Chinas „Neue Seidenstraße“: Von Peking nach Hamburg

Chinas gigantische Infrastrukturinvestitionen könnten für die Volkswirtschaften in Asien und darüber hinaus eine neue Ära des Handels und des Wachstums einläuten. Das von der chinesischen Regierung angelegte Großprojekt „Belt and Road Initiative“ (BRI) ist jedoch zweifelsohne kein reines Infrastrukturprojekt.

Vielmehr drückt es den Anspruch Chinas aus, zu einer globalen Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Ziel ist es, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den eurasischen Ländern, dem Wirtschaftsgürtel der Seidenstraße („Silk Road Economic Belt“) auf dem Landweg sowie der maritimen Seidenstraße („Maritime Silk Road“), zu vernetzen und zu fördern. Dazu soll ein riesiges Handelsnetzwerk aus Straßen, Eisenbahnlinien und Häfen zwischen Asien, Afrika und Europa entstehen.

Landkarte der BRI

Quelle: Xinhua News Agency

Bislang hat China über die chinesische Entwicklungsbank und den Seidenstraßenfonds Projekte im Wert von 900 Milliarden US-Dollar auf den Weg gebracht. Mit Projekten in 74 Ländern soll es eines der größte Wirtschafts- und Investitionsprojekte des 21. Jahrhundert werden und hätte damit Einfluss auf rund 4,5 Milliarden Einwohner. Dies entspricht etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung oder 55 Prozent des weltweiten BIPs. Eigentlich verlockend, doch viele westliche Industriestaaten sehen die Ausweitung des chinesischen Einflusses skeptisch und befürchten Abhängigkeiten. Gleichzeitig sehen auch die Vereinigten Staaten ihre globale Vormachtstellung in Gefahr.

Der chinesische Traum von Eurasien

Ein Blick auf die erste Abbildung, die das Gesamtprojekt aus den Augen einer chinesischen Nachrichtenagentur darstellt, macht die Bestrebungen der Chinesen deutlich: Amerika – das Zentrum der transatlantischen Welt – taucht auf der Karte gar nicht auf. Stattdessen steht die eurasische Welt im Mittelpunkt. Es fällt schwer zu definieren, wo das Projekt beginnt und endet – es scheint keine Grenzen zu geben. Es geht darum „den Engpass in der asiatischen Konnektivität zu durchbrechen“, so Xi. Das Projekt wäre eine Möglichkeit die umfassenden chinesischen Währungsreserven in Form von Investitionen zu kapitalisieren und darüber hinaus neue Absatzmärkte für die bestehenden Überkapazitäten der chinesischen Wirtschaft zu erschließen.

Ungeahnte Reichweite

Auf den ersten Blick sehen die Bestrebungen Chinas ehrenwert aus: Man möchte selbstlos Fortschritt und Wohlstand in Schwellenländern vorantreiben. Jedoch steckt dahinter auch die Bestrebung Chinas, ihre globale Vormachtstellung weiter auszubauen und den Einfluss auf globaler Ebene so zu erhöhen. Für diesen Zweck sollen so viele Nationen wie möglich in chinesische Satellitenstaaten verwandelt und die chinesische Leitwährung – der Renminbi – etabliert werden. Ihr Ziel ist es, Eurasien (dominiert von China) als Wirtschafts- und Handelsraum zu stärken, der mit dem transatlantischen Raum (dominiert von Amerika) konkurriert. Darin sehen die USA und Europa jedoch auch einen Angriff, der darauf abzielt, geopolitische Machtverhältnisse zu verschieben. Um Chinas Beweggründe zu verstehen, muss jedoch zunächst einen Blick auf das Land selbst geworfen werden. Denn dieses hat ehrgeizige Entwicklungsziele: Es will die Armut abschaffen, die eigene Wirtschaft ankurbeln und dabei unabhängiger und einflussreicher auf internationaler Bühne werden. Und China hat gelernt, dass nichts die wirtschaftliche und soziale Entwicklung nachhaltiger fördert als eine leistungsfähige und moderne Infrastruktur.

Ökonomische Implikationen

Verschiedene Studien haben versucht, die Auswirkungen der Initiative auf die verschiedenen Wirtschaftsräume zu quantifizieren. Laut einem Bericht der globalen Wirtschaftsberatungsfirma Cebr aus dem Jahr 2019 hat die BRI das Potential, das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2040 voraussichtlich um 7,1 Billionen Dollar pro Jahr zu steigern. Dies entspräche 8,3 Prozent des globalen BIPs im Jahr 2019. Anders ausgedrückt könnte das BIP-Wachstum so bis 2040 um 0,2 Prozent pro Jahr gesteigert werden. Dies ist ein massiver Anstieg und spiegelt nicht nur nicht nur das Ausmaß des Projekts, sondern auch die besonderen Auswirkungen auf die Förderung des weltweiten Handels wider. In einer Auflistung zeigt die Studie, welche Länder die größten Nutznießer des Projekts sind. Dabei überrascht, dass die USA in absoluten Zahlen der zweitgrößte Profiteur ist. Dies liegt daran, dass die USA die größte Volkswirtschaft der Welt ist. In diesem Zusammenhang ist es unmöglich, die Weltwirtschaft anzukurbeln, ohne dass auch die USA indirekt und durch entsprechende Multiplikator-Effekte betroffen sind. Mit Abstand am meisten profitiert jedoch wie erwartet China.

Geschätzte Wertschöpfung der BRI

 Quelle: CIOB

Schuldenfalle und politischer Disput

Die BRI hat jedoch auch Widerstand in den betroffenen Ländern hervorgerufen. Für einige Länder, die zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten hohe Schulden aufnehmen, sind die BRI-Gelder ein potenziell vergifteter Kelch. Zwar versprechen sie sich von den Projekten Handelsgewinne und damit zusätzliches Wirtschaftswachstum, jedoch betrachtet China die Finanzierungen im Rahmen der BRI als ein rein kommerzielles Unterfangen. Dabei waren einige BRI-Investitionen mit undurchsichtigen Ausschreibungsverfahren verbunden und bevorteilten chinesische Firmen. Infolgedessen haben die Auftragnehmer die Kosten in die Höhe getrieben, was zur Stornierung von Projekten und zu politischen Gegenreaktionen führte und gleichzeitig die Wertschöpfung auf chinesischer Seite hielt. Seit die Covid-19 Pandemie, Lieferkettenprobleme, die globale Zinswende und der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Finanzmärkte in Aufruhr versetzten, haben immer mehr einkommensschwache BRI-Länder Probleme, die mit der Initiative verbundenen Kredite zurückzuzahlen, was zu einer Welle von Problemen und erneuter Kritik an der BRI führt. Nachforschungen der Boston University ergaben, dass chinesische staatlich unterstützte Kreditgeber Rettungsgelder an 22 Länder vergeben haben und summieren sich bis 2021 auf mehr als 40 Milliarden US-Dollar.

Die Verschuldungsprobleme mehrerer Empfängerländer, die unter den steigenden Kosten für die Bedienung ihrer Kredite leiden, machen eine Neuausrichtung des chinesischen Entwicklungsprogramms erforderlich.

Die anfängliche Euphorie scheint ins Stocken zu kommen, ein Trend den die stagnierenden Neuinvestitionen in den letzten Jahren verdeutlichen. Letztendlich wird der Erfolg der BRI auch davon abhängen, wie gut China mit den politischen Streitigkeiten umgeht, die die Initiative ausgelöst hat.

BRI Investitionen und Projekte

 Quelle: Ministry of Commerce, People’s Republic of China

Implikation für Drittländer

Indien, einst Gründungsmitglied von Chinas Asiatischer Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), äußerste sich zuletzt skeptisch und warnte vor Chinas versteckten Absichten. In Zuge dessen hat Indien eigene Entwicklungshilfen für seine Nachbarn geleistet, vor allem für Afghanistan, wo es zuletzt drei Milliarden US-Dollar für Infrastrukturprojekte ausgegeben hat. Die Vereinigten Staaten sehen Indien als Gegengewicht zu einem von China dominierten Asien und versuchen strategische Beziehungen in der Region zu knüpfen, zuletzt durch den Indo-Pacific Economic Framework 2022. Japan hat seinerseits über 300 Milliarden US-Dollar an öffentlichen und privaten Mitteln für Infrastrukturprojekte in ganz Asien bereitgestellt. In Europa zeigt sich ein gespaltenes Bild: 18 Länder innerhalb der Europäischen Union (EU) haben sich formell dem Vorhaben angeschlossen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat zur Vorsicht gemahnt und während einer China-Reise 2018 angedeutet, dass die BRI die Partnerländer zu „Vasallenstaaten“ machen könnte.

Im Dezember 2021 kündigte die EU die Global Gateway Strategie an, ein 300-Milliarden-Dollar-Infrastrukturinvestitionsprogramm, das explizit mit der BRI konkurrieren soll. Besonders interessant ist Russlands Haltung zur BRI. In der Vergangenheit noch zurückhaltend um den eigenen Einfluss fürchtend, entwickelte sich Moskau zu einem der größten Unterstützer des Projekts, seitdem sich die Beziehungen mit dem Westen massiv verschlechtert haben. Auch der Konflikt im südchinesischen Meer – der Startpunkt der maritimen Handelsroute der BRI – zwischen Taiwan und China rückt in der Debatte momentan wieder in den Vordergrund.

Mit Vorsicht zu genießen

Der Aufstieg Chinas zu einer globalen Wirtschaftsmacht hat die geopolitische Landschaft neugestaltet. Auch wenn die wirtschaftlichen Vorteile verlockend erscheinen, dürfen die Kosten in Form einer hohen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit zu China nicht vergessen werden. Eine Kooperation kann lange Zeit gut gehen, jedoch hat insbesondere die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass einseitige und konzentrierte Abhängigkeiten einen enormen wirtschaftlichen Schaden hervorrufen können: Nicht nur die hohe Energieabhängigkeit von Russland, sondern auch die engen Lieferkettenverflechtungen mit China haben Bremsspuren in der deutschen und europäischen Wirtschaft hinterlassen. Vor allem die harten Eingriffe der chinesischen Regierung in das öffentliche Leben und die Wirtschaft im Zuge der Corona-Pandemie hinterlassen ein Störgefühl. Am Ende bleibt die chinesische Politik ein unberechenbarer Faktor. Wer dieses Risiko bei seinen Investitionsentscheidungen verdrängt oder glaubt, dass China seine eigenen Interessen nicht mit allen verfügbaren Mitteln durchsetzt, gibt sich einer Illusion hin. Es bleibt also abzuwarten, ob und wenn ja in welchem Umfang das BRI-Projekt den Welthandel fördert und die jüngsten protektionistischen Tendenzen aufweichen kann.

Wir bedanken uns bei Manuel Wunderle für die tatkräftige Unterstützung zu diesem Beitrag.

Photo: Unsplash by Dan Calderwood

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Simon Landt

Autor: Simon Landt

Simon Landt hat einen Bachelor der Volkswirtschaftslehre der Universität Kiel sowie einen Master in Quantitative Finance und in Quantitative Economics an der Universität Kiel und an der School of Economics and Business der Universität Ljubljana absolviert. Nach seinem einjährigen Traineeprogramm startete er als Analyst im Makro Research. Seit Oktober 2021 arbeitet Simon Landt im Makro Research zusammen mit Carsten Klude und Dr. Christian Jasperneite. Er ist spezialisiert auf Analysen des aktuellen Marktumfeldes und die Bedeutung für Aktien- und Anleihenmärkte. Seit März 2024 unterrichtet Simon Landt den Masterkurs „Portfolio- und Assetmanagement“ an der Northern Business School.

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