Coronavirus: Wird Mut an den Börsen belohnt?

Die Lage in der Corona-Krise entwickelt sich weiterhin dynamisch. An den Kapitalmärkten richtet sich der Fokus zunehmend auch auf den Anleihenmarkt, bei dem potenzielle Käufer in eine Art Streik getreten zu sein scheinen und der Handel zunehmend austrocknet. Damit erhält die Krise an den Kapitalmärkten – etwas unbeobachtet von der Öffentlichkeit – eine weitere Facette. Die die Gesamtsituation erscheint damit noch ein wenig kritischer, auch wenn die Aktienmärkte heute keine neuen Tiefs zu erreichen scheinen.

Vor zwei Tagen haben wir darauf verwiesen, dass bei den Corona-Fällen in Deutschland, aber vor allem auch in anderen Ländern extreme Dunkelziffern vorzuliegen scheinen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass die offiziellen Sterberaten von Land zu Land teilweise absurd unterschiedlich ausfallen. Mit unseren Annahmen kamen wir zu dem Ergebnis, dass trotz eingeleiteter Maßnahmen in Deutschland Mitte April schon deutlich über eine Million Menschen mit dem Virus infiziert sein werden – eine ungeheuer hohe Zahl angesichts der derzeit 8.100 offiziell Erkrankten. Nun hat das Robert-Koch-Institut die Prognose aufgestellt, dass der Wert in 100 Tagen bei zehn Millionen Infizierten liegen könnte, was mit unserer Projektion durchaus kompatibel ist.

Westliche Gesundheitssysteme werden an ihre Grenzen stoßen

Wir haben darauf verwiesen, dass bei diesen Wachstumsraten die Gesundheitssysteme der westlichen Welt selbst bei sehr großen Therapiefortschritten an ihre Grenzen geführt werden und daraus gefolgert, dass weltweit signifikante Einschnitte im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu erwarten sein werden – und dies eben nicht für zwei oder drei Wochen, sondern für eine deutlich längere Zeit.

Warum es so wichtig ist, Infektionsketten zu unterbrechen

Wie wertvoll es sein kann, Infektionsketten zu unterbrechen oder weitgehend zu unterbinden, zeigen die Erfahrungen mit der Spanischen Grippe. So wurden beispielsweise in St. Louis direkt nach dem Auftreten der ersten Fälle der sog. Spanischen Grippe vergleichsweise drakonische Maßnahmen ergriffen, um das öffentliche Leben zum Erliegen zu bringen. Damit konnte die Gesamtzahl der Toten (relativ zur Größe der Bevölkerung) im Vergleich zu anderen Städten deutlich eingeschränkt werden. Das gelang auch deshalb recht gut, weil die Zahl der Neuinfektionen auf einem Level gehalten wurde, der die Versorgung der Schwerkranken in Krankenhäusern ermöglichte und damit die Sterblichkeit senkte. In Philadelphia war man dagegen extrem zögerlich – viel zu spät reagierte die Stadt mit deutlichen Maßnahmen. Dadurch stieg die Zahl der Infizierten und etwas später die Zahl der Toten sprunghaft an.

Der positive Effekt bestand allenfalls darin, dass man so vergleichsweise schnell eine Massenimmunisierung der Bevölkerung erreichte, sodass ab Mitte November die Todeszahlen fast auf null zurückgingen, während in St. Louis weiter Menschen starben. In der Summe profitierte die Bevölkerung von St. Louis aber von den früh ergriffenen Maßnahmen. Die Sterblichkeit lag in Philadelphia letztlich 65% über dem Wert in St. Louis. Zahlen aus China und Italien lassen vermuten, dass im Fall der Corona-Infektionen die Sterblichkeit um 300% oder mehr steigt, wenn eine hochwertige intensivmedizinische Betreuung aufgrund einer Überforderung des Gesundheitssystems nicht mehr gewährleistet ist.

Umso mehr spricht dafür, dass die Welt versucht, in den kommenden Wochen und Monaten den Weg von St. Louis und eben nicht den Weg von Philadelphia zu gehen. Und genau das passiert gerade. Immer mehr Länder verhängen eine Ausgangssperre, auch Deutschland wird vermutlich in den kommenden Tagen diesen Weg einschlagen.

Für die Weltwirtschaft ist diese Situation ein Experiment am offenen Herzen

Ohne jegliche Erfahrungswerte und historische Analogien. Durch das sukzessive Einfrieren wirtschaftlicher Aktivitäten in nahezu allen wichtigen Volkswirtschaften erleben wir gleichzeitig einen Angebots- und Nachfrageschock extremsten Ausmaßes.

Einen großen Angebotsschock gab es zuletzt in den Ölpreiskrisen der 1970er Jahre, aber der aktuelle Angebotsschock ist noch viel extremer. Um nur ein Beispiel zu nennen: Innerhalb weniger Tage ist nahezu die gesamte Produktion der deutschen Automobilindustrie zum Erliegen gekommen. Das sind Dimensionen, die sonst nur in Kriegen beobachtet werden können.

Aber zu diesem erheblichen Angebotsschock kommt auch noch ein Nachfrageschock, denn neben gestörten Lieferketten kommt es jetzt auch noch zu einer kollabierenden Nachfrage.

Die ganze Sache wird noch dadurch kritischer, dass typische Konjunkturprogramme hier zunächst gar nicht helfen können, denn der Produktions- und Nachfragestopp ist ja letztlich gewollt. Das führt wiederum zu Kreditausfällen und zu Finanzierungsproblemen von Unternehmen und in letzter Konsequenz zu potenziellen Schieflagen bei Banken. Hier rächt es sich ein wenig, dass in den letzten Jahren viele sog. Zombie-Unternehmen entstanden sind, die sich bei extrem günstigen Finanzierungskonditionen immer und immer wieder über die Runden retten konnten, ohne ökonomisch Substanz aufzubauen, von der man jetzt zehren könnte.

„Wir erleben aktuell Zeiten wie im Aktienmarktcrash im Oktober 1987!“

Der Dow Jones 30 hat gestern den zweithöchsten Tagesverlust in seiner fast 124-jährigen Geschichte erlebt. Das derzeitige Desaster ist nur noch vergleichbar mit dem…

weiterlesen

Es scheint notwendig zu sein, gewaltige staatliche Programme mit Überbrückungskrediten und Helikoptergeld aufzulegen

Da viele Staaten schon vergleichsweise hoch verschuldet sind, kann das wiederum zu einer Keimzelle für eine neue Staatsschuldenkrise werden. Nicht ohne Grund steigen seit einigen Tagen die Renditen von europäischen Staatsanleihen. Es bedarf keiner großen Phantasie sich vorzustellen, dass dies den Weg für sog. Eurobonds ebnet, bei denen alle Länder der Eurozone gemeinsam in die Haftung genommen werden.

Das erklärt auch, warum selbst deutsche Bundesanleihen in dieser außergewöhnlichen Krise im Wert fallen – hier wird die perspektivische Belastung durch große Haftungsrisiken eingepreist. Auch die US-Treasuries haben sich angesichts der extremen Zinssenkung der Fed und der schwachen Aktienmarktperformance eher enttäuschend entwickelt und preisen damit extreme Belastungen des US-Staatshaushaltes ein. Und selbst China muss angesichts der dort ebenfalls hohen Verschuldung mit einem kritischen und wachsamen Auge betrachtet werden. Damit kommen wiederum Notenbanken ins Spiel, die in dieser Gemengelage darauf achten müssen, dass Staaten sich auf jeden Fall zu akzeptablen Konditionen refinanzieren können – whatever it takes.

Spätestens an dieser Stelle wird oft angeführt, dass die Notenbanken ihr Pulver verschossen hätten und zu zahnlosen Tigern geworden seien.

Wer das unterstellt, unterschätzt jedoch die Kreativität von Notenbanken.

Es gibt noch viele Notprogramme, die in den Schubladen liegen und zur Not über Nacht aktiviert werden können. Und es existieren noch viel mehr Ideen, die ebenfalls sehr schnell Realität werden können, denn Not macht erfinderisch.

Wer weiß, vielleicht beginnt die EZB schon in einigen Wochen mit dem Kauf von Aktien

Außerdem sind weitere Zinssenkungen in keiner Weise auszuschließen. Natürlich würde eine weitere Senkung des Einlagenzinses Banken außergewöhnlich belasten, jedoch könnten Kompensationsmaßnahmen diese negativen Effekte ausgleichen.

Ordnungspolitisch wäre all das ein mittelgroßer Albtraum, doch befinden wir uns nicht in einem volkswirtschaftlichen Seminar, in dem Vor- und Nachteile staatlicher Maßnahmen abgewogen werden, sondern in der potenziell schlimmsten Wirtschaftskrise seit der großen Depression von 1929/1930. Da bleibt wenig Raum für akademische Feinheiten. Es lässt sich aus dieser ganzen Gemengelage aber auch etwas Positives gewinnen. Egal was auch immer in den kommenden Wochen an den Märkten noch passieren mag: Gerade weil die Staaten und Notenbanken gerade ihre schwersten verfügbaren Geschütze in Stellung bringen und aus allen Rohren feuern werden kommt zwangsläufig irgendwann der Zeitpunkt, in dem man reale Werte und damit Aktien besitzen muss!!

Für Investoren ergibt sich hier potenziell eine Chance, die man vielleicht nur ein- oder zweimal im Leben hat. Aber noch ist es nicht so weit. Diese Krise wird vermutlich länger dauern, als sich das viele vorstellen können.

Derzeit ist alles möglich, und die Lage ist fragil.

Es gehört schon sehr viel Mut dazu, jetzt in das fallende Messer zu greifen. Und vermutlich wird der Mut (noch) nicht belohnt. Morgen werden wir uns daher damit beschäftigen, bei welchen Kursniveaus aus bewertungstechnischer Perspektive ein Boden gefunden werden könnte.

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

Newsletter

Erfahren Sie von uns die wichtigsten Nachrichten über das Thema Geldanlage.
✓ jede Woche neu ✓ immer aktuell ✓ ohne Werbung ✓ jederzeit abbestellbar

Mit Warburg Navigator die passende Geldanlage finden

Investieren Sie Ihr Vermögen mit den Experten von M.M.Warburg & CO. Modern und unkompliziert.

Empfohlene Artikel