Schwächelnde Wirtschaft, höhere Zinsen: Kapitalmarktumfeld bleibt schwierig

Das Börsenjahr 2022 war nicht leicht für Anlegerinnen und Anleger: Die eingeleitete Zinswende der Notenbanken in den USA und in der Eurozone hat zu Turbulenzen an den Aktien- und Anleihenmärkten geführt. Nach dem letzten Zinsschritt hat jedoch die US-amerikanische Notenbank einen Kurswechsel angekündigt – hin zu einer langsameren Zinserhöhung. Ist das Ende des Zinserhöhungszyklus damit absehbar?

Aus Kapitalmarktsicht ist das Jahr 2022 bislang ein regelrechtes Horrorjahr gewesen. Mit den meisten Aktien ließ sich kein Geld verdienen, Anleihen verzeichneten nie dagewesene Kursverluste, die Goldpreisentwicklung blieb weit hinter den Erwartungen zurück, am Immobilienmarkt zeichnet sich eine deutliche Abkühlung ab und Kryptowährungen entwickelten sich besonders desaströs und zeigen, dass sie als Inflationsschutz völlig ungeeignet sind.

All diese Entwicklungen sind auf die schlechteren fundamentalen Rahmenbedingungen zurückzuführen: Die Weltwirtschaft kühlt sich ab und steht am Rande einer Rezession, gleichzeitig sind die Inflationsraten auf ein Rekordniveau angestiegen, sodass die Notenbanken ihre Geldpolitik in diesem Jahr deutlich gestrafft haben.

Ist also das Schlimmste überstanden?

Immerhin konnten sich die meisten Aktienindizes seit Anfang Oktober kräftig erholen, wobei die europäischen Börsen weit besser abschnitten als die US-Märkte. Fällt der wirtschaftliche Abschwung weniger deutlich aus als es die Frühindikatoren erwarten lassen? Gehören die hohen Preissteigerungsraten schon bald der Vergangenheit an?

Beim Blick auf die für Anleger und Anlegerinnen relevanten Daten lässt sich unseres Erachtens nach jedoch leider noch keine Entwarnung geben. Zwar ist es richtig, dass in Europa die im Sommer exorbitant stark gestiegenen Energiepreise zuletzt signifikant gesunken sind, wie nachhaltig dieser Preisrückgang ist, steht aber noch in den Sternen.

Glücklicherweise sind die deutschen Gasspeicher mittlerweile nahezu vollständig gefüllt, sodass die Gefahr einer Rationierung während der Wintermonate gesunken ist. Dennoch müsste man Meteorologe mit besonderer Weitsicht sein, um heute beurteilen zu können, ob wir einen milden, einen normalen oder einen harten Winter bekommen. Denn davon wird es abhängen, wie weit unsere Vorräte reichen werden.

Sollten die Preise weiter sinken, dürfte dies deutschen und europäischen Aktien aber weiterhin Rückenwind verleihen – vor allem auch relativ gesehen zu anderen Aktienmarktregionen. Umgekehrt gilt dies aber auch.

Wie hoch wird das Wirtschaftswachstum ausfallen?

Darüber hinaus haben deutsche und europäische Aktien zuletzt besser abgeschnitten als ihre US-Pendants, weil es Gerüchte gab, dass die chinesische Regierung schon sehr bald von ihrer bislang strikten Null-Covid-Politik abrücken könnte. Dies würde dazu führen, dass sich das Wachstum der chinesischen Wirtschaft, das auch unter den bislang immer wiederkehrenden Abriegelungen von Unternehmen, Städte und Regionen im Falle neuer Corona-Ausbrücke leidet, wieder erholt – wovon die wichtigsten Handelspartner Chinas (darunter Deutschland) überproportional profitieren könnten.

Angesichts der hohen wirtschaftlichen Kosten, die die Nulltoleranzpolitik Pekings mit sich bringt, sind diese Gerüchte zwar nachvollziehbar, dennoch ist davon auszugehen, dass eine komplette Öffnung der Wirtschaft eher eine Frage von Monaten als von Tagen oder Wochen sein wird. Aber selbst bei einem schnelleren Ausstieg aus der Null-Covid-Politik dürfte das Wirtschaftswachstum zunächst schwach bleiben, da der Immobilienmarkt weiterhin unter Druck steht und Chinas Exporte unter dem schwachen Wachstum der Weltwirtschaft leiden.

So fielen die Ausfuhren im Oktober mit einem kleinen Minus gegenüber dem Vorjahr unerwartet schwach aus, weil vor allem die Exporte in die USA und in die Eurozone schwächeln. Aber auch andere wichtige asiatische Exportnationen wie Südkorea und Taiwan berichten von einer deutlichen Verlangsamung ihres Außenhandels. Da die globalen Frühindikatoren auf eine zumindest leichte Rezession der Weltwirtschaft hindeuten, werden die Exporte Chinas auch in den nächsten Monaten sinken und damit die Wachstumsaussichten im Reich der Mitte belasten.

Kapitalmarkt: Zwischenwahlen in den USA sorgen für Entspannung

Aber nicht nur aus China sorgten politische Meldungen für eine positivere Stimmung am Aktienmarkt, auch in den USA führen die Zwischenwahlen dazu, dass sich die Situation am Kapitalmarkt zuletzt entspannt hat. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich die US-Aktienmärkte seit 1962 nach den Zwischenwahlen auf Sicht der folgenden sechs und 12 Monate immer positiv entwickelt haben.

In den drei Monaten nach den Zwischenwahlen (gerechnet vom 31. Oktober bis 31. Januar) kam es nur in den Jahren 1994, 2002, 2014 und 2018 zu einer leicht negativen Wertentwicklung. Aber Vorsicht: Für den DAX gilt diese Aussage nur mit großen Einschränkungen, denn für deutsche Aktien war die Wertentwicklung

  • 1970 (auf 12-Monatssicht),
  • 1978 (auf 3-, 6- und 12-Monatssicht),
  • 1986 (auf 3-, 6- und 12-Monatssicht),
  • 1990 (auf 3-Monatssicht),
  • 1994 (auf 3- und 6-Monatssicht),
  • 2002 (auf 3- und 6-Monatssicht),
  • 2010 (auf 12-Monatssicht) und
  • 2018 auf 3-Monatssicht negativ.

Warum haben sich die US-Aktienmärkte in der Vergangenheit nach Wahlen so gut entwickelt?

Das wichtigste Argument dürfte die nach den Wahlen schwindende Unsicherheit sein. Während die meisten Wählerinnen und Wähler politische Programme, die zu geringeren Steuern und weniger regulatorischen Vorschriften führen, bevorzugen dürften, zeigt sich, dass die Aktienmärkte unabhängig vom Wahlausgang und vom Wahlsieger zulegen konnten.

Insofern spricht vieles dafür, dass politischer Stillstand („gridlock“) das Hauptargument für steigende Kurse ist, denn bei den Zwischenwahlen verliert die Partei des US-Präsidenten im Normalfall ihre Mehrheit im Senat und/oder im Repräsentantenhaus. Zwar steht das finale Wahlergebnis der diesjährigen midterm elections bei der Veröffentlichung unserer Publikation noch nicht fest, dennoch deutet vieles darauf hin, dass die Republikaner die Mehrheit der Sitze im Repräsentantenhaus erobern werden.

Das bedeutet, dass in den kommenden zwei Jahren wahrscheinlich keine wichtigen Gesetze von hoher politischer Bedeutung verabschiedet werden.

Die Kapitalmärkte mögen es, wenn sich die Politik weniger stark einmischen und stattdessen „der Markt“ die Dinge regeln kann.

Dennoch ist aus unserer Sicht vor allem eines klar: Die Wahlen haben in erster Linie politische Folgen, die sich auf die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes und auf die zukünftigen Leiterinnen und Leiter wichtiger Kongressausschüsse auswirken. Für die Kapitalmärkte spielen jedoch wirtschaftliche Folgen und Entwicklungen die Hauptrolle; hierauf ist der Einfluss der Politik gering, vor allem bei einer Regierung, die nicht komplett in der Hand einer Partei liegt.

Für die weitere Aktienmarktentwicklung sind aus unserer vor allem zwei Fragen entscheidend – unabhängig von den Zwischenwahlen:

  1. Kommt es zu einer Rezession?
  2. Wie schnell gehen die Inflationsraten zurück?

Abgesehen von den Zwischenwahlen 1974 und 1990, wo die Rezession jeweils früh im Folgejahr endete, kam es nach den übrigen Zwischenwahlen nie zu einer deutlichen wirtschaftlichen Verlangsamung. Auch die Geldpolitik der US-Notenbank erwies sich in der Vergangenheit in diesen Zeiträumen nicht als Spielverderber. Doch genau bei diesen beiden Punkten ergeben sich mit dem Blick auf die nächsten Monate die größten Risiken.


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Entwicklung der Leitzinsen

Angesichts der Tatsache, dass die Inflationsrate ihren Höhepunkt zwar erreicht haben dürfte, der Preisdruck aber nur sehr langsam nachlässt, wird die US-Notenbank die Leitzinsen in den nächsten Monaten weiter erhöhen.

Dabei wird sie die Geschwindigkeit ihrer Zinsschritte verringern, doch der Endpunkt, die sogenannte „terminal rate“ dürfte oberhalb von fünf Prozent liegen. Dies spricht dafür, dass sich die gesamte US-Zinsstrukturkurve nach oben verschiebt und sich die Rendite für 2-, 10- und 30-jährige Staatsanleihen Richtung fünf Prozent bewegt.


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Ist ein Ende des schwierigen Kapitalmarktumfeldes in Sicht?

Gleichzeitig verschlechtert sich das wirtschaftliche Umfeld, sodass zu Beginn des Jahres 2023 zumindest eine leichte Rezession droht. Zwar sinken die Gewinnerwartungen für den S&P 500, doch dürften die Prognosen für das nächste Jahr noch zu optimistisch sein. Im Moment werden für 2022 und 2023 jeweils Gewinnsteigerungsraten von sechs Prozent erwartet; klammert man die Energie- und Rohstoffwerte aus, kommt man für dieses Jahr auf eine erwartete Ertragssteigerung von zwei und für nächstes Jahr von acht Prozent. Angesichts des geschilderten Konjunkturszenarios scheint uns dies für 2023 zu optimistisch zu sein.

In den vergangenen sechs Wochen hat der US-Aktienmarkt – im Unterschied zum bisherigen Jahresverlauf – nicht mehr auf die weiter ansteigenden Renditen reagiert. In den USA ist die Rendite für 10-jährige Staatsanleihen von 3,80 auf 4,15 Prozent angestiegen, für 30-jährige US-Treasuries von 3,76 auf 4,31 Prozent.

Diese Entwicklung hätte zu einer Verringerung der Aktienmarktmultiplikatoren führen müssen, die nur durch höhere Gewinnprognosen hätte kompensiert werden können. Doch dies war nicht der Fall, denn die Gewinnerwartungen für den S&P 500 für die kommenden 12 Monate sind seit dem 30. September von knapp 236 auf gut 229 Indexpunkte gefallen.

Ein simples Bewertungsmodell für den S&P 500 mit dem Kurs der 30-jährigen Staatsanleihe (deswegen ausgewählt, weil Aktien ebenfalls eine Anlageklasse mit langer Laufzeit sind) und den erwarteten Unternehmensgewinnen als erklärende Variablen für den US-Aktienmarkt kommt zu dem Ergebnis, dass der „faire Wert“ des S&P 500 aufgrund dieser Entwicklungen seit Ende September um zehn Prozent gesunken ist. Statt 3.300 Punkte prognostiziert dieses Modell derzeit nur noch einen Kurs des S&P 500 von knapp 3.000 Punkten.

Aus Sicht der fundamentalen Daten spricht somit einiges dafür, dass das schwierige Kapitalmarktumfeld noch nicht vorbei ist und wir es im Moment nur mit einer Zwischenerholung an der Börse zu tun haben.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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