Ausblick 2020 (III): Die unendliche Geschichte der Niedrigzinsen
3. Dezember 2019In Teil 1 und 2 unseres Jahresausblicks 2020 schauten wir auf die konjunkturellen Rahmenbedingungen für die Weltwirtschaft und die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Zu beobachten war eine deutliche Wachstumsverlangsamung. Auch die Inflationsraten sind in fast allen Ländern gesunken – die Renditen zwischenzeitlich auf neue Tiefstände gefallen. Bedeutet dies, dass Anleihen kein Investment mehr wert sind?
Staatsanleihen: Bodenbildung oder Trendwende bei den Renditen?
Vor 12 Monaten befanden sich die meisten globalen Notenbanken noch im Zinserhöhungsmodus, doch unter dem Eindruck immer schwächer werdender Konjunktur- und Inflationsdaten wechselte die Geldpolitik im Laufe dieses Jahres erneut die Richtung. Vor allem die Federal Reserve, die noch im Dezember 2018 den US-Leitzins erhöhte und für 2019 weitere geldpolitische Straffungen ankündigte, signalisierte schon im Januar eine Kehrtwende. In der ersten Jahreshälfte blieb die Fed Funds Target Rate noch unverändert, doch nachdem sich die Wachstumsraten der US-Wirtschaft im Jahresverlauf abschwächten und die für die Notenbank entscheidende Inflationsrate unter der Zwei-Prozent-Marke blieb, senkte die Fed im Juli, September und Oktober den Leitzins um insgesamt 75 Basispunkte auf eine Spanne von 1,50 bis 1,75 Prozent.
Auch die Europäische Zentralbank hat ihre Ende vergangenen Jahres formulierte Absicht, die Zinsen ab dem Sommer 2019 zu erhöhen, nicht in die Tat umgesetzt. Im Gegenteil: Schwache Wirtschaftsdaten und ein deutlicher Rückgang der Inflationsrate auf weniger als ein Prozent veranlassten den EZB-Rat im September, den Einlagenzinssatz von -0,40 auf -0,50 Prozent zu reduzieren. Gleichzeitig wurde nur neun Monate nach Beendigung des alten die Auflage eines neuen Anleihenaufkaufprogramms in Höhe von 20 Milliarden Euro monatlich beschlossen.
Expansive Geldpolitik, stark fallende Renditen
Die Federal Reserve und die EZB befinden sich in guter Gesellschaft. Von fast 40 globalen Notenbanken, deren Geldpolitik wir verfolgen, haben in 2019 23 die Zinsen gesenkt; dem stehen nur drei Erhöhungen gegenüber. 2018 war dies noch genau umgekehrt. Die internationale Geldpolitik ist also in dem letzten Jahr noch expansiver geworden als sie es ohnehin schon war. Im Umkehrschluss sind die Renditen in diesem Jahr stark gefallen, sodass Anlegern in festverzinslichen Wertpapieren zum Teil hohe Kursgewinne – teilweise in prozentual zweistelliger Höhe – beschert wurden.
Dabei war die Wertentwicklung umso besser, je länger die Restlaufzeit der Anleihen war. Bestes Beispiel hierfür ist die im Jahr 2017 von Österreich emittierte Staatsanleihe mit einer Restlaufzeit von damals 100 Jahren. Trotz eines nur kleinen Kupons von 2,1 Prozent gewann die Anleihe bis Ende August fast 80(!) Prozent an Wert. Dies war auf den bis in den Spätsommer zu beobachtenden Rückgang der Renditen zurückzuführen, der im Umkehrschluss zu steigenden Kursen bei ausstehenden Anleihen führte. Die Rendite für eine 10-jährige Bundesanleihe erreichte Ende August ein neues Rekordtief von -0,72 Prozent nachdem diese zu Jahresbeginn noch bei 0,25 Prozent gelegen hatte. 10-jährige US-Treasuries rentierten im September bei 1,46 Prozent im Vergleich zu 2,69 Prozent zu Jahresbeginn.
Mittlerweile haben sich die Renditen für Staatsanleihen in den USA und in der Eurozone von ihren Tiefstständen im Sommer 2019 allerdings wieder entfernt, sodass die Kurse gesunken sind. Die angesprochene österreichische Staatsanleihe weist mittlerweile „nur“ noch ein Kursplus von 50 Prozent auf.
Ist dies der Anfang einer Trendwende zu nachhaltig steigenden Renditen am Rentenmarkt? Wir halten das für unwahrscheinlich.
Sowohl das fundamentale, als auch das politische und geldpolitische Umfeld sprechen dafür, dass die Renditen nach den negative Übertreibungen im Sommer in einen Seitwärtskanal mit hoher Schwankungsbreite eintreten werden. Die global schwache Konjunkturentwicklung – die Weltwirtschaft wächst 2019 und 2020 nur mit Raten von drei Prozent, das ist das geringste Wachstum seit der Finanz- und Wirtschaftskrise – wird dazu führen, dass die Inflation und insbesondere die Inflationserwartungen 2020 sehr niedrig bleiben. Höhere Leitzinsen, die die Grundlage für eine nachhaltige Trendwende am Rentenmarkt bilden, sind im kommenden Jahr nicht zu erwarten.
Notenbank hält an ihrem Leitzins fest
In den USA tritt die Federal Reserve nach ihren drei Zinssenkungen in diesem Jahr, die sie selbst als „mid cycle adjustment“ charakterisierte, erstmal an die Seitenlinie. Fed-Präsident Powell signalisierte zuletzt, dass die Notenbank den Leitzins so lange beibehalten wird, wie die Konjunktur auf ihrem derzeitigen Kurs bleibt.
Da Zinserhöhungen von der Zentralbank erst dann erwogen werden, wenn die Inflationsrate deutlich über die Zwei-Prozent-Marke ansteigt, sind höhere Leitzinsen im nächsten Jahr nicht zu erwarten. Dagegen sind ein oder sogar zwei Zinssenkungen unseres Erachtens nach 2020 durchaus möglich, da die US-Wirtschaft weniger stark wachsen wird als in diesem Jahr. Die Fed Funds Futures zeigen, dass die Marktteilnehmer mehrheitlich in der zweiten Jahreshälfte mit einer Zinssenkung rechnen.
Die Europäische Zentralbank wird 2020 ihre Geldpolitik nicht verändern.
Mittlerweile ist den meisten Mitgliedern der EZB bewusst, dass die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Geldpolitik zugenommen haben und noch niedrigere Zinsen mehr Schaden anrichten als Gutes bewirken. Da die Notenbank über ihr Anleihenaufkaufprogramm jeden Monat für 20 Milliarden Euro europäische Staats- und Unternehmensanleihen sowie Pfandbriefe und Asset Backed Securities kauft, bleiben die Renditen gedeckelt. Hinzu kommen weitere 20 Milliarden Euro im Monat, die die EZB für die Wiederanlage auslaufender Wertpapiere investieren wird.
Hält Niedrigzinsphase in Europa an?
Die mittelfristigen Inflationserwartungen der Marktteilnehmer sowie die Konjunktur- und Inflationsprognosen der EZB lassen erwarten, dass die Niedrigzinsphase in Europa noch weit über das Jahr 2020 anhalten wird.
Auch die bislang noch ungelösten politischen Probleme, wie der Handelsstreit zwischen den USA und China, der Brexit und die Schwierigkeiten der politischen Mehrheitsfindung in vielen europäischen Ländern, werden dazu führen, dass die Renditen sehr niedrig bleiben; gleichwohl dürfte es sowohl in Europa als auch in den USA zu kräftigen Schwankungen kommen.
Wir erwarten, dass die Rendite für 10-jährige Bundesanleihen im kommenden Jahr zwischen null und -0,6 Prozent liegen wird. Die Rendite für 10-jährige US-Tresauries dürfte sich dagegen zwischen 1,4 und 2,0 Prozent bewegen.
Für Anleger ist das potenzielle Wertsteigerungspotenzial bei Staatsanleihen somit vergleichsweise unattraktiv.
Ausgehend vom aktuellen Niveau würde ein Renditerückgang auf -0,6 Prozent bei einer 10-jährigen Bundesanleihe zu einer positiven Wertentwicklung von rund zwei Prozent führen. Umgekehrt käme es bei einem Renditeanstieg auf null Prozent zu einer Wertminderung von etwa vier Prozent. Während eine sogenannte Buy-and-Hold-Strategie langfristig definitiv zu einer negativen Performance führen würde, kann das kluge Ausnutzen der zu erwartenden Schwankungen über eine rechtzeitige Verkürzung bzw. Verlängerung der Durationspositionierung in einem Anleihenportfolio jedoch zu einem Mehrertrag von zwei bis drei Prozentpunkten führen. Aktives Anleihenmanagement bleibt also Trumpf, dann haben Festverzinsliche auch weiterhin ihre Berechtigung in einem Portfolio!
Da derzeit rund 50 Prozent aller Staatsanleihen aus der Eurozone negative Renditen aufweisen, empfehlen wir, Staatsanleihen aus Osteuropa in die Wertpapierselektion einzubeziehen. Emissionen aus diesen Ländern verfügen noch über spürbar höhere Renditen, gleichzeitig weisen die meisten Staaten in aller Regel bessere Wachstums- und Verschuldungsraten auf. Zudem streben nicht wenige dieser Nationen eine Aufnahme in die EU oder die Eurozone an, wovon die Anleihen dieser Emittenten profitieren sollten.
Ist 2020 eine Übergewichtung von Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen 2020 zu empfehlen?
Eine interessante Anlagealternative zu Staatsanleihen stellen aus unserer Sicht europäische Unternehmensanleihen dar, mit denen Anleger schon in 2019durchschnittlich gut sechs Prozent verdienen konnten. Solange die wirtschaftliche Entwicklung in Europa nicht in eine Rezession abgleitet, sollten Unternehmensanleihen auch 2020 von der anhaltenden Suche nach höheren Renditen profitieren. Denn im Gegensatz zu Staatsanleihen, deren durchschnittliche Rendite innerhalb der Eurozone negativ ist, versprechen Unternehmensanleihen zwar geringe, aber immerhin noch positive Renditen.
Selbst ein, wie von uns prognostiziert, schwaches Wirtschaftswachstum in der Eurozone wird dafür sorgen, dass die Ausfallraten bei Unternehmensanleihen absolut und auch relativ gesehen gegenüber ihrer eigenen Historie niedrig bleiben werden. Hinzu kommt, dass die EZB wieder als Käufer auf dem relativ kleinen Markt der europäischen Unternehmensanleihen auftritt. Dies sorgt für einen zusätzlichen, nicht zu unterschätzenden Nachfrageimpuls, der selbst in möglichen Krisensituation dafür sorgen sollte, dass sich die Kreditaufschläge nicht stark ausweiten.
Zudem haben viele Unternehmen in Europa die vergangenen Jahre genutzt, um ihre Verschuldung und die Zinsbelastung durch das immer weiter sinkende Zinsniveau deutlich zu reduzieren. Damit sind sie auch für Zeiten eines anhaltend geringen Wachstums gut aufgestellt, sodass wir aus diesen Gründen für Unternehmensanleihen auch im nächsten Jahr eine positive Entwicklung erwarten. Zwar werden die Bäume für Anleger nicht in den Himmel wachsen, mit High-Yield- und Nachranganleihen sollte aber auch im kommenden Jahr eine positive Wertentwicklung von mehr als zwei Prozent möglich sein.
Trotz Niedrigzinsen: Anlageideen für 2020
Wir empfehlen, im nächsten Jahr weiterhin einen spürbaren Teil des Portfolios in High-Yield-Anleihen und Nachranganleihen aus Europa zu investieren. Diese Anleihen werden sich bei einem schwachen, aber leicht positiven Wachstum auch in 2020 einer starken Nachfrage erfreuen, da die Investoren durch das allgemein niedrige Zinsniveau gezwungen werden, in risikoreichere Anlageklassen zu investieren, da nur hier noch einigermaßen auskömmliche Renditen zu erzielen sind.
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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