Der Rentenmarkt sieht schwarz – Was bedeutet das für den Aktienmarkt?

Es gibt seit Jahrzehnten unter Investoren einen vergleichsweise emotional geführten Streit über die Frage, ob der Aktien- oder der Rentenmarkt effizienter sei, wenn es um die Verarbeitung von Information geht. Auf welcher Seite wir die höhere Informationsverarbeitungseffizienz sehen und warum wir, in der aktuellen Marktphase, dann ein Problem hätten – Chefanlagestratege Dr. Christian Jasperneite gibt uns Einblicke in seine Sichtweise.

Bundesanleihen notieren inzwischen in der Nähe ihrer Allzeittiefs

Die Renditen von Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren notieren inzwischen in der Nähe ihrer Allzeittiefs. Wer überhaupt noch eine positive Rendite bei einer Bundesanleihe „einkaufen“ möchte, muss eine Restlaufzeit von 15 oder 16 (!) Jahren anpeilen. Aber selbst bei einer Restlaufzeit von 20 Jahren liegt die Rendite nur bei 0,2%. Das heißt, man leiht dem deutschen Staat für 20 Jahre sein Geld und erhält dafür nominal nach Inflation nahezu nichts. Hier wird also unterstellt, dass es sich um eine komplett risikolose Investition in einem deflationären Umfeld handelt. Nur dann ergibt ein solches Investment noch Sinn. Doch wenn man ganz ehrlich ist, kann man über einen solchen Zeitraum noch nicht einmal sicher sein, dass die Anleihe überhaupt in Euro zurückgezahlt wird. Und ob bei der expansiven Geldpolitik tatsächlich über 20 Jahre hinweg keine Inflation entsteht, sei auch dahingestellt.

Auf der anderen Seite des Atlantiks sieht es nicht anders aus

Interessanterweise sieht es auf der anderen Seite des Atlantiks nicht viel anders aus. Vor einem Jahr notierten die Renditen zehnjähriger US-Treasuries noch oberhalb von drei Prozent. Damals ging der Markt im Konsens davon aus, dass die US-Notenbank ihren Zinserhöhungzyklus noch lange nicht beendet hat. Mit schlechter werdenden Konjunkturdaten und einer Änderung der Einschätzung zur US-Geldpolitik fielen die Renditen – und tun dies noch immer. Inzwischen liegt die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe nur noch bei knapp über zwei Prozent – Tendenz fallend. Selbst eine Anleihe mit 30 Jahren Restlaufzeit weist nur noch eine Rendite von 2,6% auf. Und das bei einem Leitzins, der bereits bei 2,25% – 2,5% liegt.

Eine längere Laufzeit und damit ein höheres Risiko wird nicht mehr entlohnt

Vergleicht man die Rendite kurz- und langlaufender Anleihen, zeigt sich eine weitere, besorgniserregende Anomalie: Es existiert nahezu keine Prämie mehr dafür, als Investor eine längere Laufzeit und damit ein höheres Risiko einzugehen.

Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe liegt bei knapp über zwei Prozent und damit nur unwesentlich über der Rendite einer einjährigen US-Staatsanleihe.

Unter normalen Umständen wäre man als Investor niemals bereit, eine zehnjährige Anleihe zu kaufen, wenn eine Anleihe mit einer Restlaufzeit von einem Jahr die gleiche Rendite bringt. Aber genau das ist bei US-Treasuries aktuell der Fall. Dabei ist eine Anleihe mit einer zehnjährigen Laufzeit deutlich volatiler. Das bedeutet für den Anleger ein höheres Risiko. Zudem ist die Gewissheit hinsichtlich einer vollständigen Rückzahlung kleiner: Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA in einem Jahr zahlungsunfähig ist, liegt bei nahezu null Prozent. Bei zehn Jahren ist der Blick in die Zukunft schon mit mehr Unsicherheit behaftet.

Was bewegt dann überhaupt noch Investoren, solche Anleihen zu kaufen?

Die einzige rationale Antwort darauf lautet, dass man kurzfristig mit noch weiter fallenden Renditen rechnet. Denn dann entstehen gerade bei länger laufenden Anleihen ansehnliche Kursgewinne (denn sinkt die Rendite der Anleihe, steigt der Kurs einer Anleihe). Und diese Interpretation hat etwas sehr Beunruhigendes: Weiter fallende Renditen auf einem ohnehin schon rekordniedrigen Niveau ergeben nur dann Sinn, wenn etwas so richtig schiefläuft. In diesem Fall sucht man als Investor fast um jeden Preis den sicheren Hafen – und zwar (um im Bild zu bleiben) bei nahezu jeder Hafengebühr.

Weiter fallende Renditen auf einem ohnehin schon rekordniedrigen Niveau ergeben nur dann Sinn, wenn man als Investor fast um jeden Preis den sicheren Hafen sucht – und zwar bei nahezu jeder Hafengebühr.

Aber wie könnte dieses Horrorszenario aussehen, auf dass sich insbesondere Renteninvestoren einzustellen scheinen?

Was könnte die aktuelle Lage am Rentenmarkt erklären?

Der natürliche Kandidat für ein solches Szenario wäre eine globale Rezession oder aber zumindest eine weitere konjunkturelle Abschwächung. Es gibt aber noch mindestens zwei weitere Aspekte, die bei der Einordnung der aktuellen Lage am Rentenmarkt eine Rolle spielen dürften.

1. Zunehmender Unilaterismus

Zum einen ist hier der zunehmende Unilateralismus zu nennen, der den Multilateralismus der letzten Jahrzehnte Stück für Stück verdrängt. Es wird immer offensichtlicher, dass Länder wie China und die USA mit zunehmend harten Bandagen um die weltweite Vorherrschaft kämpfen. Ob subtil (eher China) oder weniger subtil (eher die USA). Das macht die Welt ein Stück unsicherer, zumindest aber ein wenig komplizierter. Handelskriege und unberechenbare politische Eingriffe reduzieren den Anreiz für Investoren, Investitionen mit längeren Amortisationszeiträumen zu wählen. Das wäre ein Erklärungsansatz dafür, dass die Renditen langlaufender Anleihen im Gegensatz zu kurzlaufenden Anleihen so gering ausfallen.

Als Ergebnis einer verkürzten Amortisationsdauer bei Investitionsprojekten sinkt die gesamte Investitionstätigkeit und damit auch das BIP-Wachstum. So ist es vermutlich kein Zufall, dass in Deutschland im letzten Jahr zum ersten Mal seit einer sehr langen Zeit die Anzahl der ausländischen Investitionsprojekte rückläufig war – ein Effekt, der in mehreren Ländern beobachtet werden kann und ebenfalls für eine deutliche Verlangsamung der Globalisierung spricht. Fallende Renditen wären mit einem solchen Szenario nicht nur vereinbar, sondern sogar nahezu zwingend logisch.

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2. Probleme in Italien

Zum anderen existiert mindestens noch ein weiteres „Problem“, welches nicht unterschätzt werden sollte: die Entwicklung in Italien. Die italienische Regierung distanziert sich zumindest verbal mehr und mehr von sämtlichen Regeln und Vereinbarungen, die die italienische Haushaltspolitik betreffen. Zwar gilt schon seit vielen Jahren, dass insbesondere in Italien nichts so heiß gegessen wird, wie es zuvor gekocht wurde. Aber was ist von einer Regierung zu halten, die ohne Sinn und Verstand Steuern senken will, ohne sich um die resultierende Nettoneuverschuldung zu scheren? Und was ist davon zu halten, wenn von der EZB ernsthaft gefordert wird, sie möge doch für italienische Staatsschulden eine explizite Garantie aussprechen? Kein Wunder, dass sich Investoren in Europa von italienischen Anleihen abwenden und stattdessen deutsche Anleihen kaufen.

Was bedeutet das für den Aktienmarkt?

Spätestens hier stellt sich die Frage, wie lange der Verfall von Renditen noch anhalten kann, bevor mit einer Korrektur zu rechnen ist. Stellt man die Veränderungen der Rendite in Standardabweichungen dar, ist die Antwort vergleichsweise eindeutig: Der aktuelle Rückgang ist historisch nicht einmalig; es gibt durchaus noch Potenzial für weitere Rückgänge. Das Ende der Fahnenstange ist somit aus technischer Sicht noch nicht erreicht. Vor allem aber gibt es fundamental keinen Grund, warum die oben beschriebenen Prozesse und Zusammenhänge ab morgen nicht mehr gelten sollten.

Die Renditen könnten somit erst einmal weiter sinken und – so paradox das klingen mag – sogar den Aktienmarkt stützen, obwohl sich die Nachrichtenlage eingetrübt hat.

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Bild: Liderina © istockphoto.com
Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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