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Traditioneller chinesischer Tempel mit roten Laternen und steinernen Löwenstatuen, warme Beleuchtung, geheimnisvolle Atmosphäre.

Seltene Erden: Chinas Royal Flush 

Die bestmögliche Kartenkombination beim Poker nennt man Royal Flush. Das ist die höchste „Hand“, die man im Poker überhaupt haben kann. Sie ist einfach nicht zu schlagen. Mit dem Royal Flush auf der Hand gewinnt man automatisch die nächste Runde – man ist nicht zu stoppen, kann aber versuchen, den Gegner zum eigenen Vorteil mit Einsätzen „mitzunehmen“ und so zu probieren, den Einsatz aller zu maximieren, während man gleichzeitig weiß, dass man gar nicht verlieren kann.

Im Pokerspiel ist ein Royal Flush sehr selten, und das gilt auch für Analogien in der politischen Welt. Als die USA beispielsweise 1945 als einziges Land der Welt über eine Atombombe verfügten und auch bewiesen hatten, diese einsetzen zu wollen, verfügten sie über einen geopolitischen Royal Flush. China ist nun in gewisser Weise etwas Ähnliches gelungen: Mit einem Quasimonopol auf sogenannte Seltene Erden.

Was bedeutet das für Deutschland?

In Deutschland herrscht zumindest in der breiten Öffentlichkeit der Eindruck vor, dass wirtschaftlicher Erfolg primär davon abhängt, dass man über die richtigen Produkte verfügt, ständig innovativ bleibt und sich einfach anstrengt. Und daran ist zunächst nichts falsch, ganz im Gegenteil. Allerdings reicht das noch lange nicht aus.

Man braucht auch gute Standortbedingungen, und dazu gehören neben funktionierenden Behörden, akzeptablen Steuern und einem guten Bildungssystem eben auch so wenig romantische Sachverhalte wie der Zugang zu günstiger Energie und günstigen Rohstoffen, und das in sehr großem Stil. Wir haben in Deutschland zu oft die Vorstellung, dass die Wirtschaft von Luft und Liebe leben kann und verkennen, dass in der Produktion ohne Energie und Rohstoffe so gut wie nichts mehr geht.

In beiden Bereichen haben wir uns in Deutschland schon vor einigen Jahren selbst ein Bein gestellt.

Wir haben uns von russischem Gas auf eine fast schon realsatirische Art und Weise abhängig gemacht und zahlen dafür nun einen sehr hohen Preis. Und wir haben etwa ein Viertel der deutschen Stromproduktionskapazitäten durch das Abschalten von abgeschriebenen AKWs vom Netz genommen und dabei ernsthaft geglaubt, dass dies keinen großen Einfluss auf Knappheiten und Strompreise hat.

Dummerweise gibt es nun noch eine dritte Herausforderung, und die ist diesmal etwas weniger selbstverschuldet, aber mindestens ebenso dramatisch. Es geht um den Aufstieg Chinas als Quasimonopolist bei Seltenen Erden. Es sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass Seltene Erden eine existenzielle Rolle bei Industrieprodukten spielen.

Selten Erden – warum sind die so wichting?

Viele Seltene Erden sind so wichtig, dass ohne sie ganze Produktkategorien gar nicht mehr vorstellbar sind. Viele verstehen das nicht und vermuten, dass durch technologische Innovationen auf den Einsatz Seltener Erden verzichtet werden kann. In einigen wenigen Fällen ist das tatsächlich möglich, aber es gibt oftmals Anwendungsfälle, da sind physikalische und chemische Eigenschaften gefragt, die nur durch bestimmte Atome und Molekülgruppen erfüllt werden können.

Ein Beispiel ist Rhenium. Rhenium ist ein chemisches Element, dass in reiner Form in der Natur gar nicht vorkommt, sondern nur als Nebenprodukt zum Beispiel in der Kupferproduktion auftaucht.

Der Gewinnungsprozess ist äußerst umständlich, und nicht ohne Grund gehört es deswegen zu den teuersten Metallen der Welt. Das globale Produktionsvolumen ist sehr gering, aber es ist nahezu kriegsentscheidend (teilweise im wahrsten Sinne des Wortes). Ohne Rhenium lassen sich keine extrem leistungsfähigen Legierungen herstellen, die beispielsweise in Triebwerksschaufeln Verwendung finden. Ohne Rhenium gäbe es de facto keine leistungsfähigen und sparsamen Flugzeugtriebwerke, ohne Rhenium gäbe es keine leistungsfähigen Gasturbinen. Ohne Rhenium könnten auch keine Turbinen hergestellt werden, die umweltfreundlich Wasserstoff verbrennen.

Der Aufbau der Abhängingkeit Chinas

Nun wird die Rhenium-Förderung und Rhenium-Produktion weltweit noch nicht komplett von China dominiert, aber bei der großen Mehrheit aller anderen Seltenen Erden sieht das anders aus. In den meisten Fällen findet die Förderung von Seltenen Erden in China oder unter chinesischer Kontrolle in anderen Gegenden der Welt statt. Dazu gehört nicht nur der Zugriff auf die Minen, sondern auch die Kontrolle über die Logistik (Eisenbahnlinien, Häfen etc.) sowie die Weiterverarbeitung.

Hier haben die USA und Europa früher selbst über industrielle Fähigkeiten verfügt, die man dann gerne (und strategisch blind) Stück für Stück an China ausgelagert hat.

Die Gründe dafür waren vordergründig offensichtlich: Die Weiterverarbeitung Seltener Erden ist nicht selten umwelttechnisch ein ziemliches Desaster, und die Herstellung ist oftmals extrem energieintensiv. Solche Fähigkeiten inklusive notwendiger Logistikketten zurückzuholen, geht aber nicht über Nacht. China hat für das Erreichen der Quasimonopolstellung 30 Jahre und mehr gebraucht. Wir würden im Westen (auch in Deutschland) wohl mindestens 15 Jahre benötigen, bevor wir hier auch wieder nur annähernd handlungsfähig sind.

Bis dahin hält China ein geopolitisches Royal Flush in der Hand.

Aber während man beim Pokerspiel gar nicht weiß, was das Gegenüber im Schilde führt, ist es hier ganz offensichtlich, und trotzdem will es noch nicht jeder wahrhaben. Dabei ist die Lage eindeutig: Wir sind erpressbar. Bei jedem wie auch immer gearteten Konflikt hält China einen Trumpf in der Hand, dem nichts entgegenzusetzen ist. China kann die Industrieproduktion der westlichen Welt handstreichartig zum Erliegen bringen. Zum Teil lässt sich das durch nationale Reserven etwas entschärfen, aber das Grundproblem steht im Raum und wird auch in sehr vielen Jahren nicht strukturell kleiner.

Wird die Situation sich ändern?

China hat in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass man dort viel langfristiger und strategischer denkt, als wir uns das im Westen vorstellen können. Wir denken in Legislaturperioden, in China denkt man in Jahrzehnten. Wir haben wechselnde Regierungskonstellationen, in China ist die regierende Partei für die nächsten Jahrzehnte gesetzt. Der chinesische Präsident kann auf unbestimmte Zeit – im Prinzip bis zum Lebensende – weiter regieren. Nun muss es nicht zum Worst Case kommen. Auch China ist letztlich nicht an einer Eskalation der wirtschaftlichen und geopolitischen Lage interessiert.

Aber China hat ein Interesse, ganz wie ein Imperium aus vergangenen Zeiten, seine Macht auszuweiten und Regeln und Arbeitsweisen der globalen Zusammenarbeit zu seinem Vorteil zu verändern.

Das lässt vermuten, dass China immer wieder im Kontext Seltener Erden seine Muskeln wird spielen lassen, um eigene Interessen durchzusetzen. Und eigentlich passiert das schon jetzt. Denn China hat erst gerade die Ausfuhr von Seltenen Erden auch für Europa beschränkt. Das ist keine kleine Sache. Schon jetzt steht zu befürchten, dass Europa und die westliche Welt in den nächsten Monaten mit Engpässen in der Versorgung mit Seltenen Rohstoffen zu kämpfen haben. Dazu gehören Samarium, Gadolinium, Terbium, Dysprosium, Lutetium, Scandium und Yttrium, sowie nun auch Holmium, Erbium, Thulium, Europium und Ytterbium. Früher war man es in der Industrie gewöhnt, von China jederzeit mit der gewünschten Menge beliefert zu werden, nun beginnt möglicherweise eine Phase der Zuteilung.

Die Auswirkung an die Kapitelmärkte

An Kapitalmärkten kann das nicht ohne Schleifspuren vorbeiziehen. Unternehmen, die zwingend auf die Lieferung von Seltenen Erden angewiesen sind, müssen sich Sorgen um ihre Bewertung machen, denn hier etabliert und konkretisiert sich ein strukturelles Risiko, das vor einigen Monaten noch keine große Rolle spielte, nun aber bewertungsrelevant wird. Und selbst wenn man nicht direkt von der eingeschränkten Lieferung Seltener Erden betroffen sein sollte, so dürften sehr viele Unternehmen indirekt betroffen sein, weil sie wiederum auf Vorprodukte angewiesen sind, die nicht ohne seltene Erden auskommen.

Auch als Asset Manager ist man daher aufgerufen, seine Portfolios auf diese schwebenden Risiken hin zu untersuchen.

Doch hier liegt auch der Haken: Es gibt keine einfache Kennzahl, mit der man das „Exposure“ eines Unternehmens zum Thema Seltene Erden direkt messen könnte. Bei Bilanzkennzahlen herrscht große Transparenz, aber gerade bei einem jetzt so wichtigen Thema wie der Abhängigkeit von Seltenen Erden gibt es eine große Verunsicherung. So gesehen ist der Royal Flush Chinas nicht nur ein geopolitischer Coup – er hat eine potenziell gewaltige Relevanz für Kapitalmärkte.

Foto von Unsplash von Matze Bob.

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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