Nachhaltiges Investieren: Dürfen Öl-Aktien Teil eines „grünen“ Portfolios sein?
18. Februar 2022Wie zielführend ist es, unter ESG-Gesichtspunkten ganze Branchen aus dem Investmentuniversum auszuschließen? Wir zeigen anhand der Öl- und Gasbranche auf, warum es u. a. kontraproduktiv sein kann, wenn man auf einen best-in-class-Ansatz komplett verzichtet.
In den letzten Jahren haben nachhaltige Investmentansätze gewaltige Liquiditätszuflüsse von Investoren erlebt. Jeden Monat werden weltweit Milliardenbeträge in Portfolios investiert, die den Anspruch haben, nur Aktien und Anleihen von Unternehmen zu halten, die im Einklang mit den Kriterien des nachhaltigen Investierens stehen.
Die Grundidee ist dabei recht einfach: Durch die resultierenden Umschichtungen in den Portfolios kommt es zu Kurseffekten, die wiederum Einfluss auf die Refinanzierungsbedingungen von Unternehmen haben. So führt der Ausschluss von Unternehmen, die aus ökologischer oder sozialer Sicht sowie unter dem Gesichtspunkt einer guten Unternehmensführung kritisch betrachtet werden müssen, zu einer gewünschten realwirtschaftlichen „Bestrafung“, während die „grünen“ Unternehmen für ihr Verhalten vom Kapitalmarkt belohnt werden.
Nachhaltig Investieren: Im Detail lauern einige Probleme
Was sich grundsätzlich vernünftig anhört und auch prinzipiell zielführend ist, weist allerdings im Detail einige Probleme auf. Nehmen wir als Beispiel Aktien aus dem Öl- oder Gassektor. Viele Asset Manager haben sich dazu entschieden, aus Gründen der Nachhaltigkeit gar keine Öl- und Gaswerte mehr im Portfolio zu halten. Auch von Seiten der Regulatorik gibt es Bestrebungen, das Halten von Öl- und Gasaktien mit den Zielen der Nachhaltigkeit für unvereinbar zu erklären.
Sollte sich diese Sichtweise durchsetzen, hätte dies mehrere Konsequenzen.
- Die naheliegende Konsequenz betrifft die resultierende Portfoliokonstruktion und die daraus möglicherweise folgenden negativen Effekte auf die Diversifikation und die Wertentwicklung.
- Daneben wäre aber auch zu klären, ob man tatsächlich den aus Sicht des nachhaltigen Investierens gewünschten Effekt erzielt, wenn man Öl- und Gaswerte pauschal aus Portfolios verbannt.
Fangen wir mit der Diversifikation und den Performanceeffekten an
So ist der Anteil des Öl- und Gassektors im breiten europäischen Aktienmarkt gemessen am STOXX 600 über viele Jahre nahezu kontinuierlich gefallen. Während das Gewicht des Sektors vor etwa zehn Jahren noch bis zu elf Prozent des Gesamtmarktes ausmachte, ist das Gewicht 2020 auf fast drei Prozent gefallen und hat sich auf etwa fünf Prozent am aktuellen Rand erholt.
Angesichts des vergleichsweise niedrigen Gewichts des Sektors ist der Einfluss auf die Wertentwicklung des STOXX 600 begrenzt. Das zeigt sich sowohl in einem begrenzten Diversifikationseffekt als auch in einem begrenzten Performanceeffekt. So hat sich der STOXX 600 seit 2010 weitgehend parallel zu einem Index entwickelt, der alle Aktien des STOXX 600 exklusive der Werte aus dem Öl- und Gassektor hält. Kumuliert betrachtet hat sich der STOXX 600 ähnlich geschlagen wie der gleiche Index ohne die Öl- und Gaswerte, wobei allerdings im Januar angesichts hoher Öl- und Gaspreise sowie steigender Aktienkurse von Unternehmen in dieser Branche der Index ohne Öl- und Gaswerte knapp einen Prozentpunkt schlechter abgeschnitten hat als der STOXX 600 mit Öl- und Gaswerten.
Wenn man aber davon ausgeht, dass in den kommenden Jahren die Energiepreise nicht annähernd so schnell weiter steigen werden wie in den letzten zwölf Monaten, wäre zu erwarten, dass sich beide Indizes wieder weitgehend parallel entwickeln sollten oder zumindest entwickeln könnten. Aus dieser Perspektive bestände vermutlich kein übertriebener Grund zur Sorge, in signifikantem Ausmaß auf Performance verzichten zu müssen, wenn man keine Öl- und Gaswerte mehr halten darf.
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Aber wäre ein kategorischer Verzicht auf Öl- und Gaswerte im Portfolio auch erstrebenswert, wenn es um einen möglichst hohen Zielerreichungsgrad beim Erreichen der ESG-Ziele geht?
Wir sind uns hier nicht sicher und sehen dies eher kritisch. Der Grund dafür ist einfach erklärt. So geht wohl von keinem anderen Sektor ein derartig signifikanter Einfluss auf die Umwelt, die Biodiversität und das Klima aus wie von diesem Sektor. Ob man es will oder nicht – dieser Sachverhalt wird sich auch in den kommenden Jahrzehnten nicht grundsätzlich ändern.
Wenn man aber eine Trendwende zum Besseren einleiten will, geht es nicht ohne eine groß angelegte Transformation dieser Unternehmen zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen mit nachhaltigeren Technologien. Gerade beim Thema Klimawandel ist dies besonders offenkundig. So lässt sich mit hinreichender Sicherheit ein verbleibendes globales Budget an noch zulässigen CO2-Emissionen bestimmen, das gerade noch mit dem Einhalten des 1,5-Grad-Klimaziels vereinbar wäre.
Ob dieses Budget eingehalten wird oder nicht, entscheidet sich zu einem nicht unerheblichen Maß anhand der Entwicklung des Öl- und Gassektors.
Hier liegt ein gewaltiger Hebel für Veränderungen zum Positiven.
Wenn die einstigen „Dreckschleudern“ nachhaltiger werden, wird dramatisch mehr erreicht, als wenn ohnehin schon sehr „grüne“ Branchen nochmals ein klein wenig „grüner“ werden.
Im Klartext bedeutet dies, …
… dass in den kommenden Jahrzehnten gewaltige, fast unvorstellbar hohe Summen an Kapital in den Transformationsprozess dieser Branche geleitet werden müssen, damit die Ziele aus Sicht eines ESG-Investors erreicht werden können. Doch wird dies erreicht, wenn alle Unternehmen dieser Branche pauschal nicht mehr gekauft werden dürfen? Ganz offensichtlich nicht.
Denn ein quasi-Investitionsverbot aus ESG-Sicht führt ja nicht dazu, dass die Unternehmen aufhören zu existieren. Vielmehr ändert sich zunächst nur die Eigentümerstruktur. Die Aktien (oder die Anleihen) werden von einem Investor verkauft, der sich aus ESG-Gründen von dem Unternehmen trennen muss und werden tendenziell von einem Investor gekauft, dem ESG-Überlegungen eher fremd sind.
Das bringt gleich mehrere Probleme mit sich.
- Zum einen wird der neue Investor kaum geneigt sein, Einfluss auf das Unternehmen auszuüben, den Transformationsprozess hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften zu beschleunigen.
- Und zum anderen führt der Verkaufsdruck über die ESG-orientierten Investoren zu fallenden Kursen, die wiederum die Refinanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt für die Unternehmen der Branche pauschal verschlechtern – mit desolaten Folgen für die Geschwindigkeit des eigentlich gewollten Transformationsprozesses, denn gerade dieser benötigt ein gewaltiges Ausmaß an Kapital.
Die damit eher ausbleibenden Investitionen sind – so wenig intuitiv das zunächst klingen mag – ein Segen für die wenig ESG-orientierten neuen Eigentümer, denn mit den geringen Investitionen gehen zunehmend knapper werdende Kapazitäten einher, die die Energiepreise immer weiter steigen lassen.
Ein Eldorado für die wenig ESG-konformen Neuinvestoren: Denn nun wird der Einstieg zum Schnäppchenpreis auch noch dadurch vergoldet, dass man ohne Investitionen ein Produkt produziert, das angesichts fehlender Kapazitäten und mangelnder Konkurrenz immer teurer wird. Und das alles mit altmodischen, sicher nicht nachhaltigen Produktionsmethoden. Spätestens hier wird klar, dass pauschale Verbote keine Lösung sind. Gefragt sind unideologische, differenzierte Betrachtungsweisen, die ökonomischen Mechanismen Rechnung tragen!
Autor: Dr. Christian Jasperneite
Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.
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