Die Konjunkturprognose für 2020 wackelt
13. Februar 2020Rückblick 2018: Handelsstreitigkeiten, Brexit-Verhandlungen und die Probleme der Automobilindustrie haben Deutschland schwer getroffen. Die Konjunkturdynamik verlangsamte sich auf 1,5 Prozent. Anfang 2019 teilte das Statistische Bundesamt mit, dass das reale BIP 2019 gemäß seiner Schnellschätzung um 0,6 Prozent angestiegen sein dürfte. Daraus lässt sich aus der Gesamtjahreszahl schließen, dass die Wirtschaftsleistung im Q4 um rund 0,25 Prozent zugelegt haben muss. Wie ist die aktuelle Prognose für 2020?
Was bedeuten die Q4 Zahlen aus 2019 für 2020?
In den letzten Tagen wurden jedoch die Dezember-Daten zu den Einzelhandelsumsätzen, den Auftragsein-gängen, der Industrieproduktion und zum Außenhandel veröffentlicht. Auf den ersten Blick fallen die Zahlen enttäuschend, zum Teil sogar verheerend, aus. Die Ein-zelhandelsumsätze sind gegenüber dem Vormonat um 3,3 Prozent gesunken, sodass sich im Quartalsvergleich ein Minus von 0,6 Prozent ergibt. Ebenso schwach fie-len die Monatsvergleichswerte für den Auftragseingang mit minus 2,1 und die Industrieproduktion mit minus 3,5 Prozent aus. Noch stärkere Produktionsrückgänge gab es nur während der Finanz- und Wirtschaftskrise im November 2008 und Januar 2009. Der Teilbereich der Bauproduktion wies im Dezember einen Rückgang von 2,8 Prozent gegenüber dem Vormonat aus. Im gesamten vierten Quartal ist die Industrieproduktion um 1,9 und der Auftragseingang um 0,5 Prozent gegenüber dem dritten Quartal zurückgegangen, während beim Bau ein kleines Plus von 0,2 Prozent verzeichnet wurde. Etwas positiver fielen dagegen die Zahlen zum Außenhandel aus:
Die Exporte haben im Dezember leicht zugenommen (+0,1 Prozent), während die Importe gesunken sind (-0,7 Prozent).
Alles in allem haben in Q4 die Ausfuhren etwas stärker als die Einfuhren zugenommen. Was bedeuten diese Zahlen nun für das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal 2019 und für die Jahre 2019/2020?
Unseres Erachtens nach ist es sehr unwahrscheinlich, dass das deutsche BIP im vierten Quartal 2019 gegenüber dem Vorquartal gewachsen ist. Eine Regression zur Prognose des Wirtschaftswachstums mit den oben angeführten Variablen kommt zum Ergebnis, dass das reale BIP in Q4 2019 um 0,5 Prozent gesunken ist. Dies würde dazu führen, dass die Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr 2019 nur um 0,4 Prozent statt um 0,6 Prozent gewachsen ist. Ließen wir alle anderen bisherigen Annahmen für das Jahr 2020 unverändert, ergibt sich für dieses Jahr ein zu erwartendes Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent in der in Deutschland üblichen Abgrenzung (saison-, aber nicht kalenderbereinigt), während wir für dieses Jahr bislang von einem Wachstum von 1,1 Prozent ausgegangen sind.
Eine Vorschau auf die BIP Zahlen
Allerdings wird das Statistische Bundesamt, wenn es die detaillierten BIP-Zahlen für das vierte Quartal am 14. bzw. 25. Februar vorlegt, wohl keine so starke Revision seiner eigenen Schätzung vornehmen. Wir halten es von daher für wahrscheinlich, dass das BIP den offiziellen Zahlen zufolge nach nur um 0,1 Prozent gegenüber dem dritten Quartal 2019 gesunken ist, sodass sich für das Gesamtjahr 2019 eine Wachstumsrate von 0,5 Prozent ergibt. Beim privaten Verbrauch rechnen wir mit einem kleinen Plus von 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal, ebenso bei den Bauinvestitionen. Dagegen zeichnet sich bei den Ausrüstungsinvestitionen erneut ein dickes Minus von 2 bis 2,5 Prozent ab.
Vom Außenbeitrag ist kein oder allenfalls ein minimaler Wachstumsimpuls zu erwarten, und die Lagerveränderungen werden negativ zu Buche schlagen. Allein vom Staatsverbrauch ist eine positive Quartalsveränderung von 0,7 Prozent zu erwarten.
Bei unveränderten Annahmen für die einzelnen Quartale im Jahr 2020 ließe sich unsere ursprüngliche Wachstumsprognose für 2020 noch aufrechterhalten. Doch können die ursprünglichen Annahmen über den zu erwartenden Wachstumspfad im Jahr 2020 aufrechterhalten werden?
Die sehr schwachen Dezember-Daten lassen sich vermutlich relativ einfach erklären: Aufgrund der Lage der Feiertage war es vielen Arbeitnehmern leicht möglich, mit einer geringen Anzahl von Brückentagen den Urlaub zu verlängern. Dies dürfte ein entscheidender Faktor vor allem für die stark gesunkene Industrieproduktion (einschließlich Bau) und die geringe Anzahl an neuen Aufträgen gewesen sein; auch der Außenhandel wird unter diesem Effekt gelitten haben. Auf die Einzelhandelsumsätze dürfte sich der Arbeits-/ Urlaubstageeffekt dagegen weniger stark ausgewirkt haben, allerdings kam es in den vergangenen Jahren schon häufiger vor, dass die ursprünglich schwachen Dezember-Zahlen im Nachhinein deutlich nach oben revidiert wurden. Alles in allem machen wir uns wegen der sehr schwachen Konjunkturdaten zum Jahresende keine allzu großen Sorgen. Selbst wenn diese bestätigt werden sollten, spräche im Normalfall viel dafür, dass diese Schwäche im ersten Quartal 2020 wieder aufgeholt wird. Darauf deutet auch hin, dass sich im Januar und Anfang Februar viele Frühindikatoren positiv entwickelt haben, die somit auf eine konjunkturelle Erholung im weiteren Jahresverlauf hindeuten.
Das Coronavirus – Hat es Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum?
Allerdings hat genau die Annahme dieses Normalfalls zuletzt Risse bekommen. Dies ist auf den Ausbruch des Coronavirus (COVID-19) zurückzuführen, der vor allem in China das wirtschaftliche Leben beeinträchtigt. So stehen Fabriken und Bänder still, und Geschäfte haben geschlossen, weil die Menschen zu Hause bleiben sollen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die ökonomischen Auswirkungen der Krankheit lassen sich derzeit noch nicht seriös beziffern, aber der Vergleich mit der Lungenkrankheit SARS, an der in den Jahren 2002 und 2003 rund 8.000 Menschen erkrankten und 800 starben, zeigt, welche potenziellen Risiken bei einer Ausbreitung der Infektion drohen.
Das chinesische Wirtschaftswachstum verringerte sich beispielsweise von 11,1 Prozent im ersten Quartal 2003 auf 9,1 Prozent im zweiten Quartal. Das Wachstum der Industrieproduktion verringerte sich von fast 20 auf 14 Prozent, das der Einzelhandelsumsätze ging von zehn auf gut vier Prozent zurück.
Allerdings war der Spuk schnell vorüber, und die chinesische Wirtschaft erholte sich ab dem dritten Quartal 2003 wieder.
Im Moment halten wir ein ähnliches Szenario auch diesmal für wahrscheinlich. Offiziellen Zahlen der chinesischen Gesundheitsbehörde (NHC) zufolge geht die Zahl der Neuerkrankungen beim Coronavirus seit einigen Tagen zurück, allerdings sind mehr Menschen an COVID-19 erkrankt und gestorben als an SARS. Der Höhepunkt der Infektionswelle könnte mit etwas Glück bald erreicht sein. Allerdings gilt zu beachten, dass die meisten Volkswirte und Börsianer (uns eingeschlossen) bestenfalls Hobby-Virologen sind, d.h. letztendlich können sich diese Vermutungen auch als falsch erweisen. Dennoch wird es selbst bei einem schnellen Abebben der Krankheit vermutlich noch mindestens bis zum zweiten Quartal dauern, bis in China eine vollständige Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität erfolgt.
Dass die chinesische Wirtschaft in diesem Jahr mit der angestrebten Rate von sechs Prozent wächst, halten wir von daher für äußerst unwahrscheinlich. Das Wachstum dürfte wohl bestenfalls bei fünf und fünfeinhalb Prozent liegen, vielleicht sogar noch darunter. Die Bremseffekte für die Weltwirtschaft werden von daher spürbarer sein als es 2002/2003 der Fall gewesen ist. Damals hatte China einen Anteil von vier Prozent an der globalen Wirtschaft, heute sind es 16 Prozent.
Ein um 0,5 (1,0) Prozentpunkte geringeres Wachstum in China würde bei isolierter Betrachtung in diesem Jahr zu einem um rund 0,1 (0,2) Prozentpunkte geringeren globalen Wachstum führen.
Hinzu kommen jedoch weitere negative Multiplikatoreffekte, sodass die Weltwirtschaft 2020 nicht mit einer Rate von 3,3, sondern vielleicht nur mit einer von 3,0 oder 3,1 Prozent wachsen wird.
Was bedeutet das für den Aktienmarkt?
Das Coronavirus dürfte somit auch Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland haben. Schließlich ist China (vor den Niederlanden und den USA) unser wichtigster Handelspartner. Die für das erste Quartal erwartete Gegenbewegung auf das schwache Vorquartal dürfte schwächer ausfallen als ursprünglich von uns erwartet und erst später einsetzen. Das könnte bedeuten, dass das reale BIP 2020 nur um 0,8 Prozent wächst, sodass wir unsere Prognose um 0,3 Prozentpunkte reduzieren müssten. Berücksichtigt man, dass es in diesem Jahr deutlich mehr Arbeitstage als 2019 gibt und bereinigt man diesen Effekt, könnte das Wachstum in diesem Jahr mit 0,4 Prozent sogar niedriger ausfallen als im Vorjahr. Dies kann derzeit aber nur als erste grobe Einschätzung verstanden werden. Um die Konjunkturprognose anzupassen, müssen erst noch belastbarere Informationen vorliegen. Eine Rezession in Deutschland bleibt jedoch derzeit ein unwahrscheinliches Szeanrio.
Für Anleger gilt es von daher Ruhe zu bewahren und nicht auf einzelne Meldungen, seien sie positiv oder negativ, überzureagieren. Solange kein nachhaltiger konjunktureller Einbruch droht, dürften die Aktienmärkte durch die vermeintliche Konjunkturdelle hindurchschauen. Zudem können die Geld- (vor allem in den USA) bzw. die Fiskalpolitik (in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern) unterstützend eingreifen. Dabei gilt es besonders die wirtschaftliche Entwicklung in den USA im Blick zu behalten. Aufgrund der geringeren Außenhandelsverflechtungen der Vereinigten Staaten mit China ist die US-Wirtschaft weniger anfällig für eine wirtschaftliche Schwäche Chinas als dies beispielsweise für Deutschland der Fall ist. Auch aus diesem Grund macht es Sinn, in den Depots einen ordentlichen Anteil an US-Aktien zu halten. Würde sich aber auch die US-Wirtschaft am COVID-19 anstecken, müsste die gesamte Aktienquote doch auf den Prüfstand gestellt werden.
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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