnte tatsächlich über 20 Jahre hinweg (also bis zum 85. Lebensjahr) jeden Monat 1.500 Euro aus dem Kapitalstock entnehmen und hätte am Ende dieser Zeitspanne immer noch knapp 200.000 Euro in der Kasse!
Was fast unglaublich klingt, ist nichts anderes als der immer wieder unterschätzte Zinseszinseffekt.
Trotzdem hat die Sache – wie so oft – einen Haken: Diese Rechnung unterstellt, dass die erwarteten Renditen auch tatsächlich so wie beschrieben eintreten.
Risikobehaftete Assets: es gibt eben keine perfekte Planbarkeit!
Doch wenn eines sicher ist, dann die Tatsache, dass genau dies nicht passieren wird. Denn gerade die Anlage in risikobehaftete Assets führt dazu, dass es eben keine perfekte Planbarkeit bezüglich des zu erwartenden Auszahlungspfades geben wird.
Mit etwas Glück sind nach 20 Jahren Rente viel mehr als 200.000 Euro in der Kasse verblieben, mit etwas Pech aber auch weniger.
Und mit extrem viel Pech ist nicht auszuschließen, dass der Kapitalstock gar nicht reichen wird, um Monat für Monat 1.500 Euro über 20 Jahre auszuzahlen. Um trotzdem empirisch belastbare Aussagen darüber treffen zu können, mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Szenario eintritt, bräuchte man Zeitreihen, die im Idealfall hunderte oder tausende von Jahren zurückreichen. Diese Zeitreihen existieren aber natürlich nicht. Und selbst wenn sie existieren würden, wären sie wahrscheinlich nicht repräsentativ, denn gerade die Wertentwicklung von Anleihen wird vor dem Hintergrund der strukturell expansiven Geldpolitik der Notenbanken in den kommenden Jahrzehnten mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechter ausfallen als in der Vergangenheit.
Bootstrapping-Methode: Wie sie hilft, mögliche Renditen einer Multi-Asset-Portfoliostruktur darzustellen
Offensichtlich benötigt man eine andere Vorgehensweise, um belastbare Aussagen über mögliche Pfade der Wertentwicklung zu treffen. Die Lösung dieses Problems besteht darin, die sogenannte Bootstrapping-Methode anzuwenden. Die Methode kommt immer dann ins Spiel, wenn es keine theoretisch herzuleitenden Informationen über die Verteilung von Ereignissen gibt, sondern diese aufgrund einer Stichprobe berechnet werden müssen. Das hört sich komplizierter an, als es am Ende ist.
Auch für Nichtstatistiker kann der Vorgang eigentlich relativ leicht erklärt werden:
- Man trifft in einem ersten Schritt plausible Annahmen bezüglich der ganz langfristigen durchschnittlichen Rendite der verwendeten Märkte und Assetklassen und kombiniert diese Renditeannahmen mit empirisch ermittelbaren Informationen über das Zusammenspiel von Assetklassen (die sogenannte Korrelation) sowie der historisch beobachteten Streuung der Renditen verschiedener Assetklassen. Damit lässt sich eine sehr repräsentative Stichprobe möglicher Renditen einer vermögensverwaltenden Multi-Asset-Portfoliostruktur zusammenstellen.
- Nun kommt in einem zweiten Schritt ein Zufallsgenerator zum Einsatz, der wie eine Lottofee aus dem Topf mit den vielen möglichen Renditen einzelne Renditen herauszieht und so Stück für Stück eine Zeitreihe aufbaut, die einem denkbaren zukünftigen Pfad einer Wertentwicklung entspricht. Alle diese Pfade weisen im Durchschnitt die statistischen Eigenschaften historischer Entwicklungspfade auf, entsprechen aber hinsichtlich der Rendite den (sehr konservativen) Annahmen bezüglich der Zukunft. Wenn man diese „Lottofee“ eine gewisse Zeit mit Hilfe des Computers arbeiten lässt, entsteht eine gewaltige Fülle von Daten, aus denen Wahrscheinlichkeiten über zukünftige Verläufe und Szenarien abgeleitet werden können. Die folgende Abbildung zeigt zur Veranschaulichung einige dieser möglichen Pfade.
- Die graue Line dient dabei als Referenzpfad für eine Situation, in der das Ein- und Auszahlungsprofil komplett über eine zins- und kostenlose Kasse abgewickelt wird.
- Die Linie mit dem 1%-Quantil-Pfad (rosa) repräsentiert eine mögliche Wertentwicklung, die in 99% der Fälle übertroffen werden wird.
- Die Linie mit dem 99%-Quantil-Pfad (dunkelrot) repräsentiert wiederum eine Wertentwicklung, die mit 99% Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden wird.
- Die Wahrheit wird sich irgendwo dazwischen finden; die gestrichelte Linie steht für den Mittelwert aller generierten Szenarien.
Das Ergebnis ist dabei mehr als eindeutig. Selbst im schlimmsten anzunehmenden Fall ist die Wertentwicklung eher besser als eine reine zinslose Kassenlösung.
Eine Chance risikobehafteter Anlagen
Man kann also gegenüber einem komplett risikolosen Szenario nahezu nichts falsch machen, wenn man seinen Kapitalstock mit risikobehafteten Anlagen aufbaut. Gleichzeitig wird man für das eingegangene Risiko damit belohnt, dass man mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit über 20 Jahre eine monatliche Rente erhält, die 50% über den monatlichen Einzahlungen liegt! Und als Bonus bleibt mit einer extrem hohen Wahrscheinlichkeit auch nach 20 Jahren Rentenzahlung ein sehr beachtlicher Betrag übrig, der nochmals für weitere Rentenzahlungen genutzt oder aber vererbt werden kann. Wie man es auch dreht und wendet: Wer auf eine private, kapitalgedeckte Altersvorsorge – z. B. im Rahmen einer digitalen Vermögensverwaltung – verzichtet, obwohl die finanziellen Möglichkeiten dazu vorhanden wären, handelt eigentlich irrational.
Autor: Dr. Christian Jasperneite
Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.
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