Kommt es jetzt zu einer Rezession?

Das Thema Rezession ist derzeit in aller Munde und beschäftigt auch die Kapitalmärkte. Dabei sah es noch zu Beginn des Jahres so aus, als ob 2022 unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein gutes Jahr werden würde.

Sowohl realwirtschaftliche Daten als auch Frühindikatoren befanden sich zu der Zeit auf sehr hohen Niveaus und signalisierten eine Fortsetzung des Aufschwungs. Doch mit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine haben sich die ökonomischen Rahmenbedingungen kontinuierlich verschlechtert. Aufgrund der hohen Abhängigkeit von russischen Rohstoffen, vor allem von Öl und Gas, haben sich insbesondere in Europa und speziell bei uns in Deutschland die wirtschaftlichen Aussichten stark eingetrübt.

Wirtschaft: Der negative Trend setzt sich fort

Bereits vor dem Beginn des Krieges gab es Stagflationstendenzen, d. h. die Wirtschaft ist kaum gewachsen, während gleichzeitig die Inflationsrate kontinuierlich anstieg. Doch obwohl die Corona-bedingten wirtschaftlichen Einschränkungen hierzulande mittlerweile aufgehoben wurden, hat sich der negative Trend jedoch fortgesetzt.

Russland-Ukraine-Krieg: Konsequenzen für Russland und den Westen

Dies liegt vor allem daran, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine mittlerweile viereinhalb Monaten anhält und er sich wahrscheinlich auch noch über eine lange Zeit fortsetzen wird, denn eine diplomatische Lösung ist weiterhin nicht in Sicht. Einerseits hat Russland sicherlich die Wehrhaftigkeit und den Widerstandswillen der ukrainischen Bevölkerung unterschätzt, zumal auch die Waffenlieferungen des Westens mittlerweile Wirkung zeigen.

Andererseits zeigt sich aber auch, dass der Westen die Folgewirkungen der Sanktionen gegenüber Russland ebenfalls unterschätzt hat. So scheint die russische Wirtschaft zumindest bisher weniger unter den Sanktionen zu leiden als man vermutet hatte. Natürlich steht die russische Wirtschaft unter Druck und die Wirtschaft schrumpft, aber zumindest die offiziellen Daten, deren Glaubwürdigkeit man sicherlich hinterfragen muss, vermitteln den Eindruck, dass die Sanktionen bisher weniger Spuren hinterlassen haben als gedacht.

Das ist u. a. darauf zurückzuführen, dass sich die Rohstoffpreise seit Februar massiv verteuert haben, sodass die mengenmäßigen Ausfälle bislang weitgehend kompensiert werden konnten. Hinzu kommt, dass sich viele Länder nicht an den Sanktionen beteiligen, weil sie Öl und andere Rohstoffe direkt aus Russland mit einem Abschlag gegenüber den Weltmarktpreisen beziehen können. Zu den wichtigsten Kunden Russlands zählen vor allem Schwellenländer wie China, Indien, aber auch Südafrika.

Die Strategie des Westens, Russland komplett zu isolieren, ist bisher gescheitert.

Die westlichen Industrieländer müssen hingegen Rohstoffe zu den hohen Weltmarktpreisen kaufen. Dies belastet die Unternehmen, aber vor allem die Privathaushalte, deren Kaufkraft sich deutlich verringert hat.

Stellt Russland Erdgaslieferungen nach Westeuropa ganz ein?

Hinzu kommt die Unsicherheit über die zukünftige Versorgungslage, weil befürchtet wird, dass Russland seine Erdgaslieferungen nach Westeuropa, die Mitte Juni um 60 Prozent reduziert wurden, komplett einstellen könnte. Sollte dies der Fall sein, würden sich die Preise bei uns weiter verteuern. Dies hätte zum einen weitere negative Konsequenzen für die Budgets der Haushalte zur Folge, zum anderen würde dies die deutsche Industrie stark treffen, wenn es zu Produktionseinschränkungen oder -unterbrechungen käme. Hinzu kommt die politische Dimension, weil erstmals seit langem der soziale Frieden in Deutschland gefährdet ist.

Inflationsraten so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr

Als Folge der hohen Preissteigerungsraten – die Inflationsraten sind in den USA und in Europa so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr – sind die Notenbanken dazu übergegangen, die Zinsen zu erhöhen oder sie stellen dies – wie die EZB – in Aussicht. Die restriktivere Geldpolitik kommt eigentlich zur Unzeit, denn wenn sich die Wirtschaft abschwächt, müssten die Notenbanken unter konjunkturellen Gesichtspunkten die Zinsen eigentlich senken und nicht erhöhen. Somit wird die Wirtschaft auch von der Geldpolitik in die Zange genommen, sodass die Rezessionsgefahr steigt.

Aber was ist eine Rezession?

Bei einer Rezession handelt es sich um einen erheblichen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit, von dem die gesamte Volkswirtschaft betroffen ist und der länger als ein paar Monate anhält. Es gibt aber keine feste Definition, was „erheblich“ und „länger“ genau bedeutet und welche Konjunkturdaten für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage relevant sind.
Die meisten Volkswirte beobachten die Entwicklung der realen Einkommen, die Beschäftigung, den realen Konsum und die Industrieproduktion. Kapitalmärkte stellen dagegen oftmals auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ab, das als umfassendste Größe der wirtschaftlichen Aktivität in einem Land oder in einer Region gilt.

Von einer technischen Rezession spricht man beispielsweise dann, wenn das reale Bruttoinlandprodukt zwei Quartale hintereinander gegenüber den drei vorhergehenden Monaten gesunken ist, doch auch diese Betrachtung hat ihre Schwächen. In den USA hat das National Bureau of Economic Research (NBER) die Aufgabe, festzulegen, wann eine Rezession beginnt und wann sie endet.

Das Problem hierbei ist aber, dass das NBER erst mit einer zeitlichen Verzögerung feststellt, wann der Konjunkturzyklus gedreht hat. So wurde beispielsweise die US-Rezession von Dezember 2007 bis Mai 2009 im Dezember 2008 ausgerufen und im September 2010 für beendet erklärt.

Was die Frühindikatoren zeigen

Aufgrund dieser Probleme achten wir vor allem auf Frühindikatoren, zu denen beispielsweise Umfragen unter Unternehmen und Verbrauchern gehören, aber auch Daten zu Auftragseingängen oder der Geldmengenentwicklung. Aus den jüngsten Daten kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich das Wirtschaftswachstum in vielen Ländern und Regionen verlangsamt hat.

Vor allem die Industrie kämpft mit Gegenwind, dort haben sich die Rahmenbedingungen durch hohe Preise, einen Mangel an Fachkräften und Vorleistungsgütern sowie aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten deutlich verschlechtert. Im Dienstleistungssektor sieht es dagegen besser aus, dieser profitiert beispielsweise von den Corona-Lockerungen und den dadurch bedingten Nachhol- und Aufholeffekten. Zudem wird der Tourismus in den Sommermonaten die Wirtschaft stützen.

Doch ab dem vierten Quartal wird es schwieriger werden, die Nachholeffekte dürften dann auslaufen und die real verfügbaren Einkommen sinken, sodass eine Rezession nicht mehr ausgeschlossen werden kann.

Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession steigt, je nachdem ob Gaslieferungen eingestellt werden

Die große Unbekannte ist dabei, ob Russland nach den planmäßigen Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1, die zwischen dem 11. und 21. Juli stattfinden, die Gasbelieferung wieder aufnimmt oder nicht. Eine Einstellung der Gaslieferungen würde die Wahrscheinlichkeit einer Rezession deutlich erhöhen, weil die Speicher wahrscheinlich nicht ausreichen würden, um damit über den Winter zu kommen.

Aktuell liegt der Füllstand bei knapp 63 Prozent, für einen „normalen“, also nicht zu kalten Winter, müssten die Speicher mindestens zu etwa 80 Prozent befüllt sein. Selbst wenn man Kohlekraftwerke wieder ans Netz nimmt, dürfte es eng werden – Rationierungen wären dann wahrscheinlich, negative wirtschaftliche Konsequenzen, also eine Rezession, auch.


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Lässt sich eine Rezession also gar nicht mehr abwenden?

Wir gehen davon aus, dass Russland auch weiterhin auf Einnahmen aus Gaslieferungen in den Westen angewiesen ist, zumal diese angesichts der hohen Preise weiterhin sehr lukrativ für Moskau sind. Da Gas im Unterschied zu Öl und anderen Rohstoffen fast nur über Pipelines und nicht über Schiffe oder LKWs transportiert werden kann, ist es schwierig, kurzfristig andere Abnehmer zu finden. Fehlendes Gas könnte somit im Winter gar nicht das Hauptproblem der deutschen Wirtschaft sein.

Kritischer sehen wir hingegen die generelle deutsche Exportabhängigkeit. So wies die deutsche Handelsbilanz, also die Differenz zwischen Ex- und Importen, im Mai das erste Mal seit der deutschen Wiedervereinigung ein Minus auf. Mit knapp einer Milliarde Euro wurde das größte Defizit seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1962 erzielt.

Nachdem die deutsche Wirtschaft jahrzehntelang von ihrem Handelsüberschuss profitiert hat, sind diese Zeiten wohl nun erstmal vorbei, zumindest solange, wie die Importpreise so stark ansteigen wie es in den letzten Monaten der Fall gewesen ist. Denn die Importpreise sind zuletzt mit rund 30 Prozent fast doppelt so stark angestiegen wie die Exportpreise (+16 Prozent). Insofern dürfte vom deutschen Außenhandel schon im zweiten Quartal und vermutlich auch in der Folgezeit ein negativer Beitrag für das Wirtschaftswachstum ausgehen. Im zweiten und im dritten Quartal dürften der private Konsum, der Staatsverbrauch und die Investitionen die negativen Handelseffekte noch kompensieren können, doch im Winter ist ein Schrumpfen der Wirtschaft nicht auszuschließen.

Allerdings halten wir eine scharfe Rezession, wie beispielsweise während der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009, für unwahrscheinlich, da die deutsche Wirtschaft keine unnötigen Kapazitäten aufgebaut hat, die bereinigt werden müssen. Zudem ist die Verschuldung der meisten Privathaushalte eher gering und viele Unternehmen verfügen über solide Bilanzen. Ein wirtschaftlicher Einbruch ist somit unwahrscheinlich.



Was bedeutet das für die Aktienmärkte?

In Phasen einer konjunkturellen Abschwächung tun sich Aktien fast immer schwer, weil die Unternehmensgewinne als wichtiger singulärer Einflussfaktor der Aktienkurse unter Druck geraten können. Dies wird von den Märkten meistens frühzeitig eingepreist, deswegen verzeichnen Aktienmärkte meistens im Vorfeld und zu Beginn einer Rezession die schwächste Kursentwicklung.

Doch das Bild ist in solchen Marktphasen keineswegs einheitlich, manchmal laufen die Aktienkurse der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher, manchmal voraus. In der Vergangenheit gab es häufig Phasen, in denen die Aktienkurse schon vor der Wirtschaft ihren Tiefpunkt erreicht haben. Angesichts der Kursverluste in diesem Jahr liegt die Vermutung nahe, dass es auch diesmal so sein könnte, denn eine gewisse wirtschaftliche Abschwächung haben die Kapitalmärkte mittlerweile schon vorweggenommen, allerdings noch keine Rezession.

Die beste Phase für Aktien ist meistens die, wenn die Rezession gerade ihren Tiefpunkt erreicht hat. Aus diesem Grund sollte man die Frühindikatoren genau im Blick behalten. Denn sobald diese den Boden erreicht haben und sich wieder erholen, verbessern sich die Chancen für eine nachhaltige Kurserholung.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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