Deutschland: Wirtschaft im Winterschlaf ­- Frühlingsgefühle beim DAX

Nun ist es amtlich: Die deutsche Wirtschaft ist im Jahr 2024 erneut geschrumpft. Mit einer Veränderungsrate von -0,2 Prozent koppelte sich das reale Bruttoinlandsprodukt wie schon im Vorjahr (-0,3 Prozent) von der positiven Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Ausschlaggebend für den Rückgang waren ein schwacher privater Konsum, der trotz steigender Reallöhne kaum höher ausfiel als im Vorjahr (+0,3 Prozent), sinkende Investitionen (Bau: -3,5 Prozent, Ausrüstungen: -5,5 Prozent) sowie rückläufige Exporte (-0,8 Prozent).

Die staatlichen Konsumausgaben verzeichneten mit +2,6 Prozent als einziges volkswirtschaftliches Aggregat einen nennenswerten Zuwachs. Dies ist vor allem auf die deutliche Ausweitung der staatlichen Sozialleistungen zurückzuführen, da mehr Geld für Renten, Pensionen sowie Pflege- und Bürgergeld ausgegeben wurde. Das letzte Jahr, in dem Deutschland ein nennenswertes Wirtschaftswachstum verzeichnen konnte, liegt lange zurück. Seit 2017 tritt die Wirtschaft mehr oder weniger auf der Stelle. Das zeigt: Deutschland hat nicht nur ein konjunkturelles, sondern vor allem ein strukturelles Problem.

Wirtschaft bleibt 2025 im Rückwärtsgang

Für das Jahr 2025 sieht es nicht viel besser aus, eine konjunkturelle Belebung ist zunächst unwahrscheinlich. Die Wahl Donald Trumps könnte sich sogar als zusätzlicher Bremsklotz für die deutsche Wirtschaft erweisen, wenn der neue US-Präsident seine Ankündigung höherer Zölle bereits kurz nach seiner Amtseinführung am 20. Januar umsetzt. Wie verwundbar die deutsche Wirtschaft ist, zeigt sich daran, dass die Exporte in die USA im vergangenen Jahr noch um drei Prozent zulegten, während der Handel mit den Ländern der Eurozone (-1,1 Prozent) und mit China (-4,8 Prozent) gegenüber dem Vorjahr zurückging.

Das deutsche Geschäftsmodell einer starken, exportorientierten Industrie scheint ausgedient zu haben.

Für 2025 erwarten wir daher einen weiteren Rückgang des realen BIP um 0,2 Prozent.

Neuwahlen als Weichenstellung für die zukünftige Stimmung

Umso wichtiger ist es, rasch die richtigen politischen Weichen zu stellen. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts muss dringend verbessert werden.

Die Neuwahlen am 23. Februar bieten die Chance, dass eine neue Regierung die richtigen Entscheidungen trifft, die auch zu einem Stimmungsumschwung in unserem Land beitragen.

Friedrich Ebert hat einmal gesagt: „Demokratie braucht Demokraten!“ Diese einfachen Worte erinnern uns daran, dass eine funktionierende Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Sie erfordert das aktive Engagement und die Mitwirkung jedes Einzelnen von uns. In Zeiten zunehmender Polarisierung und Herausforderungen für unsere demokratischen Institutionen ist es wichtiger denn je, dass wir uns als Bürgerinnen und Bürger einbringen und unsere Stimme nutzen.

Jede Stimme zählt und jeder von uns trägt Verantwortung für die Zukunft unseres Landes.

Machen wir also alle am 23. Februar 2025 von unserem Wahlrecht Gebrauch – mit dem nötigen Ernst und Verantwortungsbewusstsein, aber auch mit dem Wissen, dass gute Bürgerbeteiligung wie Weihnachten ist, weil man vorher nie genau weiß, was man wirklich bekommt. Denn selbst wenn die Parteien aus ökonomischer Sicht die richtigen Pläne verkünden (von denen ohnehin fast jeder eine andere Vorstellung hat), heißt das noch lange nicht, dass sie damit die Bürgerinnen und Bürger für sich gewinnen können.

Bundestagswahl mit Chancen und Risiken

Deshalb wagen es nur wenige Parteien, die unangenehmen Folgen notwendiger Reformen zu thematisieren.

Denn fast jede notwendige Reform folgt dem so genannten J-Kurven-Effekt: Es dauert, bis die Maßnahmen positive Wirkungen entfalten, und bis eine Verbesserung eintritt, kann sich die Situation weiter verschlechtern.

So ist auch im aktuellen Wahlkampf wieder zu beobachten, dass viele Parteien Wohltaten versprechen, deren Finanzierung aber weitgehend offen bleibt. Dass unser Sozialsystem an seine Grenzen stößt und aufgrund unserer demographischen Entwicklung in der jetzigen Form kaum noch finanzierbar ist, wird ebenso wenig thematisiert wie die Frage, wie man die steuerliche Entlastung von Unternehmen (und Privathaushalten?) finanzieren will, wenn man gleichzeitig nicht bereit ist, eine höhere Verschuldung in Kauf zu nehmen.

Das liegt aber nicht nur an den Parteien, sondern auch an uns Wählern, von denen die wenigsten bereit sind, unpopuläre Maßnahmen und deren Folgen mitzutragen.

Denn in einer Demokratie werden die meisten Reformer nach einer Legislaturperiode aus dem Amt gejagt.

Ein Blick zu unserem Nachbarn Frankreich

Schauen wir nur auf unser Nachbarland Frankreich, wo die Minderheitsregierung von Premierminister Bayrou gezwungen ist, die von Präsident Macron beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre im Jahr 2023 zur Disposition zu stellen, um ein Misstrauensvotum zu vermeiden. Als Ökonom kann man darüber nur den Kopf schütteln, denn auch in Frankreich müssten die Menschen eher länger arbeiten und später in Rente gehen als mit 64, wie bei uns.

Das ist die offensichtliche Schwäche demokratischer Abstimmungsprozesse: sie führen oft nicht zu optimalen Entscheidungen.

Die Lösung wäre ein „wohlwollender“ Diktator, der weitsichtig genug ist, die richtigen Entscheidungen zum Wohle des Volkes zu treffen. Aber das ist natürlich reine Phantasie.

Verlauf der Regierungsbildung essenziell für den wirtschaftlichen Ausblick

Auch nach der Bundestagswahl könnte die Phase der politischen Unsicherheit zunächst anhalten, da die Bildung einer neuen Bundesregierung schwierig und langwierig sein dürfte.

So hat ein von vielen Ökonomen favorisiertes Bündnis aus Union und FDP nach den derzeitigen Umfragen keine Chance auf eine Regierungsmehrheit, da die Liberalen in fast allen Umfragen unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen.

Das würde sich erst ändern, wenn die FDP mindestens sieben bis acht Prozent der Stimmen bekäme und die Union ein sehr gutes Ergebnis von über 35 Prozent erzielen würde. Hinzu bräuchte es viele Stimmen für Parteien, die den Einzug in den Bundestag nicht schaffen. Eine schwarz-grüne Koalition könnte zwar eine knappe Mehrheit erreichen, aber die CSU hat eine solche Koalition ausgeschlossen. Dann bliebe nur eine Neuauflage der Großen Koalition aus Union und SPD, da alle Parteien eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen haben. Mit einer GroKo würde aber kaum jemand Aufbruch und Reformen verbinden.

Quelle: https://dawum.de/Bundestag/YouGov/

DAX im Höhenrausch ­ Wie lange noch?

Am deutschen Aktienindex DAX sind die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes bislang abgeperlt.

Im Gegenteil: Mit einem Plus von fast 19 Prozent gehörte er im vergangenen Jahr zu den europäischen Indizes mit der besten Performance.

Diese beeindruckende Entwicklung ist allerdings zu einem großen Teil einem einzigen Unternehmen zu verdanken: SAP. Das Unternehmen profitierte vom weltweiten KI-Boom, der Aktienkurs stieg um rund 70 Prozent. Aufgrund des hohen Indexgewichts entfiel fast die Hälfte der DAX-Performance 2024 auf das Walldorfer Unternehmen. Auch in das neue Jahr ist der DAX mit Schwung gestartet und SAP gehört erneut zu den Top-Performern.

Mit 20.500 Punkten ist der Index nicht mehr weit von unserem Jahresendziel von 21.000 Punkten entfernt.

Ist unsere Einschätzung zu vorsichtig?

Für die Ableitung unseres Kursziels sind zwei Größen von elementarer Bedeutung: die Gewinnentwicklung der Unternehmen sowie die Bewertungsmultiplikatoren, die Anlegerinnen und Anleger an der Börse für den DAX zu zahlen bereit sind.

Legt man die Gewinnerwartungen der Unternehmensanalysten und das aktuelle DAX-KGV von 13,7 zugrunde, könnte der DAX bis zum Jahresende auf rund 23.000 Punkte steigen.

Unsere vorsichtigere Prognose beruht darauf, dass wir die Gewinnschätzungen für die Jahre 2025 und 2026 (+9,3 Prozent und +13,7 Prozent; Quelle: Factset) für zu optimistisch halten. Auch wenn die DAX-Unternehmen rund ein Viertel ihres Umsatzes in den USA erwirtschaften und von der guten Konjunktur dort profitieren, entfallen knapp 20 Prozent des Umsatzes auf Deutschland, rund 25 Prozent auf das übrige Europa und rund fünf Prozent auf China.

Aus diesem Grund erwarten wir für 2025 und 2026 nur Gewinnwachstumsraten von drei bzw. zehn Prozent und kommen so zu einem Kursziel von 21.000 Punkten.

Quelle: Factset

Bei einem Anstieg der Bewertungsmultiplikatoren (z.B. Anstieg des DAX-KGVs von derzeit 13,7 auf 15) ergäbe sich auch mit unseren niedrigeren Gewinnerwartungen ein Kursziel von knapp 23.000 Punkten. Voraussetzung für höhere Aktienmarktbewertungsmultiplikatoren wären vor allem sinkende Zinsen und Renditen.

Da wir für Euroland in diesem Jahr von mindestens vier Zinssenkungen der EZB um jeweils 100 Basispunkte ausgehen, sollten die Renditen europäischer Anleihen tendenziell sinken.

Für zehnjährige Bundesanleihen erwarten wir einen Renditerückgang auf knapp unter zwei Prozent zum Jahresende. Wichtiger sind jedoch die US-Renditen, für die wir nur einen leichten Rückgang prognostizieren. Aber auch dieser könnte den Bewertungen etwas Rückenwind geben.

Daher raten wir den Anlegerinnen und Anlegern, am Aktienmarkt investiert zu bleiben.

Kursziele können immer nur eine grobe Richtschnur sein, an der man sich orientieren kann. Und da wir vor allem für die US-Aktienmärkte optimistisch bleiben, könnten höhere Kurse jenseits des Atlantiks auch die Aktienmärkte hierzulande weiter nach oben ziehen.

Bild von Unsplash von Joseph Pearson

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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