Corona-Krise: Warum andere Länder von der dritten Welle verschont bleiben

Bei der Analyse der aktuellen Infektionsdaten fällt auf, dass einige Länder, die besonders weitreichende Impffortschritte erzielen könnten, von der dritten Welle bisher nicht erfasst wurden. Beispiele sind hier Großbritannien, die USA und auch Israel. Ist das ein Zufall oder schon der Beweis für den sich anbahnenden Erfolg von Impfungen?

Was für ein desolates Bild liefert die deutsche und europäische Politik: Auch nach einem Jahr Pandemie fällt uns tatsächlich nicht viel mehr ein als die Verlängerung von Lockdowns. Das gab es so oder so ähnlich schon im Mittelalter, um die Pest in den Griff zu bekommen. Dabei zeigen viele vor allem asiatische Länder, dass es auch anders geht. So kann mit einer Kombination aus sehr schnellem, beherzten staatlichen Handeln in Kombination mit digitalen Lösungen extrem viel erreicht werden. Das funktioniert nicht nur in Diktaturen, sondern auch in Demokratien – Beispiele gäbe es viele, man müsste nur genau hinschauen und lernen wollen.

Der Erfolg von Impfungen

Statt jetzt aber in eine wenig produktive pauschale Politikschelte zu verfallen wollen wir uns auf einen Sachverhalt konzentrieren, der in der aktuellen Diskussion ein wenig unterzugehen scheint: Der schon jetzt sichtbare Erfolg von Impfungen! Während oftmals behauptet wird, dass es noch zu früh sei, um hier Fortschritte sehen zu können, sprechen unsere Daten eine ganz andere Sprache.

Und sie sind Ansporn für die Politik, zumindest hier zu „liefern“ und in den kommenden Monaten verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, bevor am Ende Politikversagen zu einer Krise der Demokratie führt. Zunächst aber einmal zurück zum allgemeinen Infektionsgeschehen.

Aktuell wird ein großer Teil der Welt von der dritten Welle der Pandemie erfasst; kritisch daran ist, dass die dritte Welle primär durch Mutationen des Virus geprägt ist, die ansteckender als die „Wildvariante“ des Corona-Virus sind.

Ansteckungen immer weniger mit Mobilität und Kontakthäufigkeit erklärbar

Wir haben schon vor acht Wochen darauf verwiesen, dass wir in einigen Ländern eine Ansteckungsdynamik beobachten, die mit der Mobilität und damit der Kontakthäufigkeit von Menschen (basierend auf Daten von Google und Apple) nicht zu erklären war. Wir führten dies schon damals auf die höheren Ansteckungsraten der sich verbreitenden Mutationen zurück und kamen rein statistisch mit den uns vorliegenden Daten zum Ergebnis, dass der R-Wert z. B. der britischen Variante um 0,6 Punkte über dem ursprünglichen Virus liegen müsste. Das ist an sich keine gute Nachricht, da mit einem derart erhöhten R-Wert klassische Lockdowns an Schlagkraft verlieren.

Trotz Lockdown positive, exponentielle Infektionsdynamik zu erkennen

Denn während ein mehrwöchiger Lockdown zuvor R-Werte auf etwa 0,7 abfallen ließ, wäre zu erwarten, dass bei Mutationen ein ähnlich scharfer Lockdown nun immer noch zu R-Werten von über eins führen würde.

Genau das hat sich nun in vielen Ländern bestätigt

Aktuell weisen knapp 70% der von uns untersuchten Länder eine positive, exponentielle Infektionsdynamik auf, obwohl sich viele dieser Länder nach wie vor in einem Lockdown befinden. Bei der weiteren Analyse der Daten fiel uns aber auf, dass einige Länder, die besonders weitreichende Impffortschritte erzielen könnten, von der dritten Welle nicht erfasst wurden. Beispiele sind hier Großbritannien, die USA und auch Israel. Die folgende Abbildung zeigt diesen Trend mehr als eindrucksvoll.

Nun mag dieser Befund ein Zufall sein – es könnten viele andere Gründe bestehen, warum diese drei Länder bisher nicht von der dritten Welle erfasst wurden.

Zusammenhang zwischen Impffortschritt und Infektionsgeschehen

Aus diesem Grund haben wir uns die Datenlage noch ein wenig genauer angeschaut, indem wir für 50 Länder in der Breite den Zusammenhang zwischen Impffortschritt und Infektionsgeschehen analysiert haben. Das ist keine triviale Aufgabe, denn es existiert kein perfekter Lehrbuchansatz, wie man das Infektionsgeschehen in diesem Kontext statistisch adäquat berechnen und in eine Kennzahl fassen kann.

Wir haben uns dazu entschieden, über viele verschiedene Zeiträume die Wachstumsrate der Neuinfektionen (jeweils bezogen auf neue Infektionen, die innerhalb einer Woche beobachtet werden konnten) zu bestimmen; der kürzeste Zeitraum für die Berechnung waren die letzten acht Tage, der längste Zeitraum die letzten 52 Tagen. Nun wäre aus logischer Sicht zu erwarten, dass die Korrelation zwischen Impffortschritt (gemessen an dem Teil der Bevölkerung, der zumindest eine Impfung erhalten hat) und der Infektionsdynamik negativ ist.
Zudem wäre zu erwarten, dass dieser Zusammenhang über einen aktuelleren Zeitraum deutlicher sichtbar ist als über einen längeren Zeitraum, da ja die Impfquoten vor einigen Wochen noch nicht so weit fortgeschritten waren wie jetzt.

Ergebnis: Impfungen haben entscheidenden Einfluss auf die Anzahl der Infektionen

Beide Arbeitshypothesen lassen sich statistisch komplett bestätigen und beweisen damit, dass Impfungen schon jetzt einen ganz signifikanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben! Wir halten es jedenfalls statistisch für ausgeschlossen, dass es sich hier um ein Zufallsergebnis handeln könnte – dafür sind die Ergebnisse zu eindeutig und zu konsistent.

Und selbst dort, wo der Impffortschritt noch schleppend langsam verläuft, lassen sich schon positive Effekte ausmachen. So ist in Ländern wie Deutschland, Italien, Frankreich oder Spanien nur ein kleiner Teil der Bevölkerung geimpft, jedoch schon ein großer Teil der sehr alten Bevölkerung. Und so verwundert es nicht, dass auch in diesen Ländern die Mortalität stark rückläufig ist, was definitiv als Erfolg der Impfungen gesehen werden muss.

Unverständlich: Millionen von Impfstoffen lagern unverimpft

Umso unverständlicher erscheint es, dass z. B. in Deutschland derzeit Millionen von Impfstoffen unverimpft lagern. Irritierend wirkt auch der Bericht, dass das Land NRW den Verbleib von einigen hunderttausend Dosen Impfstoff nicht abschließend erklären kann. Die Erfahrung der letzten Wochen und Monate wirft die Frage auf, ob der Staat mit dem Impfprojekt nicht überfordert ist und das Impfen daher besser schnellstmöglich an Hausärzte und Firmen delegieren sollte.

Denn eines steht fest: Noch härtere Lockdowns für noch längere Zeit könnten Teilen der Wirtschaft einen irreparablen Schaden zufügen, vom schwindenden Rückhalt der Bevölkerung für solche Maßnahmen ganz zu schweigen.

Und da wir offensichtlich nicht in der Lage sind, funktionierende digitale Werkzeuge zur Kontaktverfolgung zu implementieren und Gesundheitsämter technisch und personell so auszustatten, dass sie ihrer Aufgabe hinreichend gut nachkommen können, bleibt nur noch die Hoffnung auf schnelle Impfungen. Und diese Hoffnung ist mehr als begründet, wie die obigen Berechnungen beweisen. Impfungen sind genau genommen der letzte Schuss, den Regierungen in Deutschland und Europa noch in ihrem Munitionslager haben. Alle anderen Waffen sind zunehmend stumpf, funktionieren gar nicht oder führen zu zunehmenden Kollateralschäden. Hoffentlich kommt diese Erkenntnis an der richtigen Stelle an.


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Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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