Nahostkonflikt überschattet erneut IWF Prognosen

Als der Internationale Währungsfonds (IWF) vor gut einem halben Jahr seine aktualisierten Prognosen vorstellte, wurden die wirtschaftlichen Einschätzungen vom Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel überschattet. So markierte der Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung am 7. Oktober 2023 den Beginn eines weiteren Krieges im Nahen Osten und forderte seitdem zahlreiche Opfer.

Sorge vor weiterer Eskalation

Rund ein halbes Jahr später wird das Prognose-Update des IWFs erneut vom Nahostkonflikt überschattet. Als Reaktion auf die israelischen Luftangriffe auf die iranische Vertretung im Damaskus Anfang April griff der Iran am vergangenen Wochenende mit Drohnen und Raketen Israel direkt an und schürte Sorgen vor einer weiteren Eskalation. Dank der Luftabwehr blieben Todesopfer aus und nur geringe materielle Schäden wurden verursacht.

Trotzdem stellte Israel klar, dass sie die Luftangriffe nicht unbeantwortet lassen werden, einen direkten Krieg aber vermeiden wollen.

Mit welchen Maßnahmen und zu welchem Zeitpunkt Israel reagieren wird, ist aktuell aber noch unklar.

S&P dennoch zugelegt

Auch wir können die weitere Entwicklung des Nahostkonflikts nur schwer abschätzen. Selbstverständlich hoffen wir auf Deeskalationsschritte aller beteiligten Parteien, sodass ein Flächenbrand im Nahen Osten vermieden werden kann.

Mit Blick auf die Märkte haben vergangene geopolitische Krisen aber gezeigt, dass sie kein Grund waren, die taktische Asset Allokation zu stark zu ändern oder Aktien gar komplett zu verkaufen.

Beispielsweise hat der S&P 500 seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 rund 15 Prozent an Wert zugelegt – zum damaligen Zeitpunkt sicherlich nur schwer vorstellbar. Allerdings hat die weitere Zuspitzung unterstrichen, dass geopolitische Krisen omnipräsent sind und zu den zentralen Risiken für die Weltwirtschaft in diesem Jahr zählen.

IWF: Chancen und Risiken sind ausgewogen

Auch wenn die jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Iran von den Ökonomen des IWFs in ihren Prognosen nicht explizit berücksichtigt wurden, heben die Autoren in dem am Dienstag vorgestellten Update das Risiko einer weiteren geoökonomischen Fragmentierung hervor.

Dabei gehen von einer weiteren Verschärfung geopolitischer Krisen mit Blick auf die Wirtschaft insbesondere zwei Risiken aus:

  1. Erstens erschwert eine weitere Eskalation den Waren-, Kapital- sowie Personenverkehr, was wiederum zu Engpässen auf der Angebotsseite führt.
  2. Zweitens tangiert eine Zuspitzung geopolitischer Krisen insbesondere die Energiepreise und damit den Rückgang der Inflationsrate negativ, sodass die Notenbanken länger an einem restriktiven geldpolitischen Kurs festhalten müssen.

Insgesamt bewertet der IWF die Chancen und Risiken aber als ausgewogen, nachdem zuletzt die Risiken überwogen. Vor allem der Rückgang der Inflation habe die Abwärtsrisiken verringert. So sei der allgemeine Trend der globalen Inflationsentwicklung laut IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas ermutigend.

Aber nicht nur bei der Inflationsbekämpfung wurden Fortschritte verbucht, sondern auch die globale Wirtschaft hat trotz zahlreicher Warnungen vor einer globalen Rezession ein stetiges Wachstum verzeichnet.

Darüber hinaus ist Gourinchas mit Blick nach vorne verhalten optimistisch gestimmt und unterstreicht, dass die meisten Konjunkturindikatoren auf eine sanfte Landung der Wirtschaft hindeuten. Zusätzlicher Rückenwind für die globale Wirtschaft und Produktivität könne aus dem Einsatz künstlicher Intelligenz und neuen Strukturreformen resultieren.

Die Welt ist aus den Fugen – die Märkte bald auch?

Der fürchterliche Angriff der Hamas auf Israel hat geopolitische Überlegungen auch an den Märkten erneut in den Vordergrund treten lassen. Dabei ließe sich nicht…

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Wo hat der IWF Revisionen vorgenommen?

Im Vergleich zur letzten Veröffentlichung Ende Januar hat der IWF auf aggregierter Ebene nur geringfügige Anpassungen der BIP-Prognosen vorgenommen. So erwarten die Ökonomen für 2024 und 2025 jeweils ein globales Wirtschaftswachstum in Höhe von 3,2 Prozent (2024: +0,1 Prozentpunkte gegenüber der letzten Prognose; 2025: unverändert).

Damit bliebe das Expansionstempo im historischen Vergleich unterdurchschnittlich.

Das spiegele kurzfristige Faktoren wie die immer noch hohen Finanzierungskosten sowie den Wegfall der fiskalischen Unterstützung in vielen Volkswirtschaften wider. Aber auch längerfristige Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, des Krieges in der Ukraine und die zunehmende geoökonomische Fragmentierung schlügen sich nieder.

Prognose für die USA angehoben

Fallen die Revisionen auf globaler Ebene geringfügig aus, lassen sich auf Länderebene aber interessante Trends erkennen: Unter den Industrieländern sticht die Aufwärtsrevision für die USA hervor. Für die größte Volkswirtschaft der Welt passt der IWF seine BIP-Prognose für dieses Jahr um 0,6 Prozentpunkte auf 2,7 Prozent nach oben an. Entscheidend für den optimistischeren Ausblick sind die soliden Konjunkturdaten und der nach wie vor robuste US-Arbeitsmarkt.

Prognose für die Eurozone gesenkt

Im Gegenzug senkten die Volkswirte ihre Prognosen für die Eurozone und insbesondere für Deutschland (2024: 0,2 Prozent) sowie Frankreich (2024: 0,7 Prozent). Der IWF sieht die anhaltend schwache Verbraucherstimmung als Hauptgrund, seine Prognose für die beiden größten Volkswirtschaften um jeweils 0,3 Prozentpunkte nach unten anzupassen.

Prognose für Schwellen- und Entwicklungsländer

Unter den Schwellen- und Entwicklungsländern fallen vor allem die erneuten Aufwärtsrevisionen für Russland und Indien auf. Ausschlaggebend für den optimistischeren Ausblick der russischen Wirtschaft sind zum einen die hohen Staatsausgaben im Bereich der militärischen Aufrüstung und zum anderen die gestiegenen Transferzahlungen, die den privaten Konsum stärken. Für Indien wird weiterhin ein starkes Wachstum in 2024 von 6,8 Prozent (+0,3 Prozentpunkte gegenüber der letzten Prognose) erwartet, was insbesondere durch die anhaltende Stärke der Binnennachfrage sowie die steigende Bevölkerungszahl im erwerbsfähigen Alter erklärt wird.

Ein Abgleich der neuen Prognosen des IWFs mit den aktuellen S&P-Einkaufsmanagerindizes ist weitestgehend stimmig: Während die Stimmung der Unternehmensvertreter in den USA und Indien konstruktiv ausfällt, überwiegt in der Eurozone nach wie vor eine pessimistischere Konjunktureinschätzung.

Wie lautet unser Fazit?

Die neuen Einschätzungen des Internationalen Währungsfonds bestärken uns in unserer Auffassung, dass keine Gefahr einer globalen Rezession besteht, die Wachstumsaussichten aber eingetrübt bleiben. Vor allem in der Eurozone dürfte das reale BIP-Wachstum in den kommenden Quartalen unterdurchschnittlich ausfallen. Allerdings wurden die neuen Prognosen des IWFs diese Woche erneut vom Nahostkonflikt überschattet.

Geopolitische Risiken bleiben also nach wie vor omnipräsent und zählen zu den zentralen Herausforderungen für die Weltwirtschaft.

Um eine Eskalation im Nahen Osten zu vermeiden, ist es umso wichtiger, dass alle beteiligten Entscheidungsträger einen kühlen Kopf bewahren. Aber auch Investoren sollten nicht in Panik geraten und gar alle Aktien verkaufen, denn den richtigen Einstiegszeitpunkt zu erwischen ist in der Praxis fast unmöglich.

Foto von Cristina Gottardi auf Unsplash

Simon Landt

Autor: Simon Landt

Simon Landt hat einen Bachelor der Volkswirtschaftslehre der Universität Kiel sowie einen Master in Quantitative Finance und in Quantitative Economics an der Universität Kiel und an der School of Economics and Business der Universität Ljubljana absolviert. Nach seinem einjährigen Traineeprogramm startete er als Analyst im Makro Research. Seit Oktober 2021 arbeitet Simon Landt im Makro Research zusammen mit Carsten Klude und Dr. Christian Jasperneite. Er ist spezialisiert auf Analysen des aktuellen Marktumfeldes und die Bedeutung für Aktien- und Anleihenmärkte. Seit März 2024 unterrichtet Simon Landt den Masterkurs „Portfolio- und Assetmanagement“ an der Northern Business School.

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