Naht nun ein Rezessionssturm in Deutschland?
30. September 2019Die deutsche Wirtschaft befindet sich seit rund 18 Monaten im Abschwung. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass es so aussah, als ob Deutschland vor rosigen Zeiten stehen würde. Doch bekanntlich kam es dann ganz anders. Worauf ist dieser plötzliche und unerwartete Umschwung zurückzuführen? Und welche Prognosen sehen wir hinsichtlich der Wachstumsrate für 2020?
2017 verzeichneten wir ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent, und zu Beginn des Jahres 2018 deuteten alle wichtigen Frühindikatoren darauf hin, dass sich diese positive Entwicklung mit viel Schwung fortsetzen würde. Schon in der ersten Jahreshälfte des vergangenen Jahres verlor der Aufschwung deutlich an Fahrt, bevor er danach völlig zum Erliegen kam. Mittlerweile ist zu konstatieren, dass die deutsche Wirtschaft seit rund einem Jahr so gut wie nicht mehr gewachsen ist.
Die Wogen der Globalisierung: der Welthandel wächst kaum noch
Deutschland war seit der Jahrtausendwende einer der Hauptprofiteure der Globalisierung und des damit verbundenen stark zunehmenden globalen Wirtschaftswachstums. Nach der Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation WTO erlebte der Welthandel eine wahre Blütezeit, von der „offene“ Volkswirtschaften überdurchschnittlich stark profitierten.
Neben China selbst und seinen regionalen Nachbarn gehörten hierzu auch einige Industrieländer, die ihre Wirtschaft auf einen wachsenden Außenhandel ausgerichtet hatten. Für uns in Deutschland waren die Rahmenbedingungen wie gemacht, um an der zunehmenden Bedeutung des Welthandels und dem wachsenden globalen Einflusses der Schwellenländer stark zu partizipieren.
So beträgt der Anteil der Exporte an der gesamten deutschen Wertschöpfung rund 40 Prozent, während das verarbeitende Gewerbe in Deutschland immer noch einen Anteil von mehr als 20 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung hat.
Doch die Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahren erneut verändert. Was sich zunächst als Segen erwies, ist mittlerweile als Fluch zu betrachten. So liegt der Höhepunkt der Globalisierung mittlerweile hinter uns. Der Welthandel wächst kaum noch, was auf den zunehmenden Protektionismus und den schwindenden Einfluss liberaler wirtschaftspolitischer Ideen zurückzuführen ist.
Darunter leiden naturgemäß die Länder am stärksten, die zuvor profitiert haben: Exportstarke Volkswirtschaften mit einem starken verarbeitenden Gewerbe. Für Deutschland hat sich somit in den vergangenen Monaten der perfekte Sturm zusammengebraut. Statt wie in den Jahren zuvor zu den wachstumsstärksten Industrieländern zu gehören, ist Deutschland an das Tabellenende gerutscht. Zusammen mit Italien läuft Deutschland Gefahr, in eine Rezession abzurutschen.
Wirtschaftsentwicklung: Ist ein erneuter Aufschwung zu erwarten?
Eine Besserung der Lage hängt vor allem davon ob, ob der Handelsstreit zwischen den USA und China beigelegt wird oder ob dieser weiter eskaliert. Zu den wichtigen konjunkturellen Frühindikatoren zählt u. a. der Ifo-Geschäftsklimaindex oder die Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor. Diese geben bislang keine Entwarnung, dass die konjunkturelle Talfahrt gestoppt ist. Die in die Zukunft schauenden Komponenten dieser Datenreihen deuten sogar auf eine Verschärfung des Abschwungs hin. Dass dieser bislang vergleichsweise moderat ausgefallen ist, liegt an der immer noch guten Geschäftslage der Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor und den Konsumenten, deren Stimmung und – wichtiger – deren Ausgabeverhalten bislang Schlimmeres verhindert hat. Doch wird dies auch so bleiben?
Zuletzt haben wir den Eindruck gewonnen, dass die Widerstandsfähigkeit des Dienstleistungssektors nachgelassen hat.
Im Unterschied zum verarbeitenden Gewerbe, das sich bereits in einer leichten Rezession befindet, wachsen die Dienstleistungsunternehmen noch. Doch je länger der Abwärtstrend in der Industrie anhält und je stärker der Druck zunimmt, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Dienstleister dauerhaft von der negativeren Entwicklung des verarbeitenden Gewerbes abkoppeln können.
Können Verbraucher die deutsche Wirtschaft vor einer tieferen Rezession „retten“?
Der Stimmung der Konsumenten konnten die vielen negativen politischen und wirtschaftlichen Nachrichten bislang wenig anhaben. Doch können die Verbraucher die deutsche Wirtschaft wirklich dauerhaft vor einer tieferen Rezession „retten“? Bei allen positiven Nachrichten über den privaten Verbrauch in Deutschland sollte nicht übersehen werden, dass die Wachstumsraten des Konsums in den vergangenen Jahren relativ bescheiden ausgefallen sind. Viel mehr als ein reales Plus von ein bis zwei Prozent ist trotz niedriger Arbeitslosigkeit und steigender Löhne nicht zu verzeichnen gewesen.
Daran wird sich wohl selbst dann nicht viel ändern, wenn es am Arbeitsmarkt nicht zu einer Trendwende kommt. Denn die deutschen Privathaushalte haben trotz guter Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren ihre Sparquote von zehn auf elf Prozent erhöht – damit ist weniger Geld zum Ausgeben übrig geblieben. Dies liegt daran, dass die immer niedrigeren Zinsen (genau genommen die Nullzinsen, die es für Spar- und Tagesgeldeinlagen gibt), zu einer höheren Ersparnisbildung führen, damit der zukünftige Konsum im Rentenalter einigermaßen aufrechterhalten werden kann. Hieran wird deutlich, dass die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mittlerweile eine wichtige Schwelle überschritten hat:
Die immer niedrigeren Zinsen wirken sich nicht mehr – wie es die traditionelle geldpolitische Theorie vorsieht – positiv auf das Wirtschaftswachstum aus, sondern negativ.
Der unter Geldpolitikern viel diskutierte „Umkehrzins“ scheint also in Deutschland schon erreicht zu sein. Denn auch die Unternehmen signalisieren, dass immer niedrigere Zinsen kaum Anreiz bieten, mehr Kredite aufzunehmen, um mehr zu investieren.
Rezession oder Stagnation? Ein kleiner Ausblick in die Zukunft.
Im dritten Quartal dürfte die deutsche Wirtschaft erneut leicht geschrumpft sein, sodass das Kriterium einer technischen Rezession erfüllt wäre. Rezession hört sich sehr negativ an, allerdings handelt es sich im Moment um eine sehr milde Form der Rezession, die kaum von einer Stagnation zu unterscheiden ist. Bislang gehen wir für das vierte Quartal wieder von einem leichten Wachstum aus, sodass sich für das Gesamtjahr ein reales BIP-Wachstum von 0,5 Prozent abzeichnet. Für das nächste Jahr prognostizieren wir eine Wachstumsrate von 0,9 Prozent. Wobei hier die nahezu verdoppelte Wachstumsrate nur darauf zurückzuführen ist, dass es je nach Bundesland zwischen drei und fünf Arbeitstage mehr gibt. Bereinigt man diesen Effekt – so wie es international üblich ist – bleibt das Wachstum auch 2020 bei 0,5 Prozent.
Die Reduzierung unserer DAX-Prognose auf 11.000 Punkte hat für reichlich Diskussionen gesorgt. Um es zu verdeutlichen: Die Prognoseanpassung ist allein der Tatsache geschuldet, dass sich die deutsche Wirtschaft, im Gegensatz zu den Erwartungen, bisher nicht erholt hat und die Gewinnerwartungen für die DAX-Unternehmen seit Jahresbeginn deutlich reduziert wurden. Für die Gewinne in diesem Jahr sind die Konsensgewinnschätzungen um 12 Prozent reduziert worden, die Erwartungen für 2020 sind um acht Prozent gesunken.
Da es zuletzt weitere Gewinnwarnungen gab, dürfte das Ende der Fahnenstange bei den Anpassungen nach unten noch nicht erreicht sein.
Wir erwarten einen Gewinnanstieg von fast 15 Prozent im nächsten Jahr, der ohne eine deutliche wirtschaftliche Erholung unrealistisch ist. Allerdings könnten die geringeren Gewinnerwartungen durch einen höheren Bewertungsmultiplikator ausgeglichen werden. Wir haben für unser neues Kursziel ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12,5 unterstellt, das etwas oberhalb des langfristigen Durchschnitts von 12 liegt. Würde man stattdessen mit einem KGV von 14 oder 15 rechnen, ließen sich DAX-Ziele von 12.400 oder 13.200 ableiten. Möglich, dass Anleger wegen angeblich fehlender Anlagealternativen diesmal bereit sind, eine höhere Prämie für Aktien zu bezahlen. Normalerweise sind die Bewertungskennzahlen im Abschwung allerdings niedriger als im Durchschnitt.
Autor: Dr. Christian Jasperneite
Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.
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