Impfungen: Deutschland gibt Vollgas

Wie unsere aktuelle Wachstumsprognose für Deutschland aussieht und aus welchen Gründen wir so optimistisch für die deutsche Wirtschaft sind.

Nach sehr schleppendem Beginn hat die Impfkampagne in Deutschland in den vergangenen Wochen deutlich Fahrt aufgenommen. Mittlerweile haben fast 32 Millionen Deutsche mindestens eine Impfdosis erhalten, knapp 10 Millionen Menschen in Deutschland sind sogar vollständig geimpft. Mit einer Quote von 38 Prozent an Erstimpfungen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung hat Deutschland bis auf Großbritannien (54 Prozent) alle anderen europäischen Länder hinter sich gelassen. Auch im internationalen Vergleich weisen nur wenige Länder bessere Impfquoten auf (z.B. Israel, die USA, Kanada, Ungarn oder Chile). Nicht zuletzt dem Impffortschritt ist es zu verdanken, dass die Corona-7-Tage-Inzidenz mit 68 auf den niedrigsten Stand seit Mitte Februar gesunken ist.

Konjunkturprognosen für die deutsche Wirtschaft

Die lange Zeit hohen Corona-Neuinfektionszahlen haben sich bis dato als Bremsklotz für die deutsche Wirtschaft erwiesen. Im ersten Quartal ist das reale Bruttoinlandsprodukt um 1,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal gesunken, weil vor allem der Konsum privater Dienstleistungen aufgrund der anhaltenden wirtschaftlichen Beschränkungen deutlich zurückging. Hinzu kamen witterungsbedingte Probleme bei den Bauinvestitionen sowie ein leichter Rückgang bei der Produktion von Investitionsgütern. Diese negativen Effekte konnten von dem Zuwachs der Netto-Exporte nicht kompensiert werden.

Aus diesem Grund sind die Konjunkturprognosen für die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Monaten von fast allen Volkswirten und Forschungsinstituten merklich nach unten revidiert worden. Laut Consensus Economics, einem Londoner Institut, das jeden Monat die Wachstumsprognosen für Deutschland von 30 verschiedenen Prognostikern auswertet, ist das erwartete Wirtschaftswachstum für dieses Jahr von durchschnittlich 3,9 Prozent im Dezember 2020 auf 3,3 Prozent im Mai 2021 gesunken.

Unsere Prognose: Die Wirtschaft wird sich stark erholen

Auch wir haben unsere Wachstumsprognose für dieses Jahr nach unten revidiert, mit einem erwarteten Zuwachs des realen Bruttoinlandsproduktes von 4,0 Prozent gegenüber dem Jahr 2020 sind wir aber weiterhin optimistischer als die Konsens-Prognose. So gehen wir davon aus, dass es schon im laufenden zweiten Quartal, dann aber vor allem in Q3 zu einer sehr starken wirtschaftlichen Erholung kommen wird.

Die zu erwartende konjunkturelle Dynamik lässt sich derzeit zwar nur grob einschätzen, weil die meisten bekannten realwirtschaftlichen Konjunkturdaten nur bis zum Monat März zurückreichen, doch signalisieren alle wichtigen Frühindikatoren, dass die deutsche Wirtschaft in den Startlöchern einer sehr kräftigen zyklischen Konjunkturerholung steht.

So ist der Ifo-Geschäftsklimaindex in den vergangenen 12 Monaten fast ununterbrochen angestiegen, wobei sich vor allem im verarbeitenden Gewerbe die Stimmung deutlich verbessert hat. Dies zeigt auch der Einkaufsmanagerindex, der für die deutsche Industrie in den vergangenen Monaten einen noch nie zuvor gesehenen Optimismus zum Ausdruck bringt. Dagegen ist die Lage im Dienstleistungssektor immer noch sehr viel verhaltener, doch wird sich diese angesichts der sich nun abzeichnenden wirtschaftlichen Lockerungen schnell verbessern.

Kommt jetzt der „Gummiband-Effekt“?

Von daher rechnen wir für die nächsten beiden Quartale mit dem berühmten „Gummiband-Effekt“ und hohen Quartalszuwachsraten bei der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung, sodass das reale BIP 2021 um 4,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegen wird. Obwohl wir davon ausgehen, dass sich die wirtschaftliche Dynamik danach wieder abschwächen (genauer gesagt: normalisieren) wird, geht dem Aufschwung nicht so bald die Puste aus: Auch für das kommende Jahr rechnen wir mit einer weit überdurchschnittlichen Wachstumsrate von dann sogar 4,4 Prozent, wobei diese durch den von uns erwarteten hohen statistischen Überhang optisch überzeichnet wird.

Welche Effekte das Wirtschaftswachstum hemmen könnten

Überhaupt muss man sich in der nächsten Zeit noch auf diverse statistische Basiseffekte einstellen, die die Interpretation des tatsächlichen Wachstumstempos erschweren. So wird der private Verbrauch im Gesamtjahr 2020 gemessen an der Zuwachsrate des gesamten BIPs nur unterdurchschnittlich zunehmen (wir erwarten ein Plus von 2,1 Prozent), und das, obwohl angesichts der hohen Sparquote für die nächste Zeit mit einem regelrechten Ansturm der Menschen auf Geschäfte, Restaurants und Freizeitaktivitäten wie Urlaubsreisen zu rechnen ist.

Das optisch geringe Gesamtjahreswachstum ist dem sehr schwachen ersten Quartal geschuldet, und dieser Effekt kann selbst bei dem von uns unterstellten fulminanten Aufholprozess nicht mehr ausgeglichen werden. Dafür sorgt dann die Statistik, dass sich trotz der moderateren Quartalszuwächse im nächsten Jahr auf Gesamtjahressicht ein Zuwachs von gut sieben Prozent errechnet. Aber auch bei anderen makroökonomischen Zeitreihen ist mit statistischen Verwerfungen zu rechnen.

Das größte Risiko für unsere optimistische Konjunkturprognose stellen derzeit die Materialknappheit und die damit verbundenen hohen Einkaufspreise für Rohstoffe und Vorprodukte dar. Trotz einer sehr guten Auftragslage könnte dies dazu führen, dass Bestellungen nicht produziert und ausgeliefert werden können. Exemplarisch hierfür stehen die Probleme bei der Produktion von Halbleitern, die bereits zu Produktionsausfällen und Kurzarbeit in der Automobilindustrie geführt haben.

Wir rechnen jedoch damit, dass sich die Lieferengpässe schon bald auflösen werden. Zum einen dürfte sich die Kapazitätsauslastung, die in vielen Industriebetrieben immer noch gering ist, nach und nach normalisieren. Zum anderen stellen die stark gestiegenen Preise einen Anreiz dar, Produktionskapazitäten zu erweitern. Dies sollte dazu führen, dass sich die Preissteigerungsraten wieder normalisieren.

Dennoch wird die deutsche Inflationsrate bis Herbst wohl noch auf knapp vier Prozent ansteigen, wofür aber in erster Linie Basiseffekte verantwortlich sind. Bis Frühjahr 2022 rechnen wir dann aber mit einem deutlichen Rückgang der Inflation auf unter 1,5 Prozent.

All dies spricht dafür, diesen Sachverhalt weiter eng zu verfolgen und wissenschaftlich zu beleuchten. Ein vorschnelles Agieren staatlicher Regulierungsbehörden ist aber vermutlich nicht angebracht – nicht erst die Corona-Krise hat gezeigt, dass selbst gut gemeinte regulatorische Eingriffe nicht selten kontraproduktiv sind. Oftmals ist das staatliche Versagen leider noch größer als das Marktversagen, das eigentlich adressiert werden sollte. Allerdings könnten diese Überlegungen vielleicht für Anleger ein Anreiz darstellen, darüber nachzudenken, vermehrt Stock-Picking bei kleineren Werten zu betreiben, deren Eigentümerstruktur noch nicht von ETFs dominiert wird.


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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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