Brexit: Die Uhr tickt
19. Oktober 2018„Kein Brexit Deal ist besser als ein schlechter Brexit Deal“
Nach den Beteuerungen von Theresa May „Kein Brexit Deal ist besser als ein schlechter Brexit Deal“ oder auch des Französischen Finanzministers Bruno le Maire im Hinblick auf May´s „Chequers“ Plan, es wäre „das Ende Europas“ würde man Großbritannien weiter entgegenkommen, schien es schwer vorstellbar, dass es noch rechtzeitig zu einem geregelten Brexit kommen würde. Dann deutete in der vorigen Woche doch alles darauf hin, dass die Brexit-Verhandlungen zu einem positiven Ende geführt werden können. Letztendlich kam es aber wieder zu keinem Ergebnis. Zwar seien auf beiden Seiten Fortschritte erzielt worden, aber besonders aufgrund der Irland-Problematik konnte keine Einigung erreicht werden. Der Zeitdruck allerdings wächst zunehmend. Es wurden faktisch seit dem Frühjahr keine Fortschritte in den Verhandlungen erzielt. Mit gut fünf Monaten verbleibender Zeit bis zum 29.März 2019, dem Tag des Austritts, steigt mit jedem Tag ohne Fortschritt die Wahrscheinlichkeit für einen ungeordneten Austritt. Und es ist keinesfalls so, dass bis zum 29. März verhandelt werden kann, da nach einer Einigung zwischen der EU und Großbritannien noch ausreichend Zeit benötigt wird, um den Vertrag zu ratifizieren. Eine baldige Einigung ist von daher notwendig.
Größtes Hindernis für eine Einigung: die Irland-Problematik
Als größtes Hindernis für eine Einigung kristallisiert sich die Irland-Problematik heraus. EU-Ratspräsident Donald Tusk bezeichnete diese zuletzt als „Gordischen Knoten“, den es in den Verhandlungen zu lösen gilt. Es ist also an Theresa May in die Fußstapfen Alexander des Großen zu treten und den „Gordischen Knoten“ vielleicht sogar schon auf dem aktuellen EU-Gipfel zu zerschlagen. Eigentlich geht es nicht einmal darum die Irland Frage endgültig zu lösen, sondern vielmehr um den sogenannten „backstop“, d.h. eine Auffanglösung für den Fall, dass in den Verhandlungen, die sich an den Austritt anschließen, keine Lösung für die Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland gibt. Mit dem „backstop“ soll verhindert werden, dass für den Fall gescheiterter Verhandlungen das zu Großbritannien gehörende Nordirland vom Rest der Insel Irland getrennt wird. Da der „backstop“ also lediglich eine Vorsichtsmaßnahme bzw. Notlösung für das Scheitern zukünftiger Verhandlungen darstellt, sind wir zuversichtlich, dass an dieser Stelle bald eine Einigung erzielt werden kann. Gelingt diese, ist die schwierigste Voraussetzung für einen geordneten Austritt geschaffen. Dann nämlich könnte am 29. März die 21-monatige Übergangsphase (ggf. auch ein Jahr länger) in Kraft treten, womit vorerst – salopp gesagt – alles beim Alten bleiben würde. Großbritannien tritt zwar formell aus der EU aus, bleibt aber im europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion. Ein normaler Handel über den Ärmelkanal wäre möglich, so als gäbe es den Brexit nicht. In diesen 21 Monaten sollen dann die zukünftigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen und damit auch die Handelsbeziehungen geklärt werden. Fragen nach der genauen Ausgestaltung eines (Frei-)Handelsabkommens mit der EU sind somit zum derzeitigen Stand eher zweitrangig.
Auch wenn wir davon ausgehen, dass bald ein Erfolg bei den Verhandlungen vermeldet werden kann, heißt dies immer noch nicht, dass damit ein geregelter Austritt gesichert ist. Schließlich muss neben dem europäischen Rat und Parlament auch noch das britische Parlament zustimmen. Und hier herrscht bekanntlich große Uneinigkeit, nicht nur zwischen Tories und Labour, sondern auch innerhalb der Parteien. Hinzukommt, dass die Konservativen um Theresa May auf die Stimmen der nordischen Democratic Unionist Party (DUP) angewiesen sind. Auch wenn wir die Zustimmung des Parlaments für eine mögliche Einigung als wahrscheinlich ansehen, bleibt ein ungeordneter Brexit ein mögliches Szenario, dessen ökonomischen Auswirkungen im Folgenden kurz zusammengefasst werden.
Großbritannien wäre besonders getroffen, während die EU und auch Deutschland noch vergleichsweise glimpflich davon kommen würden
Mit einem ungeregelten Brexit wäre Großbritannien plötzlich für die EU ein gewöhnliches Drittland. Der Zugang Großbritanniens zum europäischen Binnenmarkt Geschichte. Der Handel würde unter die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zurückfallen, womit Grenzkontrollen und Zölle unausweichlich wären. Das damit besonders Großbritannien getroffen würde, während die EU und auch Deutschland noch vergleichsweise glimpflich davon kommen würden, ist nicht zu bestreiten. 2017 gingen über 47,4% der Exporte Großbritanniens in die EU, während 51,5% der Importe aus der EU stammen. Für die EU dagegen beträgt der Anteil der Exporte an Großbritannien 6,1%, der Anteil der Importe aus Großbritannien 3,8%. Ähnlich verhält es sich mit Deutschland und Großbritannien (Exporte 6,6%, Importe 4,0%). Dies zeigt wie abhängig Großbritannien von der EU ist. Gerade die bedeutende britische Automobilindustrie ist sehr stark in die internationale Arbeitsteilung eingebunden und würde damit unter Zöllen besonders leiden. Auch der Dienstleistungssektor (70,1 % des BIP) und insbesondere der Londoner Bankensektor würden hart getroffen werden. Zuletzt konnte die positive Dienstleistungsbilanz die negative Leistungsbilanz noch in Grenzen halten. Wenn Großbritannien seinen jetzige Status verliert, würde der Rückgang der Dienstleistungsbilanz das Wachstum allerdings deutlich belasten. Der Wechselkurs würde zwar deutlich abwerten und geschätzt um 10% (analog zur Reaktion auf das Brexitvotum) auf etwa 1,03 EUR/GBP fallen können und damit die Auswirkungen auf Exporte etwas abfedern. Mit den sich verteuernden Importen würde die Inflationsrate jedoch weiter ansteigen (September 2,4% y/y) und für das Wachstum kontraproduktive Zinserhöhungen erforderlich machen. Ganzheitliche Schätzungen des Wachstums sind unter diesen Umständen mit großer Unsicherheit verbunden, insgesamt wird jedoch mit einem marginalen Wachstum und nicht mit einer Rezession gerechnet. Langfristig geht der IWF davon aus, dass ein ungeregelter Brexit Großbritannien bis 2030 4% Wachstum kosten würde.
Auch Deutschland ist über den Handel eng mit Großbritannien verbunden. In 2017 beliefen sich die Summe der Exporte auf 2,4% des BIP und die Importe auf 1,2%, der Überschuss in der Handelsbilanz belief sich folglich auf ca. 1,2% des deutschen BIP. Würden die Exporte in die UK um 17% sinken (analog zu Abschwung 2009), könnte dies das deutsche Wachstum um max. 0,4% belasten. Besonders der Automobilsektor würde unter einem harten Brexit leiden, auch die Maschinenbauer würden hart getroffen werden, wogegen andere Sektoren verhältnismäßig geringe Auswirkungen zu befürchten hätten. Allerdings würde solch eine ceteris paribus Betrachtung hier zu kurz greifen. Schließlich dürften wegfallende Exporte aus Großbritannien durch Exporte anderer Länder substituiert werden. Da Großbritannien besonders Autos und Maschinen exportiert, ist Deutschland prädestiniert, einen Teil dieser Exporte zu übernehmen, was die negativen Auswirkungen zum Teil auffangen könnte. Der IWF geht davon aus, dass das BIP für Deutschland bis 2030 um etwa 0,5% belastet wird. Für die gesamte EU wird mit einem stärkeren Rückgang um ca. 1,5% gerechnet.
Was heißt das für den Anleger?
Auch wenn wir nicht von einem ungeregelten Austritt ausgehen, bleibt ein Restrisiko bestehen. Gerade für ein Investment in Großbritannien und auch in einzelne Branchen in Deutschland müssen etwaige Chancen sehr vorsichtig gegen die latenten Risiken abgewogen werden. Langfristige Auswirkungen eines ungeregelten Austritts sind nur sehr schwer zu beziffern, kurzfristige Marktverwerfungen insbesondere im Finanzsektor scheinen jedoch in diesem ungünstigen Szenario gewiss.
Bildcredit: © birdys / photocase.de
Autor: Julius Böttger
Julius Böttger studierte Volkswirtschaftslehre an der Wilhelms-Universität in Münster und an der Sorbonne in Paris mit einem Fokus auf internationale Ökonomie (M.Sc). Nach dem Abschluss des Advanced Studies Program in International Economic Policies am Institut für Weltwirtschaft in Kiel und Praktika bei der Deutschen Bank und Independent Research, startete er Anfang 2016 als Trainee bei M.M.Warburg & CO. Seit Mitte 2017 arbeitet Herr Böttger als Analyst im Investmentoffice der Bank.
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