7 Thesen über das, was uns bevorstehen könnte

In gewisser Weise befindet sich die Welt – wie auch 1989 – wieder an einer historischen Wegmarke. Wieder wurde die Welt nahezu unvorbereitet davon getroffen, dass der Wind nun anders weht. Diesmal leider nicht als warmer Sommerwind, sondern als arktischer Gegenwind. Als Asset Manager hat man die Aufgabe, einen kühlen Kopf zu bewahren und Schlüsse aus den Geschehnissen zu ziehen. Welche Entwicklungen in der näheren und ferneren Zukunft zu erwarten sind und was dies jeweils für die Kapitalmärkte bedeuten könnte.

1989: Der Fall der Mauer

Wer nicht mehr ganz jung ist, kann sich vielleicht noch gut an den Fall der Mauer erinnern. Wer damals genau aufpasste, konnte schon vor dem Fall der Mauer zarte Anzeichen für einen gewaltigen Umbruch erahnen – so schrieb beispielsweise Klaus Meine von den Scorpions schon im September 1989 (!) die bewegende Rockballade „Wind of Change“, mit der er die gewaltigen anstehenden Veränderungen fast auf gespenstische Art antizipierte.

Trotzdem traf der Fall der Mauer und letztlich damit das Ende des kalten Krieges die Welt wie ein Schlag. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft waren kollektiv weitgehend unvorbereitet auf das, was folgte. Die mangelnde Vorbereitung war allerdings nicht wirklich problematisch, da es sich ja um eine grundlegend positive Veränderung handelte.

In Folge der Ereignisse konnte für etwa drei Jahrzehnte eine gewaltige Friedensdividende in Form geringer Rüstungsausgaben und einer deutlichen Zunahme der Globalisierung vereinnahmt werden. Der ungehinderte Austausch auch im Bereich der Wissenschaften führte zu erstaunlichen technologischen Entwicklungen und einem nie zuvor dagewesenen Wohlstand der gesamten Erdbevölkerung, auch wenn natürlich lange nicht alle Probleme überwunden wurden. Und so hieß es bei den Scorpions zu Recht:

Listening to the wind of change
The world is closing in
Did you ever think
That we could be so close, like brothers

The future’s in the air
Can feel it everywhere
Blowing with the wind of change


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Die Welt steht wieder einem Wandel bevor

Leider ist das nun erst einmal vorbei. In gewisser Weise befindet sich die Welt wieder an einer historischen Wegmarke; vermutlich noch markanter als 1989. Auch diesmal konnte man ahnen, dass der Wind drehen würde – man musste allerdings genau hinhören und auch hinhören wollen. Aber wieder wurde die Welt nahezu unvorbereitet davon getroffen, dass der Wind nun anders weht. Diesmal leider nicht als warmer Sommerwind, sondern als arktischer Gegenwind, der selbst im besten Fall noch zu viel Tod und Leid führen wird.

Aktuelles Weltgeschehen: Wie sich die Kapitalmärkte entwickeln könnte

Auch wenn es zynisch klingt – als Asset Manager hat man die Aufgabe, trotz des Leides auch in solchen Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren und Schlüsse aus den Geschehnissen zu ziehen. Das ist nicht einfach, denn Referenzszenarien für die aktuelle Gemengelage an Problemen gibt es kaum. Da kann es helfen, Thesen darüber aufzustellen, welche Entwicklungen in der näheren und ferneren Zukunft zu erwarten sind und was dies jeweils für die Kapitalmärkte bedeuten könnte.

Wir sind uns darüber bewusst, dass sich jede dieser Thesen als falsch herausstellen könnte. Und in vielen Fällen wären wir aus humanitärer Perspektive sogar froh, wenn wir falsch lägen. Manchmal muss man aber bereit sein, auch unbequemen Wahrheiten oder Möglichkeiten ins Auge zu schauen – eine Fähigkeit, die gerade die westliche Gesellschaft und insbesondere die deutsche Gesellschaft ein wenig verlernt hat.

7 Thesen, die Orientierung über das bieten können, was uns bevorsteht:

  1. Putin hat sein Kriegsziel, in kurzer Zeit eine Marionettenregierung in der Ukraine zu installieren, nicht erreicht. Auch ein schneller klassischer militärischer Sieg Russlands ist nicht mehr zu erwarten. Viel wahrscheinlicher ist ein monatelanger, aufreibender Krieg, der – angeheizt durch weitere bewusst eingegangene Kriegsverbrechen der russischen Armee – zu ungeahnten Flüchtlingsströmen führen wird. Es ist zu befürchten, dass am Ende dieses Krieges große Teile der Ukraine entvölkert sind. Eine Verhandlungslösung, die zu einem schnellen Frieden führt, erscheint unwahrscheinlich.
  2. Die vom Westen ausgesprochenen Sanktionen entfalten keine hinreichende Wirkung. Zudem ist der Schachzug Putins, Zahlungen für Gas ab jetzt in Rubel zu verlangen, ausgesprochen geschickt und unterminiert die Sanktionen erheblich. Die Gefahr eines echten Embargos auf Öl, Gas und Kohle ist größer geworden, auch wenn dies kaum einer glauben mag.
  3. Im Zuge einer weiteren Zuspitzung des Konfliktes wird sich China überlegen müssen, wie man sich positioniert. Angesichts eigener Pläne, in Taiwan einzumarschieren, wird sich China nicht signifikant von Russland distanzieren und ganz im Gegenteil sogar helfen, Sanktionen zu umgehen. Eine weitere Abkühlung des Verhältnisses zwischen der westlichen Welt und China ist kaum abzuwenden und führt zu einer weiteren Deglobalisierung. Lieferkettenprobleme werden noch für mehrere Jahre die Wirtschaft belasten.
  4. Es wird viel länger als erhofft dauern, russisches Gas durch Gas aus anderen Regionen zu ersetzten. Zudem sollten wir uns darüber bewusst sein, dass sich die Lieferanten im Nahen Osten in den letzten Jahren deutlich in Richtung Russland und China geöffnet haben. Wir begeben uns hier von einer ungünstigen Abhängigkeit in eine andere ungünstige Abhängigkeit. Dementsprechend knapp und teuer wird Energie im Laufe der nächsten Jahre sein und bleiben. Es profitieren die USA, die ihre Öl- und Gasproduktion massiv ausweiten können und auch werden.
  5. Fehlende Düngemittel (Ammonium-Nitrat und Kali kommen zu großen Anteilen aus Russland) sowie ausfallende Ernten in der Ukraine führen zu größeren Hungersnöten und Futtermittelknappheit für Tiere.
  6. Die Stimmung der Konsumenten wird in Europa über längere Zeit auf extrem niedrigen Niveau verbleiben; in den USA ist dies weniger der Fall. Insgesamt sind die Konjunkturerwartungen für die westliche Welt aber noch zu optimistisch. Die restriktivere Geldpolitik wird in den kommenden Quartalen zu negativen realwirtschaftliche Effekten führen, wobei unsere Konjunkturmodelle schon jetzt eine deutlich rückläufige konjunkturelle Dynamik in den USA und Europa anzeigen.
  7. Die Verschuldung von Staaten wird dramatisch ansteigen. Allein im Bereich der Rüstung sind signifikante Anstrengungen zu finanzieren. Als beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland noch eine funktionierende Bundeswehr hatte, wurden drei bis vier Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben. Die jetzt geplanten zwei Prozent reichen für eine wirksame Abschreckung nicht aus, wenn das Schlachtfeld eines dritten Weltkrieges vermutlich Deutschland wäre. Zudem wird die Ukraine aufgebaut werden müssen.
    Wenn es letztlich gelingt, eine russische Marionettenregierung zu verhindern und ein westliches Gesellschaftsmodell beizubehalten, wird vor allem die EU die Rechnung für diesen Aufbau zahlen. Eine Vergemeinschaftung von Schulden ist damit auf EU-Ebene noch wahrscheinlicher geworden. Deutschland sollte daher keine Hemmungen haben, in den kommenden Jahren die Verschuldung dramatisch für eigene Zwecke auszuweiten. Jeder Euro, der jetzt gespart wird, bildet zusätzliches Verschuldungspotenzial zu Gunsten einer EU-Schuldenunion. Deutschland würde durch Sparen also doppelt bestraft: Man verzichtet auf eigenen Konsum und eigene Investitionen und zahlt am Ende doch die Rechnung – aber dann für die ganze EU.   

Aktienmärkte halten bisher stand

Das sind alles keine günstigen Rahmenbedingungen. Daher ist es erstaunlich, wie gut sich die Aktienmärkte bisher gehalten haben – auch mit Blick auf das fast schon katastrophale Abscheiden an den Rentenmärkten. Muss dies als Zeichen der Stärke gewertet werden? Vielleicht schon. Offensichtlich gibt es nach wie vor eine gewaltige Liquidität bei gleichzeitig fehlenden Anlagealternativen.

Auf der anderen Seite erscheint es plausibel zu unterstellen, dass angesichts der derzeitigen Unsicherheiten die Kurs-Gewinn-Verhältnisse kein Schnäppchen mehr darstellen. Gewinne können aber trotzdem steigen; das gilt z.B. für Düngemittelhersteller sowie Werte aus dem Öl-, Agrar- und Rüstungssektor. Die USA sollten zudem weniger leiden als Europa. Eine passive Buy-and-Hold-Philosophie wird dieser komplexen Lage nicht gerecht.

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Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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