Warum der Hype um die Inflation übertrieben ist

Das Thema „Inflation“ ist seit Monaten in aller Munde. Kein Wunder, denn mit 4,5% stiegen die Verbraucherpreise im Oktober in Deutschland so kräftig wie zuletzt im Wiedervereinigungsboom 1993. Warum die Inflationsrate aktuell so hoch ist und ob sie weiter ansteigen wird, erklärt unser Gastautor Professor Dr. Bandholz – ganz unideologisch anhand von Zahlen und Fakten.

Prof. Dr. Bandholz hat an der Universität Hamburg promoviert und arbeitete zuletzt als US-Chefvolkswirt bei der UniCredit Group in New York. Seit August 2019 ist er als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Kiel tätig.

Der amerikanische Ökonom Milton Friedman sagte einst (1963):

„Inflation is always and everywhere a monetary phenomenon in the sense that it is and can be produced only by a more rapid increase in the quantity of money than in output.“

Diese Beziehung hat in Form der Quantitätsgleichung und Quantitätstheorie Einzug in sämtliche Standardlehrbücher der Makroökonomie gehalten. Und aus theoretischer Sicht ergibt der postulierte Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau (und damit der Inflationsrate) zweifellos auch sehr viel Sinn.

Einziges Problem: Die Daten sprechen eine komplett andere Sprache.

Nachdem die Quantitätstheorie, also die Beziehung zwischen Geldmengenwachstum und Inflation, etwa bis zum Jahr 2000 noch recht gut funktionierte, verschwand der empirische Zusammenhang danach komplett. Ursächlich für dieses Auseinanderlaufen von Geldmenge und Inflation ist vor allem die gestiegene Nachfrage nach Liquidität bzw. die drastisch verlangsamte Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Einfach formuliert: Wenn die Wirtschaftssubjekte das höhere Geldangebot horten und nicht ausgeben, ergibt sich daraus auch kein inflationärer Druck. Erst wenn die Geldmenge ausgabenwirksam wird, steigen auch die Preise.

Gründe für die Inflation: Faktoren und Einflüsse

Anstelle der Geldmenge gibt es eine Vielzahl von anderen Faktoren und Einflüssen, die den aktuellen Preisanstieg verursacht haben. Diese werden in der öffentlichen Diskussion natürlich auch erwähnt – aber zumeist eben erst nach der expansiven Geldpolitik.
Meiner Ansicht nach sind sie aber haupt- bzw. alleinverantwortlich für die hohe Inflationsrate:

  • (i) das Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung,
  • (ii) die Anhebung der CO2-Steuer,
  • (iii) ein dramatischer Anstieg der Energiepreise und
  • (iv) Lieferengpässe für eine Vielzahl von Produkten.

Eine genaue Quantifizierung dieser Einflüsse ist freilich schwierig, zumal zahlreiche Produktgruppen von mehreren dieser Faktoren gleichzeitig betroffen sind. Aber nur einmal zur groben Einordnung:
Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes dürfte das Auslaufen der Mehrwertsteuer-Senkung die Inflationsrate aktuell um 0,75-1,0 Prozentpunkt nach oben drücken.

Der Sachverständigenrat hat zudem geschätzt, dass die CO2-Bepreisung (also die im Januar 2021 eingeführte CO2-Steuer) die Inflation in 2021 zusätzlich um 0,5 bis zu 1,1 Prozentpunkte anhebt. Die Bandbreite ergibt sich aus der Unsicherheit darüber, inwieweit die Produzenten die gestiegenen Kosten an den Endverbraucher weitergeben können. Damit addiert sich allein der Einfluss der steuerlichen Änderungen auf die Inflationsrate aktuell auf 1,25-2,1 Prozentpunkte!

Hinzu kommt, dass sich auch der Rohölpreis in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verdoppelt hat. Hauptgrund dafür ist, dass die spürbare Erholung der Nachfrage nach dem Ende der Lockdown Phase nicht von einer nennenswerten Produktionsausweitung durch die OPEC+ abgefedert wurde.

Der letzte Faktor ist die Kombination aus rasant steigender Nachfrage nach dem Ende der Pandemie, gestützt durch extrem hohe Sparquoten sowie massive Stimulus Programme, und gleichzeitigen Lieferengpässen. An dieser Stelle ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass diese Erholung der Wirtschaft sehnsüchtig erwünscht war und auch die Fiskalpolitik in vielen Ländern alles darangesetzt hat!

Um es zusammenzufassen: Die Gründe für die aktuell sehr hohen Inflationsraten sind höhere Steuern und Abgaben, in Kombination mit den Preiseffekten einer rasanten Erholung der Weltwirtschaft von der tiefen Rezession im Vorjahr. Die Zentralbanken dagegen haben damit zu diesem Zeitpunkt noch wenig zu tun.

Liegt das Gros der Preisanstiege hinter uns?

Es ist richtig, dass die Inflationsrate wohl noch bis Mitte 2022 bei über 2% liegen wird und sich auf dem Weg dahin sogar noch weiter (auf über 5% im November) beschleunigen könnte. Nicht richtig ist, dass diese Entwicklung notwendigerweise weiterhin steigende Preise impliziert. Hintergrund ist, dass die Inflationsrate die heutigen Preise mit den Preisen von vor einem Jahr vergleicht. Wenn also in einem Monat die Preise sehr stark zulegen, beeinflusst dieser monatliche Anstieg die Inflationsrate noch für weitere zwölf Monate. So dauert es zum Beispiel bis Januar 2022, bis die Effekte der Mehrwertsteuer-Erhöhung und der CO2-Bepreisung rausfallen, und sogar bis Juli, bis der kräftigste Anstieg der Energiepreise aus dem Sommer die Inflationsrate nicht mehr beeinflusst.

Wie geht es weiter? Wie weit steigt die Inflationsrate noch an?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Inflationsrate ab Dezember – im November dürfte der Hochpunkt erreicht sein – allmählich zurückgehen und im Laufe des kommenden Frühjahrs wieder in Richtung 2% fallen wird. Grund dafür sind, wie oben beschrieben, die auslaufenden Basiseffekte: Der Effekt der Mehrwertsteuer-Erhöhung verschwindet im Januar komplett, während die CO2-Steuer in 2022 weniger stark angehoben wird als in 2021.

Gleiches gilt für die Energiepreise. Selbst, wenn der Ölpreis noch ein wenig weiter nach oben driften sollte, wird sein Anstieg in 2022 erheblich niedriger ausfallen als es in diesem Jahr der Fall war. Und zu guter Letzt scheint sich die Situation bei den globalen Lieferketten allmählich zu bessern.

Was ist mit den Zweitrundeneffekten?

Angesichts der auslaufenden Basiseffekte, besteht wohl die größte Unsicherheit bezüglich des Inflationsausblickes in möglichen Zweitrundeneffekten:

Werden Arbeitnehmer für die höheren Preise kompensiert und können Unternehmen ihre gestiegenen Kosten an ihre Kunden weitergeben?

Aber auch hier bin ich zuversichtlich, dass die Preisanstiege nicht aus dem Ruder laufen werden. Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung sind die Tariflöhne im ersten Halbjahr 2021 um lediglich 1,6% angestiegen. Das ist der niedrigste Wert seit 2006. Zwar dürften die Abschlüsse in der zweiten Jahreshälfte das Gesamtergebnis noch ein wenig nach oben ziehen. Eine wesentliche Veränderung ist allerdings nicht zu erwarten, zumal nur wenige Tarifverträge auslaufen. So sind von den zwischen Oktober 2021 und Juni 2022 neu zu verhandelnden Verträgen lediglich 1,6 Mio. Arbeitnehmer betroffen.

Während der Anstieg der Lohnkosten also überschaubar bleiben dürfte, kämpfen viele Unternehmen nach wie vor mit kräftig angestiegenen Kosten für Energie und andere Rohstoffe sowie für Zwischenprodukte, die sie freilich gerne an den Endverbraucher weitergeben würden. Doch ob die Unternehmen dazu in der Lage sind, ist fraglich. Schließlich hängt die Preissetzungsmacht der Unternehmen sowohl von der internationalen Konkurrenz als auch von der Nachfrageseite ab.

Im Prinzip hätte man ähnliche Ergebnisse erzielen können, wenn man eine Münze geworfen hätte. Das ist frustrierend und erkenntnisreich zu gleich. Es zeigt auf, dass sich Märkte nicht so leicht ihre Geheimnisse entlocken lassen. Und die Schwarmintelligenz von Märkten führt eben doch dazu, dass grobe Fehlbewertungen von Aktien eher die Ausnahme als die Regel sind. Es ist natürlich trotzdem vollkommen legitim, wenn man als Investor nicht den Ehrgeiz aufgibt, Schnäppchen jagen zu wollen. Man sollte dies aber immer in großer Demut tun. Denn nicht selten entpuppt sich ein vermeintliches Schnäppchen später als Reinfall.

Besonders kritisch könnte das werden, wenn in den Transfer-Empfängerländern populistische Parteien den Ton in den Regierungen angeben und damit eine Politik betreiben, die von der Bevölkerung der Geberländer nicht mitgetragen wird. Daneben wird es für Menschen in den Ländern mit höherer Inflationsrate schwieriger, am Kapitalmarkt für das Alter vorzusorgen, da insbesondere weitgehend sichere Rentenanlagen vor dem Hintergrund künstlich tiefer Zinsen bei gleichzeitig erhöhter Inflation als Investment ausfallen.


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Wie reagieren jetzt die Zentralbanken und ihre Geldpolitik?

Für die Zentralbanken und ihre Geldpolitik ergibt sich aus dieser Ausgangslage ein schwieriger Balance-Akt. Dank der Impfungen hat sich die Situation gebessert, sodass die Zentralbanken über eine Rückführung der Krisen-Maßnahmen nachdenken.

Gleichzeitig zeigt der sprunghafte Anstieg der Inzidenzen in den vergangenen Tagen aber, dass die Unsicherheit nach wie vor hoch ist. Gerade bei den aktuell niedrigen Zinsniveaus könnte eine zu schnelle Beendigung des Stimulus hohe Kosten haben, da es wenig Spielraum gibt, einen möglichen Politikfehler durch spätere Zinssenkungen zu korrigieren.

Aber auch ein zu langes Warten birgt natürlich potenzielle Kosten. Das Hauptrisiko liegt im „Entankern“ der langfristigen Inflationserwartungen. Der IWF hat in seinem jüngsten World Economic Outlook betont, dass

„while monetary policy can generally look through transitory increases in inflation, central banks should be prepared to act quickly if the risks of rising inflation expectations become more material in this uncharted recovery.“

Für die Eurozone sind die langfristigen Inflationserwartungen in den vergangenen sechs Monaten in der Tat deutlich angestiegen sind. Sie liegen jetzt bei 1,8 (Median) bis 1,9% (Durchschnitt). Da sich die Zentralbanker aber bis zuletzt vor allem Gedanken über zu niedrige Inflationserwartungen machen, ist dieser Anstieg aber keinesfalls ein Grund zur Sorge – im Gegenteil.

Zinserhöhungen und Anleihenkäufe

Angesichts der wirtschaftlichen Normalisierung haben viele Zentralbanken in den vergangenen Wochen und Monaten damit begonnen, den geldpolitischen Stimulus zurückzufahren. Zinsanhebungen gab es unter anderem bereits in Korea, Norwegen, Neuseeland, Tschechien und Polen. Von den „Big 4“ scheint die Bank of England am weitesten zu sein. Hier wird allgemein von einer ersten Zinserhöhung im Dezember ausgegangen. Zudem hat die Federal Reserve angekündigt, die Geschwindigkeit ihrer Anleihenkäufe zu reduzieren. Zinserhöhungen werden hier allerdings erst frühestens Ende 2022 erwartet.

Die EZB hinkt dabei ein wenig hinterher. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Denn auch in der Vergangenheit lief die Geldpolitik in Europa der Entwicklung in den USA stets um ein paar Monate bis Quartale hinterher – sowohl bei Zinssenkungen als auch bei Zinserhöhungen. Im September hat die EZB angekündigt, die Anleihenkäufe im Rahmen des PEPP leicht zu reduzieren. Allerdings wurde gleichzeitig betont, dass das Programm mindestens bis März 2022 fortgesetzt wird, und in jedem Fall solange, bis die EZB davon überzeugt ist, dass die Corona-Krise vorbei ist. Zugleich sind hochrangige EZB-Mitglieder eifrig dabei, etwaige Zinserhöhungsphantasien an den Märkten zu ersticken.

Wie sich die Inflation entwickeln könnte

Das Risiko für den mittelfristigen Inflationsausblick zeigt dabei aus meiner Sicht nicht nach oben, sondern nach unten. Bereits zum Jahreswechsel 2022/23 dürfte die Inflationsrate in Deutschland wieder eher bei 1,5% als bei 2,5% liegen. Sobald die oben diskutierten Basiseffekte ausgelaufen sind, dürften nämlich die strukturellen Faktoren wieder überhandnehmen, die den Zentralbanken bereits vor der Corona-Krise das Leben schwergemacht haben. Dazu gehören etwa die anhaltende Digitalisierung und die Globalisierung.

Ein zusätzlicher Faktor könnte sein, dass Produzenten und Großhändler als Reaktion auf die aktuellen Lieferengpässe ihre Kapazitäten und Läger zu kräftig aufbauen. Das resultierende Überangebot würde dann die Preise drücken – quasi wie die erste Stufe des „Schweinezyklus“. Damit kann die EZB es sich leisten, den Stimulus nur langsam zurückzuführen.

Sorgen mache ich mir in der Tat um die Nebenwirkungen der lockeren Geldpolitik. Verschiedenste Vermögenspreise, von Aktien über Credit Spreads bis hin zu Cryptos und Immobilien sind kräftig angestiegen, und erscheinen vielerorts zu hoch. Aber es ist ja nun einmal so, dass die Steuerung der Vermögenspreise nicht in Verantwortung der Notenbanken fällt (dies ist ein Punkt, den ich persönlich für falsch halte) und stattdessen anhand von makroprudenziellen Instrumenten erfolgen sollte. Damit bleibt die Inflation.

Und hier ist die Situation weniger dramatisch als es der aktuelle Hype vermuten lässt. Denn wenn auf eine (Corona-bedingt) sehr niedrige Inflationsrate von 0,5% in 2020 im folgenden Jahr ein Preisanstieg von gut 3% folgt, beträgt die durchschnittliche Inflationsrate über beide Jahre hinweg gerade mal 1,8%. Also, wie Brad DeLong diese Woche in Project Syndicate formulierte: „Why all the inflation worries?„

Wir bedanken uns bei Herrn Professor Dr. Bandholz für diesen Beitrag.

Autor: Professor Dr. Bandholz

Prof. Dr. Bandholz hat an der Universität Hamburg promoviert und arbeitete zuletzt als US-Chefvolkswirt bei der UniCredit Group in New York. Seit August 2019 ist er als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Kiel tätig.

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