Droht eine Bärenmarktrallye in den USA?

Ein Blick auf die Performance der meisten Aktienindizes seit Jahresbeginn trübt die Stimmung vieler Aktionäre ein. Vor dem Hintergrund der abkühlenden Konjunktur, hoher Inflationsraten und einer strafferen Geldpolitik stellt sich daher die Frage, ob die Märkte bereits den Tiefpunkt erreicht haben, oder ob es im weiteren Jahresverlauf zu neuen Bodenbildungen kommt.

Der Technologieindex Nasdaq 100 hat seit Beginn des Jahres mehr als 20 Prozent an Wert verloren, der breiter gefasste S&P 500 verzeichnet einen Verlust von über zwölf Prozent und der STOXX Europe 600 liegt über acht Prozent im Minus. Haben die Märkte bereits ihren Tiefpunkt erreicht?

Was ist ein Bärenmarkt?

Im gleichen Zug kommt immer häufiger die Frage auf, ob die Aktienmärkte auf einen langanhaltenden Bärenmarkt zusteuern.

Per Definition handelt es sich um einen Bärenmarkt, wenn Aktienindizes einen Wertverlust von mindestens 20 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Höchststand aufweisen.

Damit durchläuft der Nasdaq 100 bereits einen Bärenmarkt.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der S&P 500 folgt und die technische Wertverlustgrenze von 20 Prozent überschreitet?

Oder bleibt der Nasdaq 100 aufgrund seiner hohen Zinssensitivität die Ausnahme?

In den USA war der letzte große Bärenmarkt im Kontext der globalen Finanzkrise (2007-2009) zu beobachten. Der S&P 500 verlor binnen 370 Handelstage 57 Prozent gegenüber seinem Höchststand vom 9. Oktober 2007. Wie es für einen Bärenmarkt charakteristisch ist, war die Phase aber nicht nur durch eine stetige Abwärtsbewegung der Kurse geprägt, sondern wies immer wieder kurzzeitige Kurserholungen aus.

Ein Erkennen des Bärenmarktes gestaltete sich dementsprechend schwierig und Anleger mussten aufpassen, dass sie nicht in eine Bullenfalle tappten. Die gute Nachricht: Im Anschluss schloss sich eine Bullenmarktrallye bis 2020 mit einer p.a.-Rendite von fünfzehn Prozent an.

Fast doppelt so lange dauerte der Bärenmarkt im Anschluss an die Dotcom-Blase

Hier erreichte der S&P 500 seinen Tiefstand erst nach über 600 Handelstagen und wies einen maximalen Verlust in Höhe von rund 46 Prozent aus. Dass es aber auch zu schnellen Erholungen an den Aktienmärkten kommen kann, zeigte sich nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Der S&P 500 verlor Anfang 2020 zwar mehr als dreißig Prozent, erreichte seinen Tiefstand aber bereits nach 25 Handelstagen und holte seine Verluste nach weniger als einem halben Jahr vollständig auf – die expansive Geldpolitik sowie stimulierenden Fiskalimpulse trugen maßgeblich dazu bei oder aber waren letztlich sogar die einzigen plausiblen Gründe für die schnelle Erholung.

Aber was sind nun die Aussichten auf die nächsten Monate?

Was spräche dafür, dass die Stabilisierung der letzten Wochen der Anfang einer längerfristigen und nachhaltigen Erholung an den Märkten ist? Sieht man von psychologischen Faktoren ab und nähert man sich diesem Thema über ein fundamental orientiertes traditionelles Discounted Cash-Flow-Modell, spielen neben dem Diskontfaktor die Gewinnerwartungen die zentrale Rolle bei der Projektion von Aktienkursen.

  • Erwarten Analysten höhere Gewinne des Unternehmens, passen sie ihre Kursziele entsprechend nach oben an.
  • Auf der anderen Seite verringern steigende Zinsen den Barwert der künftigen Gewinne und führen zu einer Anpassung des Aktienkurses nach unten.

In der Vergangenheit verliefen die Gewinnerwartungen in Form von Analystenschätzungen zum Gewinn je Aktie für die kommenden zwölf Monate sowie die Aktienkurse oftmals im Gleichlauf. Zeitweise erfolgte eine Anpassung der Gewinnerwartungen jedoch auch mit einem zeitlichen Versatz. So nahmen Analysten ihre Korrektur der Gewinnerwartungen erst im Anschluss an eine Kursveränderung vor.

Besonders auffällig ist dieser Zusammenhang während der globalen Finanzkrise: Obwohl die Kurse im Kontext der Verwerfungen an den Finanzmärkten aufgrund einer immer offensichtlicher werdenden Subprime-Krise schon in der Spitze um 20% gefallen waren, kam es zunächst zu keiner Anpassung der Gewinnschätzungen von Analysten. Analysten passten ihre Gewinneinschätzungen damals erst an, nachdem im Oktober 2008 der S&P 500 erneut einen heftigen und abrupten Kursrutsch verzeichnete.

Aktienkurse, Gewinnerwartungen und Inflation

Am aktuellen Rand ist wieder eine frappierende Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Gewinnerwartungen und dem S&P 500 zu beobachten. Während die Aktienkurse unter anderem aufgrund des Zinsanstieges seit Jahresbeginn unter Druck geraten sind, blieben die Gewinnerwartungen ihrem Trend treu und stiegen kontinuierlich an.

Ein möglicher Grund für den Anstieg der Gewinnerwartungen stellt die gestiegene Inflation dar. Ein vereinfachtes Rechenbeispiel macht dies deutlich:

Bei einem Umsatz von 100€ und Kosten in Höhe von 40€ beträgt der Gewinn eines Unternehmens 60€. Steigen nun die Inputkosten um 50% auf 60€ und sollte das Unternehmen es schaffen, seine Gewinnmarge konstant zu halten (es gibt die gestiegenen Kosten also 1:1 weiter), würde der Umsatz auf 150€ und der Gewinn auf 90€ ansteigen.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass es über längere Zeiträume gelingen kann, steigende Inputpreise immer wieder komplett weiter zu reichen – dementsprechend schrumpfen dann schließlich wieder die Gewinne sowie die Gewinnmarge. Zudem dürfte auch eine sich abkühlende Konjunktur den Gewinnausblick zumindest temporär eintrüben.

Werden die Aktienkurse demnächst steigen?

Nun wird es spannend: Es stellt sich die Frage, ob Aktienmärkte in diesem Umfeld noch Raum für deutliche Kurssteigerungen aufweisen. Schließlich ist es in den letzten Monaten trotz steigender Gewinne zu fallenden Kursen gekommen. Warum sollten nun die Kurse bei sinkenden Gewinnen steigen, zumal angesichts der eingeläuteten Zinswende in den USA und im Euroraum für jeden erkennbar die Politik des „billigen Geldes“ vorbei ist und auch von Seiten der Fiskalpolitik zukünftig mit weniger Impulsen zu rechnen ist?

Es sollte auch nicht verdrängt werden, dass Jerome Powell als Präsident der amerikanischen Notenbank signalisiert hat, dass er ein „soft landing“ im Zuge der geldpolitischen Straffung nicht garantieren könne und wenn nötig den Leitzins über das Niveau des natürlichen Zinssatzes anheben werde. Damit nimmt das Aufwärtspotential von Aktienkursen definitiv ab.

Ob der S&P 500 deswegen in einen Bärenmarkt abrutscht, ist trotzdem nur schwer einzuschätzen. So viel ist aber sicher: Insbesondere zinssensitive und hochbewertete (unprofitable) Wachstumsaktien sind anfällig für weitere Kursrückgänge. Es empfiehlt sich daher vor allem für risikoaverse Investoren, das Portfolio breit und zunächst noch eher defensiv aufzustellen. Zudem sollten Investoren im Hinterkopf behalten, dass gerade in dem jetzigen Marktumfeld jede Kurserholung doch nur der Beginn einer Bärenmarktrallye sein könnte.

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Simon Landt

Autor: Simon Landt

Simon Landt hat einen Bachelor der Volkswirtschaftslehre der Universität Kiel sowie einen Master in Quantitative Finance und in Quantitative Economics an der Universität Kiel und an der School of Economics and Business der Universität Ljubljana absolviert. Nach seinem einjährigen Traineeprogramm startete er als Analyst im Makro Research. Seit Oktober 2021 arbeitet Simon Landt im Makro Research zusammen mit Carsten Klude und Dr. Christian Jasperneite. Er ist spezialisiert auf Analysen des aktuellen Marktumfeldes und die Bedeutung für Aktien- und Anleihenmärkte.

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