Ausblick 2023 (IV) Markttechnik: Anhaltende Baisse oder doch nur ein „reinigendes Gewitter“?
16. Dezember 2022Vor einem Jahr haben wir uns an dieser Stelle gefragt, ob aus markttechnischer Sicht die Dynamik am Aktienmarkt weiter anhalten wird. Schon damals hatte sich die Stimmung vor allem bedingt durch die anhaltend hohen Inflationsraten eingetrübt. Die Märkte zeigten sich allerdings damals noch unbeeindruckt. Dies sollte sich jedoch mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dem starken Inflationsanstieg und dem darauffolgenden abrupten Regimewechsel in der Geldpolitik ändern.
Wir wollen heute mithilfe der Charttechnik die Reaktionen auf Aktien- und Anleihemärkte sowie auf das Währungspaar EUR/USA analysieren und einen Ausblick für das kommende Jahr geben. Besuchen Sie zu diesem Thema auch gerne unseren YouTube-Kanal mit weiteren aktuellen Videos zur Konjunktur- und Kapitalmarktentwicklung für das kommende Jahr:
Das Jahr 2022 war ein Jahr zum Vergessen an den globalen Kapitalmärkten.
Der Krieg in der Ukraine und die explosionsartige Steigerung der Inflation führte zu ebenso gewaltig steigenden Anleiherenditen. Somit wurde der Rentenmarkt zu einem enormen Belastungsfaktor für die globalen Aktienmärkte. Die Renditen der 10-jährigen US Staatsanleihen (Treasury Notes) haben sich binnen zehn Monaten von 1,4 Prozent auf über 4,2 Prozent verdreifacht, dies stellt historisch betrachtet die, in einem so kurzen Zeitraum, größte prozentuale Renditesteigerung dar. Diese Bewegung hatte zur Folge, dass der seit 1987 intakte Abwärtstrendkanal bei den Treasury Notes gebrochen wurde.
Solch ein Trendbruch, und wir sprechen hierbei von nahezu zwei Generation von Anlegern, die nur rückläufige Renditen kannten, kommt einem Gezeitenwechsel gleich und verursacht zum einen Angst (vor weiter steigenden Renditen) und zum anderen die Notwendigkeit Portfolios anzupassen.
Wir rechnen mit einer Beruhigung der Renditeentwicklung der Treasury Notes
Der im März 2022 erfolgte Bruch des Trendkanals führte zu massiver Anschlussdynamik und unterstützt die These, dass schnelle Positionsanpassungen erfolgt sind. In dieser Phase war gleichsam eine Übertreibung aller Trendfolger zu erkennen. Die Annahme, dass die Positionsbereinigungen größtenteils abgeschlossen sind, leiten wir aus der Tatsache ab, dass seit Oktober 2021 die Renditen zurückgegangen sind, obwohl die Inflation weiterhin hoch ist. Die Übertreibung und die Panik im Markt wurde abgearbeitet. Trotz Bruchs des Abwärtstrends rechnen wir mit einer Beruhigung der Renditeentwicklungen.
Der Bereich zwischen 3 und 3,2 Prozent als größte Unterstützung
Aus technischer Sicht sind durchaus noch einmal höhere Renditen zu erwarten, diese könnten allerdings im Bereich von 4,7 Prozent ihren Widerstand finden. Die Marke von 4,7 Prozent ermitteln wir hierbei aus der Differenz der Hochs der Jahre 2011 bis 2022 (ca. 3,2 Prozent) zu den Tiefs der Jahre 2013 bis 2020 (ca. 1,45 Prozent). In einer Übertreibung sind auch höhere Hochs im Bereich von 5,3 Prozent ableitbar, dies entspräche der 50 Prozent Korrektur der eingangs erwähnten Abwärtsbewegung von 1987 zum Allzeittief im Jahre 2020. Allerdings halten wir dieses Niveau für eher unwahrscheinlich. Auf der Unterseite stellen die Hochs der Jahre 2011 bis 2022 im Bereich zwischen 3 und 3,2 Prozent die größte Unterstützung dar und sollten im Jahr 2023 voraussichtlich nicht unterschritten werden.
Auch für die Renditeentwicklung der 10-jährigen Bundesanleihe rechnen wir mit einer Beruhigung
Ein nahezu identisches Bild ergibt sich beim Blick auf die Renditeentwicklung der 10-jährigen Bundesanleihen. Auch hier wurde im Jahr 2022 ein mehr als 30 Jahre bestehender Abwärtstrendkanal, der seinen Ursprung im Jahr 1990 nahm, zu den Akten gelegt. Auch dieser Trendbruch zog eine dynamische Anschlussbewegung nach sich, um sich ab Ende Oktober abzukühlen und seither zu konsolidieren. Für die Bunds rechnen wir aus der Chartkonstellation ebenfalls mit einer Beruhigung der Bewegung.
Wir rechnen damit, dass ein maximales Expansionsziel im Bereich von 2,9 bis 3 Prozent zu finden sein wird.
Auf diesem Niveau verlaufen die Renditetiefs der Jahre 2005 bis 2010 und zudem die 38,2 Prozent Fibonacci Retracement Marke der Bewegung von 1990 zum Allzeittief im Jahr 2020. Unterstützung sollten die Renditen im Bereich zwischen 1,45 Prozent und 1,20 Prozent finden, auf diesen Niveaus verlaufen diverse Hoch und Tiefpunkte der Jahre 2012 bis 2014 und hier verläuft die 38,2 Prozent Fibonacci Marke der Aufwärtsbewegung von November 2020 zum Verlaufshoch im Oktober 2022.
Aktienmärkte werden von Emotionen bewegt
Die Anlegerstimmung für Aktien, gemessen an den wöchentlichen Umfrageergebnissen der AAII (American Association of Individual Investors) zeigt über nahezu das gesamte Jahr 2022 eine Mehrheit bearisher (negativ gestimmter) Marktteilnehmer, während der Durchschnitt der seit 1987 existenten Zeitreihe etwa 1,25 mal mehr bullish (positiv) gestimmte Marktteilnehmer ergeben hat. Da Märkte in großem Maße von Emotionen bewegt werden, beeinflusst die Anlegerstimmung auch künftige Chancen und Risiken.
Der Umstand, dass das Jahr 2023 ein „US-Vorwahljahr“ darstellt, gibt Anlass zur Hoffnung.
In allen Vorwahljahren seit 1926, als der S&P 500 Index, der immerhin 70 Prozent der Wertentwicklung des MSCI World repräsentiert, erstmalig berechnet wurde, ergab sich ein Kurszuwachs von durchschnittlich 14,23 Prozent pro Jahr. Noch beeindruckender ist hierbei die Trefferquote von positiven Performancejahren zu negativen, denn das Verhältnis von 22 positiven zu zwei negativen Jahren fällt mit 91 Prozent überzeugend hoch aus. Lediglich die Jahre 1931 und 1939 musste der Index in Vorwahljahren mit negativen Performances beenden. Zum Vergleich: im Durchschnitt aller Jahre seit 1926 konnte der S&P 500 Kurszuwächse von 8,2 Prozent pro Jahr verbuchen bei einem Verhältnis von 68 zu 28 Jahre oder etwa 70 Prozent zu 30 Prozent positive gegen negative Kursentwicklung. Auch wenn die Statistik zum Dekadenzyklus, also alle Jahre die wie das Jahr 2023 auf „3“ enden, keinen kausalen Zusammenhang darstellt, verzeichnete der S&P 500 Index in den „3er Jahren“ im Durchschnitt sogar einen Wertzuwachs von 15,7 Prozent.
War das nur ein reinigendes Gewitter für den S&P 500 aus technischer Sicht?
Der S&P 500 Chart zeigt, dass sich der Index trotz zwischenzeitlich mehr als 25 Prozent Wertverlust zum Allzeithoch noch immer im seit 2009 begonnenen Aufwärtstrendkanal befindet.
Vielmehr ist die Bewegung von März 2021 bis Ende 2022 mit dem Überschreiten des oberen Randes des Trendkanals als Übertreibung zu bezeichnen. Diese Übertreibung wurde notwendigerweise das gesamte Jahr 2022 hindurch in geregelten Bahnen abgearbeitet und somit konsolidiert.
Dass der Index nahezu punktgenau auf der 200 Wochenlinie und nach der 50 Prozent Korrektur der Bewegung von März 2020 zum Allzeithoch Unterstützung fand, nährt die These vom „reinigenden Gewitter“. Somit sind auch gleichsam die wichtigsten Unterstützungsniveaus für den Index genannt.
Die Zone zwischen 3.400 Punkten und 3.600 Punkten definiert den wichtigsten Support für den Index.
Gelingt nun der Ausbruch aus dem aktuellen Abwärtstrend- beziehungsweise Konsolidierungskanal, wäre dies ein trendbestätigendes Signal für eine Fortsetzung der Aufwärtsbewegung seit 2009 und die Konsolidierung wäre somit als Flagge abgeschlossen. Das rechnerische Kursziel aus der erwarteten Flaggenauflösung beläuft sich aus der Höhe der Flagge auf etwa 4.600 Indexpunkte und somit in Schlagdistanz zum bisherigen Allzeithoch von knapp 4.800 Punkten.
Der DAX hat einige Widerstände überwunden
Der Blick auf die Charts der Aktienindizes heimischer Gefilde zeichnet ein ähnliches Bild wie das des S&P 500.
So hat der DAX vom Jahresstart 2022 an und ausgehend vom Allzeithoch mehr als 25 Prozent Wertverlust verzeichnen müssen. Auch hier erfolgte die Trendwende nahezu exakt nach der 50 Prozent Korrektur der vorangegangen Aufwärtsstrecke von März 2020 zum Allzeithoch im Bereich um 12.000 Punkte.
Allerdings ist der DAX bereits einen großen Schritt weiter und es gelang das nachhaltige Überwinden des Konsolidierungstrendkanals. Ebenso wurden horizontale Widerstände aus diversen Hochs der Jahre 2018 bis 2020 im Bereich von 13.500 Punkten und somit gleichsam die 200 Wochenlinie überwunden.
Dieser Bereich um 13.500 Punkten definiert somit die neue Kernunterstützung auf dem Weg zu höheren Notierungen für den Index.
Gelingt es dem Index nun die horizontale Widerstandsmarke um 14.800 Punkte (mehrmonatige Unterstützung im Jahr 2021) nach oben zu durchbrechen, lässt sich aus dieser Schiebezone ein Kursziel von 16.100 Punkten ableiten, ebenfalls nur unwesentlich unter dem bisherigen Allzeithoch knapp unter 16.300.
Auch der EuroStoxx50 konnte seinen Abwährtstrendkanal überwinden
Der EuroStoxx 50 Index als Barometer der größten Unternehmen der Eurozone konnte wie der DAX auch bereits seinen Abwärtstrendkanal vom Jahreshoch 2022 überwinden, ebenso die 200 Wochenlinie. Allerdings waren die Jahre 2013 bis 2021 per Saldo verschenkte Jahre, da in dieser Zeit keine nennenswerten Verlaufshochs, geschweige denn Allzeithochs erzielt werden konnten.
Aus ebendieser Tatsache hat sich Potenzial aufgestaut, das bei weitergehend positiver Weichenstellung freigesetzt werden sollte.
Das Überwinden der Hochs der Jahre 2015 und 2020 im Bereich um 3.800 Punkte gab hierfür den Startschuss. Aus der Schiebezone der Jahre 2016 bis 2021 zwischen 3.000 und 3.800 Punkten lässt sich der untere Rand bei 4.600 Indexpunkten und somit oberhalb des Hochs von 2022 festlegen. Kernunterstützungen für dieses Unterfangen stellen die 200 Wochenlinie bei etwa 3.600 Punkten und die Jahrestiefs 2022, die wiederum auf die 50 Prozent Korrektur der Bewegung von März 2020 zum Hoch 2022 fallen, im Bereich um 3.300 Punkte dar.
Wie wird das neue Jahr für das Währungspaar Euro/ USD?
Abschließen wollen wir unseren technischen Jahresausblick mit dem Währungspaar Euro / USD. Die seit 2008 andauernde Abwertungsbewegung des Euro zum US Dollar hatten wir bereits mehrfach in vorherigen Jahresausblicken thematisiert. Diese hat nach wie vor Bestand und wird im großen Bild auch andauern.
Allerdings stellte das Jahr 2022 auch für die Bewegung des Euro zum US-Dollar eine gewaltige Übertreibung dar.
Kurse unterhalb der Parität waren die Konsequenz. Diese Übertreibung wird weiter abgearbeitet und sollte das Währungspaar zurück in den von 2015 bis 2017 Bereich, wo sich das Währungspaar im Bereich zwischen 1,05 und 1,15 seitwärts bewegte, führen. Auf dem Weg zum oberen Rand dieser Bandbreite stellen sich dem Euro etliche Widerstände im Jahresverlauf in den Weg.
Das Ziel für Ende 2023 könnte bei 1,10 liegen
Beginnend mit der 50 Prozent Korrekturmarke der Bewegung von Mitte 2021 zum Zyklustief im Oktober 2022, bei etwa 1,09, der 200 Wochenlinie im Jahresverlauf weiterfallend im Bereich um 1,12 und nicht zuletzt mit dem oberen Trendkanalrand der Bewegung seit 2008. Dieser primäre Trendkanal verläuft zum Jahresende 2023 etwa um 1,10 und definiert somit auch Ziel für die Bewegung Euro zum US Dollar.
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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