Weltwirtschaft auf Schlingerkurs: was das für die Finanzstabilität bedeutet
21. Oktober 2019Der Internationale Währungsfonds hat in der vergangenen Woche seine neuen Prognosen für das Wachstum der Weltwirtschaft veröffentlicht. Wie die Rate der Schwellen- und Industrieländer aussieht und welche Rolle Deutschland hierbei einnimmt, Chefvolkswirt Carsten Klude gibt Ihnen den Überblick.
In diesem Jahr wird das globale Wachstum gerade noch einen Wert von drei Prozent erreichen.
Das ist der geringste Zuwachs seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009.
Ähnlich schwach war die globale Konjunktur davor in den Jahren 2001 und 2002 mit Wachstumsraten von zweieinhalb und ebenfalls drei Prozent.
- Der Handelsstreit zwischen den USA und China,
- die sich in die Länge ziehenden Austrittsverhandlungen Großbritanniens mit der EU,
- aber auch strukturelle Belastungsfaktoren, wie ein geringes Produktivitätswachstum und negative Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Industrieländer, fordern ihren Tribut.
Die Konjunkturprognosen des Währungsfonds aus dem Oktober 2018 (3,7 Prozent) und April 2019 (3,3 Prozent) haben sich als zu optimistisch erwiesen.
Wie so häufig in der Vergangenheit gehen die Ökonomen des IWF jedoch davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage schon bald wieder verbessern wird.
Für 2020 wird ein Weltwirtschaftswachstum von 3,4 Prozent prognostiziert. Allerdings räumt man ein, dass diese Vorhersage auf wackeligen Beinen stehe und die Abwärtsrisiken bei dieser Prognose überwiegen. Das hängt damit zusammen, dass die erwartete Beschleunigung der Konjunkturdynamik zu rund 70 Prozent auf der Annahme beruht, dass sich das Wachstum in einer kleinen Gruppe von Schwellenländern im kommenden Jahr deutlich erholt.
Anteil der Schwellenländer an dem Weltwirtschaftswachstum
Während die gesamten Schwellenländer 2018 eine Wachstumsrate von 4,5 Prozent erreichten, werden es 2019 nur 3,9 Prozent sein. 2020 sollen sie dann wieder mit einer Rate von 4,6 Prozent wachsen. Zur Hälfte soll das stärkere Wachstum auf ein Ende bzw. eine Abschwächung der Rezession in Ländern beruhen, wie
- der Türkei (+3,0 Prozent Wachstum in 2020 nach 0,2 Prozent in 2019),
- Argentinien (-1,3 Prozent nach -3,1 Prozent),
- Venezuela (-10 Prozent nach -35 Prozent) und
- dem Iran (0,0 Prozent nach -9,5 Prozent),
zur anderen Hälfte auf einer konjunkturelle Erholung in
- Brasilien (2,0 Prozent nach 0,9 Prozent),
- Mexiko (1,3 Prozent nach 0,4 Prozent),
- Indien (7,0 Prozent nach 6,1 Prozent),
- Russland (1,9 Prozent nach 1,1 Prozent) und
- Saudi-Arabien (2,2 Prozent nach 0,2 Prozent).
Wird es zu einer positiven Entwicklung wirklich kommen?
Unseres Erachtens nach ist das fraglich. Zum einen sprechen die anhaltenden politischen Spannungen zwischen den USA und der Türkei sowie dem Iran gegen eine nachhaltige Konjunkturerholung in den beiden Ländern, zum andern anderen hängt die wirtschaftliche Entwicklung fast aller Schwellenländer (mit Ausnahme Indiens) vorrangig von der Entwicklung des Welthandels ab. Hier ist aber bislang keine Erholung in Sicht.
Wirtschaftswachstum in den Industrieländern: hoch hinaus, gleichbleibend oder tiefer Fall?
Für die Industrieländer geht der IWF davon aus, dass sich deren Wachstum 2020 mit 1,7 Prozent nicht gegenüber diesem Jahr verändert.
- Einem etwas schwächeren Wachstum in den USA (2,1 nach 2,4 Prozent) und
- in Japan (0,5 nach 0,9 Prozent) soll ein
- stärkeres Wachstum in der Eurozone (1,4 nach 1,2 Prozent),
- in Großbritannien (1,4 nach 1,2 Prozent) und
- in Kanada (1,8 nach 1,5 Prozent) gegenüberstehen.
Angesichts der sich abschwächenden Frühindikatoren scheint uns aber sowohl die US-Prognose, als auch die für die Eurozone zu optimistisch zu sein. Zumal das höhere Wachstum in der Eurozone auch darauf zurückzuführen ist, dass sich das deutsche Wachstum von 0,5 auf 1,2 Prozent beschleunigen soll. Diese Verbesserung ist aber zu einem großen Teil auf einen rein statistischen Effekt zurückzuführen, weil es im Jahr 2020 mehr Arbeitstage in Deutschland geben wird.
Schwaches Weltwirtschaftswachstum trotz expansiver Geldpolitik
Es ist bemerkenswert, dass das Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr so schwach ausfällt, obwohl die Geldpolitik 2019 deutlich expansiver geworden ist. Von fast 40 Notenbanken, deren Geldpolitik wir verfolgen, haben in diesem Jahr 23 die Zinsen gesenkt, aber nur drei die Zinsen erhöht.
Im letzten Jahr war es genau umgekehrt, 23 Zinserhöhungen standen vier Senkungen gegenüber. Schätzungen des IWF zufolge würde das Wachstum in diesem und im nächsten Jahr ohne die monetäre Unterstützung rund einen halben Prozentpunkt geringer ausfallen.
Es ist von daher nicht überraschend, dass der Währungsfonds fordert, dass auch die Fiskalpolitik eine wichtigere Rolle spielen soll, zumal der Handlungsspielraum für eine noch expansivere Geldpolitik gering ist.
Länder, die über fiskalischen Spielraum verfügen – der IWF nennt explizit Deutschland, aber auch Länder wie Österreich und die Niederlande zählen hierzu – sollten diesen angesichts der niedrigen oder sogar negativen Zinsen für die Neukreditaufnahme nutzen.
Was diese Entwicklung für Anleger bedeutet
Die Zinssenkungen der Notenbanken haben die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Konsumenten verbessert und damit die wirtschaftliche Entwicklung positiv unterstützt. Dagegen sind Anleger aufgrund dieser Geldpolitik zugleich größere Risiken in ihrer Anlagepolitik eingegangen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Renditen für (vergleichsweise) sichere Staatsanleihen auf immer tiefere Niveaus gesunken sind. Die für viele Anleger notwendigen Erträge lassen sich somit, wenn überhaupt, nur dann noch erzielen, wenn man in riskantere und höher rentierende Anlageformen investiert, die aber zugleich fast immer auch illiquider sind. Dieses Problem betrifft vor allem die Eurozone, in der die EZB mit ihrer Geldpolitik Sparer, Banken und Versicherungen sowie die kapitalgedeckte Altersvorsorge vor immer größere Probleme stellt.
Institutionelle Anleger haben somit aufgrund ihrer großen Nachfrage nach ertragreicheren Anlagen dazu beigetragen, dass sich viele Unternehmen (und Staaten) immer stärker verschuldet haben. Nach Berechnungen des IWF haben die Risiken bei chinesischen und US-amerikanischen Unternehmen am stärksten zugenommen. Käme es zu einem nachhaltigeren wirtschaftlichen Abschwung, könnten viele Unternehmen, deren Bilanzqualität als schwach angesehen wird, ihre ausstehenden Zinszahlungen nicht mehr mit ihren Gewinnen finanzieren. Für einen solchen Fall wird die Kreditqualität von Unternehmen aus China, Spanien, Frankreich, UK, Italien, USA, Japan und Deutschland kritisch bewertet.
Aber nicht nur an den Anleihemärkten haben die Risiken nach Aussagen des Internationalen Währungsfonds zugenommen. Neben US-High-Yield-Unternehmensanleihen betrifft dies auch US-amerikanische und europäische Investmentgradeunternehmensanleihen sowie High-Yield-Staatsanleihen aus Schwellenländern. Auch einige Aktienmärkte scheinen mittlerweile zu hoch bewertet zu sein. Dieses Urteil fällt der IWF insbesondere für den japanischen und den US-amerikanischen Aktienmarkt. In der Eurozone und in vielen Schwellenländern werden die Bewertungen dagegen weitgehend als fair eingestuft.
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
Newsletter
Erfahren Sie von uns die wichtigsten Nachrichten über das Thema Geldanlage.
✓ jede Woche neu ✓ immer aktuell ✓ ohne Werbung ✓ jederzeit abbestellbar
Mit Warburg Navigator die passende Geldanlage finden
Investieren Sie Ihr Vermögen mit den Experten von M.M.Warburg & CO. Modern und unkompliziert.