Wirtschaft 2020: Ein Silberstreif am Horizont, aber Risiken bleiben

Zwei Jahre hat es gedauert bis der DAX einen neuen Rekord aufstellen konnte. Diese Durstrecke hat vor allem mit der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Die letzten Jahre verliefen aus konjunktureller Sicht enttäuschend. Vor allem Länder deren wirtschaftliche Aktivität stark auf Export und Industrie beruhen tragen die Hauptlast. Wie geht es 2020 weiter?

Fortführung des „Phase-1-Deal“ in Sicht?

Doch mittlerweile scheint aus wirtschaftlicher Sicht das Schlimmste überstanden zu sein. Darauf deuten einige wichtige konjunkturelle Frühindikatoren hin. Nachdem das Wachstum in Deutschland im zweiten und dritten Quartal letzten Jahres zum Erliegen gekommen war, haben sich das Ifo Geschäftsklima, die ZEW Konjunkturerwartungen und die Einkaufsmanagerindizes aus dem verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor zuletzt wieder etwas erholt. Im Schlussquartal 2019 war deswegen bereits wieder ein leichtes Wachstum zu verzeichnen. Ausschlaggebend für den zunehmenden Optimismus der Unternehmen ist in erster Linie der „Phase-1-Deal“ zwischen den USA und China.

Mit diesem Vertrag verpflichtet sich China in den nächsten beiden Jahren, seine Importe aus den USA gegenüber dem Jahr 2017 um 200 Milliarden US-Dollar zu steigern.

Im Gegenzug haben die USA auf die Erhebung weiterer Strafzölle verzichtet und für Importe aus China im Wert von rund 120 Milliarden US-Dollar den Zollsatz von 15 auf 7,5 Prozent halbiert. Die kompliziertesten Themen (Industriepolitik, Subventionen, Technologiediebstahl) wurden aber ausgespart, sodass völlig in den Sternen steht, ob Verhandlungen über ein „Phase-2-Abkommen“ überhaupt jemals aufgenommen werden. Washington dürfte zunächst abwarten, ob China seinen Versprechungen Taten folgen lässt. Schließlich hat das Reich der Mitte 2017 nur Waren im Wert von 120 Milliarden US-Dollar und Dienstleistungen in einem Umfang von 56 Milliarden US-Dollar aus den USA bezogen. Eine gute Verdopplung der Importe in zwei Jahren mutet man von daher als recht utopisch an.

Handelsabkommen zwischen der EU und USA – wie sind die Aussichten?

Allerdings dürfte Donald Trump in diesem Jahr wenig Lust verspüren, den Streit mit China auf die Spitze zu treiben: Seine Wiederwahl ist nämlich umso wahrscheinlicher, je besser die US-Wirtschaft läuft und je höher die Aktienkurse der US-Unternehmen stehen. Ein neuer Disput mit Peking käme da ungelegen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Vereinbarung zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt mehr ist als ein Burgfrieden. Bekommt Trump eine zweite Amtszeit als US-Präsident, steht eine erneute Verschärfung des Konflikts ab 2021 ins Haus.

Dass die USA weiter wirtschaftlichen Druck ausüben werden, um ihre Interessen durchzusetzen, zeigen die in Davos geäußerten Drohungen des US-Präsidenten gegenüber der EU, Strafzölle in Höhe von 25 Prozent für europäische Autos einzuführen.

Dies würde erwogen, falls es zu keinem neuen und umfassenden Handelsabkommen zwischen der USA und der EU käme oder falls europäische Länder eine Digitalsteuer einführen, die US-amerikanische Unternehmen trifft.

Zudem könnte ein Handelskrieg der USA mit der EU im Vergleich zu dem mit China deutlich kostspieliger werden, da Europa ein wesentlicher größerer Markt für die US-Unternehmen ist. So wurden 2018 Güter und Dienstleistungen im Wert von fast 575 Milliarden US-Dollar aus den USA in die EU exportiert. Mit anderen Worten: Der europäische Markt ist für die USA mehr als dreimal so groß wie der chinesische. Zudem ist das Defizit der USA im Handel mit Gütern und Dienstleistungen mit der EU (-168 bzw. +55 Milliarden US-Dollar) deutlich geringer als das gegenüber China (-420 bzw. +39 Milliarden US-Dollar). Von daher gehen wir davon aus, dass eine Eskalation des Streits mit der EU in diesem Jahr aus wahltaktischen Gründen ebenfalls unwahrscheinlich und somit eher ein Thema für 2021 oder später ist.

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Wie sind die IWF-Vorhersagen für 2020?

Auch beim Brexit, der 2018 und 2019 für Verunsicherung bei Konsumenten und Unternehmen gesorgt hat, stehen die Zeichen im Moment auf Entspannung. Großbritannien wird am 31. Januar 2020 aus der EU austreten und für eine Übergangsfrist – bis Ende des Jahres – beim Handel mit den europäischen Partnerländern wie ein normales EU-Mitglied behandelt werden. Zölle werden also nicht erhoben, dies sorgt für Planungssicherheit. Allerdings müssen sich Großbritannien und die EU bis Ende des Jahres auf einen neuen Handelsvertrag einigen, damit es nicht am 1. Januar 2021 doch noch zu einem harten Brexit kommt. Zwar ist dieser Zeitplan sehr ambitioniert, allerdings haben beide Seiten Interesse an einer Einigung, was die Chancen für eine rechtzeitige Vereinbarung erhöht.

Aus diesen Gründen rechnet der IWF für dieses Jahr mit einer leichten Konjunkturerholung und einem globalen Wachstum von 3,3 Prozent. Für 2019 wurde die Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft von bislang 3,0 auf 2,9 Prozent nach unten revidiert; dies ist der geringste Zuwachs seit der Finanzkrise 2008/2009. Während sich die konjunkturelle Dynamik in den Industrieländern 2020 von 1,7 auf 1,6 Prozent leicht abschwächt (hauptsächlich wegen eines geringeren Wachstums in den USA), geht der Währungsfonds von einer deutlichen Wachstumsbeschleunigung in den Schwellenländern aus (von 3,7 auf 4,4 Prozent).

Wir halten die Einschätzungen des IWF grundsätzlich für plausibel, wenngleich unsere eigenen Prognosen in einigen Details etwas verhaltener ausfallen.

Zwar erwarten wir 2020 auch ein stärkeres Wachstum in den Emerging Markets, allerdings könnte das Ausmaß der konjunkturellen Beschleunigung etwas geringer ausfallen.

Dies wird vor allem an der Entwicklung in China und in Indien hängen. Der IWF geht für die chinesische Wirtschaft von einer nur minimalen Wachstumsverlangsamung von 6,1 im letzten auf 6,0 in diesem Jahr aus, während wir eine etwas stärkere Abschwächung auf 5,8 Prozent erwarten. Für Indien, dessen Wirtschaft 2019 massiv enttäuscht hat (Wachstum 2018: 6,8 Prozent, 2019: 4,8 Prozent) und das vorrangig für das schwache Wachstum der Schwellenländer im letzten Jahr verantwortlich war, rechnet der IWF mit einer Erholung der Konjunkturdynamik auf 5,8 Prozent. Auch die Annahmen für Brasilien (2,2 Prozent Wachstum 2020 nach 1,2 Prozent) und Russland (1,9 nach 1,1 Prozent) sind aus unserer Sicht etwas zu optimistisch. Die Erholung der OECD-Frühindikatoren und der Einkaufsmanagerindizes spricht aber dafür, dass die Wirtschaft dieser Länder auf Erholungskurs ist.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich für Anleger aus dieser Entwicklung ziehen?

  1. Eine wirtschaftliche Erholung ist Voraussetzung dafür, dass risikobehaftete Anlagen auch 2020 eine positive Wertentwicklung zeigen. Die Aktienmärkte haben im vergangenen Jahr eine bessere Konjunkturentwicklung teilweise vorweggenommen und damit einen Vertrauensvorschuss gewährt. Dieser muss nun durch die Wirtschaftsdaten bestätigt werden. Die Erholung bei den Frühindikatoren spricht dafür, dass dies der Fall sein wird. Allerdings dürfte das Wirtschaftswachstum 2020 nur leicht anziehen.
  2. Aktien sind teuer geworden. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den S&P 500 ist mit knapp 19 so hoch wie zuletzt Anfang 2018. Damals war damit das Ende der Fahnenstange erreicht. Für weitere Impulse in diesem Jahr müssen eher die Unternehmensgewinne als die Bewertung sorgen. Die Analysten erwarten Gewinnsteigerungen von rund 10 Prozent in den nächsten beiden Jahren, wir halten ein Plus von sechs Prozent für realistischer. Bei einem unveränderten KGV könnte der S&P dann bis auf 3.570 Punkte ansteigen. Auch der DAX ist mit einem KGV von 14,4 so hoch bewertet wie seit dem Frühjahr 2015 nicht mehr. Die Gewinnerwartungen für 2020 (+11 Prozent) und 2021 (+12 Prozent) sind sogar noch optimistischer als dies in den USA der Fall ist und das bei geringerer wirtschaftlicher Dynamik. Unterstellt man wie beim S&P etwas geringere Zuwächse, muss man sich etwas strecken, um bei unveränderter Bewertung zu einem Kursziel von 14.000 Punkten zu kommen.
  3. Positive Signale für den US-Aktienmarkt gehen von der US-Berichtssaison aus. Von rund 60 Unternehmen, die bislang ihre Zahlen vorgelegt haben, konnten 75 Prozent die Gewinnerwartungen übertreffen (Q3: 78 Prozent), beim Umsatz überraschten 68 Prozent positiv (Q3: 59 Prozent). Nachdem im dritten Quartal 2019 die Unternehmensgewinne das erste Mal seit Q2 2016 gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken sind, halten wir es für so gut wie ausgeschlossen, dass sich dies in Q4 wiederholt hat. Stattdessen werden die Gewinne leicht angestiegen sein.
  4. Anleger sind in der Vergangenheit fast immer besser mit US-Aktien im Vergleich zu europäischen Titeln gefahren. In den letzten 30 Jahren hat sich der Stoxx 600 nur in der Zeit vom Frühjahr 2003 bis Sommer 2008 besser als der S&P 500 entwickelt – und auch das lag vornehmlich am Wechselkurs. Aufgrund der besseren Wirtschaftslage in den USA, der vorhandenen Möglichkeit weiterer Zinssenkungen und den bei vielen Unternehmen bestehenden umfangreichen Aktienrückkaufprogrammen setzen wir darauf, dass dieser Trend zunächst anhält. Darüber hinaus rücken die Schwellenländer aufgrund der erwarteten Konjunkturerholung für Anleger wieder stärker in den Fokus.
  5. Noch teurer als Aktien sind Anleihen. Mit Staatsanleihen ist in der nächsten Zeit aber kein Start zu machen, da deren Renditen leicht ansteigen werden, sodass die Kurse fallen. Hierfür sprechen zum einen die etwas besseren Konjunkturdaten und zum anderen die Tatsache, dass die Inflation ihren Tiefpunkt durchschritten hat. Eine Zinswende, die diese Bezeichnung verdient, ist dies aber nicht. Dazu müsste die internationale Geldpolitik restriktiver werden, was 2020 nicht der Fall sein dürfte. Unternehmensanleihen – auch mit sehr schlechtem Rating – bleiben deshalb unsere Favoriten, da die Ausfallwahrscheinlichkeiten gering sind und Anleger auf der Suche nach Rendite die Kurse weiter in die Höhe treiben.
  6. Neben einem möglichen Aufleben des Konflikts zwischen den USA und dem Iran stellt auch der Ausbruch des Coronavirus in China ein – temporäres? – Risiko für unsere Einschätzungen dar. Die Zahl der Ansteckungsfälle, wie auch die der Todesopfer, steigt sehr schnell an und sorgt damit für großes Medieninteresse. Käme es zu einer Pandemie, könnte dies nachhaltig negative Auswirkungen auf das Wachstum in den betroffenen Ländern haben, weil Menschen weniger reisen und konsumieren. Aktien von Transportunternehmen, Reiseveranstaltern, Luxusgüterherstellern und -händlern sowie Kasinobetreibern sind üblicherweise die ersten, die in Mitleidenschaft gezogen werden. Erfahrungen mit der SARS-Lungenkrankheit in den Jahren 2002/2003 und dem Grippevirus H1N1 in 2009 zeigen, dass die Aktienmärkte zunächst sehr negativ auf diese Nachrichten reagieren. Solange die Zahl der Neuerkrankungen ansteigt, können Aktien unter Druck bleiben und im Gegenzug sichere Anlagen wie Staatsanleihen profitieren. Bislang waren dies aber zum Glück immer relativ kurze Episoden und die Kurse holten schnell wieder ihre zuvor erlittenen Verluste auf, sobald die Krankheit eingedämmt wurde.

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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