Ausblick 2019 (II): Politische Risiken schlagen durch

Nachdem wir uns in der vergangenen Woche mit den konjunkturellen Aussichten für die Schwellenländer und die USA beschäftigt haben, geht es in Teil zwei unseres Ausblicks für 2019 um die Situation in der Eurozone und in Deutschland. Wie hat sich die deutsche Wirtschaft dieses Jahr entwickelt? Welche Rolle spielen die USA, China und unsere europäischen Nachbarn auf die Exporte und die Investitionstätigkeit der deutschen Unternehmen in 2019? Eine Einschätzung unseres Chefsvolkswirt Carsten Klude.

Die deutsche Wirtschaft hat dieses Jahr unerwartet deutlich an Fahrt verloren, was vor allem auf die Schwäche der Autoindustrie zurückzuführen ist. 2019 wird die Konjunkturdynamik noch schwächer ausfallen. Aus Deutschland gibt es wenig wirtschaftliche Impulse für die Eurozone, die zudem unter den Unsicherheiten des Brexit und des Haushaltsstreits zwischen der EU und Italien leidet.

Eurozone: Politische Risiken schlagen durch

Die wirtschaftliche Dynamik in den 19 Ländern der Eurozone hat im Jahresverlauf deutlich nachgelassen. Zwar wird das Wirtschaftswachstum im Jahr 2018 noch bei 1,9 Prozent liegen, doch rechnen wir für das nächste Jahr mit einer deutlichen Abschwächung auf nur noch 1,3 Prozent. Dabei sind die konjunkturellen Risiken immens. So hat sich die Dynamik der Exporte, von denen die Wirtschaft in der Eurozone stark abhängt, bereits deutlich abgeschwächt.

Für die nachlassende Auslandsnachfrage ist neben den gestiegenen Unsicherheiten in Zusammenhang mit den Handelsstreitigkeiten auch die Aufwertung des Euro verantwortlich. Aber auch von der Binnennachfrage gingen weniger Konjunkturimpulse aus als ursprünglich erwartet. Trotz der in den meisten Ländern sinkenden Arbeitslosigkeit hielten sich die Lohnzuwächse in Grenzen. Zugleich sorgte der Anstieg der Inflation für eine sinkende Kaufkraft.

Brexit: Ein ungeordneter Austritt wird teuer

Als besonderer Belastungsfaktor erweist sich zudem der Brexit, da die Austrittsverhandlungen Großbritanniens aus der EU bisher mehr als chaotisch verlaufen sind. Ob der von der britischen Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Vertrag im britischen Parlament eine Mehrheit findet, ist derzeit völlig offen. Sollte die Abstimmung keine Mehrheit für eine Annahme finden, sind verschiedene Szenarien möglich:

  • von Nachverhandlungen mit der EU und
  • einer zweiten Abstimmung,
  • einem Austritt am 29. März 2019 ohne Deal (geordnet oder ungeordnet),
  • Neuwahlen bis hin zu
  • einem zweiten Referendum, wobei diese Möglichkeit aus unserer Sicht am unwahrscheinlichsten ist.

Nun zeigt sich, dass die britischen Politiker, die sich für den Brexit stark gemacht haben, die Komplexität des Austritts völlig unterschätzt haben. Wie befürchtet, erweisen sich die Erwartungen, die im Vorfeld der Brexit-Entscheidung im Vereinigten Königreich geschürt worden sind, als unrealistisch. Ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus der EU könnte das Land im nächsten Jahr in eine Rezession stürzen, da das Land keine besonderen Handelsbeziehungen zur EU mehr hätte.

Für den zukünftigen Handel würden WTO-Regeln gelten, was bedeutet, dass auf fast alle Waren Zölle erhoben werden. Dabei sind bislang aber weder logistische noch personelle Voraussetzungen für diesen Fall getroffen worden. Wo und wie Grenzkontrollen ab April 2019 durchgeführt werden sollen, ist ungeklärt. Für die EU-Länder als Ganzes wären die ökonomischen Auswirkungen ebenfalls negativ, aber wohl nicht so ausgeprägt wie für Großbritannien. Dies gilt jedoch nicht für die Mitgliedsstaaten, die besonders enge wirtschaftliche Beziehungen zu Großbritannien haben, wie Irland, aber auch Malta oder Zypern. Auch in diesen Ländern müsste mit einer Rezession gerechnet werden.

Frankreich: Reformen benötigen Zeit

Neben Deutschland verzeichneten auch die beiden anderen großen Volkswirtschaften der Eurozone, Frankreich und Italien, ein geringeres Wirtschaftswachstum. Nachdem die Wahl Emanuel Macrons im vergangenen Jahr noch Aufbruchsstimmung im Land verbreitete, sorgte die Umsetzung einiger der dringend notwendigen Reformen für Ernüchterung bei vielen Bürgern.

Die Streikfreude der französischen Arbeitnehmer führte zu Produktionsausfällen, die sich negativ auf die Gesamtwirtschaft auswirkten. Darüber hinaus hatten auch die französischen Unternehmen mit einer nachlassenden Nachfrage aus dem Ausland zu kämpfen. Strukturell halten wir Frankreich aber für gut aufgestellt, sodass die Wirtschaft im kommenden Jahr moderat wachsen sollte.

Italien: Spiel mit dem Feuer

Große Sorgen muss man sich hingegen um Italien machen. Der Konfrontationskurs der populistischen Regierung in Rom mit den EU-Partnern schürt die Sorge vor einer neuen Schuldenkrise. So hat die Ankündigung, dass das Haushaltsdefizit im nächsten Jahr größer ausfallen soll als ursprünglich vereinbart, zu höheren Risikoprämien für italienische Staatsanleihen geführt.

Der Zins für die Aufnahme neuer oder die Prolongation bestehender Schulden ist bereits höher als der für fällig werdende Anleihen. Damit engt sich der ohnehin geringe Handlungsspielraum für die italienischen Staatsausgaben weiter ein. Würden alle von der neuen Regierung geplanten fiskalischen Maßnahmen umgesetzt werden, dürfte das geplante Defizit sogar noch überschritten werden, zumal die zugrundeliegenden Wachstumserwartungen vermutlich zu optimistisch sind.

Wir gehen aber davon aus, dass es zu einem Kompromiss kommen wird, der zwar zu einem größeren Fehlbetrag im Staatshaushalt führen wird als von der alten Regierung ursprünglich geplant war, aber etwas unterhalb dessen liegen wird, was die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung zuletzt angekündigt haben. Solange aber keine Einigung erzielt wird, werden die Kapitalmarktzinsen weiter ansteigen und damit den Druck auf die römische Regierung erhöhen.

Wie 2015 in Griechenland dürfte es auch in Italien ein schmerzhafter Weg bis zu einer Einigung werden. Dass Italien die Eurozone verlässt und zu einer eigenen Währung zurückkehrt, halten wir dagegen für sehr unwahrscheinlich. Denn ähnlich wie damals in Griechenland haben die Bürger zwar eine eurokritische Regierung gewählt, die Mehrheit der Bevölkerung möchte aber dennoch den Euro als Zahlungsmittel behalten.

Deutschland: Unter die Räder gekommen

Die deutsche Wirtschaft hat in diesem Jahr unerwartet deutlich an Fahrt verloren. Sah es zunächst danach aus, als ob hierfür Sonderfaktoren verantwortlich wären (ein sehr kalter Winter, der von einem heißen und trockenen Sommer abgelöst wurde sowie Streiks und eine Grippewelle zu Jahresbeginn), hellte sich das Bild auch in der Folgezeit nicht auf. Im dritten Quartal sorgte dann der Einbruch der Automobilproduktion sogar für eine rückläufige Wirtschaftsentwicklung – das erste Mal seit Anfang 2015.

Die Probleme bei der Umstellung auf das neue Abgasmessverfahren WLTP führten dazu, dass die deutsche Automobilfertigung in den Monaten August und September um rund ein Viertel niedriger war als im Vorjahr. Die Lieferschwierigkeiten führten zudem zu einem Rückgang der Exporte und wirkten sich negativ auf den privaten Verbrauch aus.

Im Oktober hat sich die Produktion jedoch wieder erholt, und dieser Trend sollte sich zunächst fortsetzen. Schließlich sind die Auftragsbestände im Fahrzeugbau, die noch abgearbeitet werden müssen, auf einem Rekordniveau. Von daher wird das Wachstum im vierten Quartal von diesem Aufholprozess profitieren. Dennoch ist in diesem Jahr nur noch eine reale BIP-Wachstumsrate von 1,6 Prozent zu erreichen.

Wenig hilfreich waren in diesem Zusammenhang auch die Revisionen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2017: Im Gegensatz zu den konjunkturellen Frühindikatoren, die erst zu Beginn des Jahres 2018 ihre besten Werte markierten, hatte die Konjunkturdynamik demnach schon im ersten Quartal 2017 ihren Höhepunkt erreicht; diese Erkenntnis kam aber für die Wachstumsprognose im Vorjahr zu spät. Der von den USA ausgehende internationale Handelsstreit hatte dagegen bislang wenig direkt messbare Effekte. So sind die deutschen Ausfuhren sowohl nach China als auch in die USA in diesem Jahr deutlich angestiegen. Die dennoch enttäuschende Entwicklung der Exporte im Jahr 2018 ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die Ausfuhren nach Großbritannien und in andere Länder außerhalb des Euroraums deutlich abgeschwächt haben.

Ausblick 2019: Bremsende Effekte des Handelsstreits – Exporte und Investitionen leiden

Für 2019 rechnen wir mit einem noch geringeren Wirtschaftswachstum in Deutschland von 1,3 Prozent. Diese Rate entspricht in etwa dem Potenzialwachstum, sodass diese Prognose nicht impliziert, dass der Aufschwung in Deutschland zu Ende ist. Dies ist sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht. Gut deswegen, weil sie nur eine konjunkturelle Normalisierung unterstellt, aber schlecht, weil die Gefahr besteht, dass diese Einschätzung zu optimistisch sein könnte, wenn die aufgeführten diversen Risiken zum Tragen kommen.

Die konjunkturelle Abschwächung in den USA, China und bei den europäischen Nachbarn wird sich bremsend auf die Exporte und die Investitionstätigkeit der Unternehmen auswirken. 2018 haben die deutschen Ausfuhren nach China und in die USA deutlich zugenommen, doch in den letzten Monaten sind die Auftragseingänge aus dem Ausland kontinuierlich gesunken. Von daher wird sich die Exportdynamik abschwächen.

Einen Silberstreif am Horizont könnte die Abwertung des Euro darstellen. Üblicherweise dauert es rund ein halbes Jahr, ehe sich Veränderungen im Wechselkurs in der Realwirtschaft bemerkbar machen. Da sich die globale Konjunktur jedoch 2019 abschwächt, hilft der wettbewerbsfähigere Wechselkurs aber nur bedingt weiter. Von daher erwarten wir, dass die Exporte im nächsten Jahr um 1,7 Prozent wachsen (2018: 2,2 Prozent). Die Importe werden hingegen stärker ausgeweitet werden, sodass aus dem Außenhandel erneut ein negativer Wachstumsbeitrag resultiert.

Die gestiegene Unsicherheit der Unternehmen, die sich an wichtigen Frühindikatoren, wie dem Ifo-Index oder den Einkaufsmanagerbefragungen ablesen lässt, führt zudem dazu, dass trotz einer hohen Kapazitätsauslastung Investitionen verschoben oder ganz unterlassen werden. Die Ausrüstungsinvestitionen werden von daher 2019 nur um 2,4 Prozent (2018: 4,0 Prozent) steigen. Dies trägt mit dazu bei, dass das Potenzialwachstum in den nächsten Jahren weiter zurückgehen wird.

Deutsche bleiben Konsummuffel, Sparquote stark angestiegen

Der Konsum in Deutschland könnte dagegen 2019 mit 1,4 Prozent etwas stärker als in diesem Jahr (1,2 Prozent) wachsen, vorausgesetzt der derzeitige Rückgang des Ölpreises erweist sich als nachhaltig. In diesem Fall wird die Inflationsrate von 1,9 auf durchschnittlich 1,6 Prozent im nächsten Jahr sinken, wovon die Ausgabenspielräume der Privathaushalte profitieren. Während der Internethandel weiter floriert, kämpft der traditionelle Einzelhandel mit vielfältigen Problemen.

Hinzu kommt, dass die Probleme der Automobilindustrie und die damit in Zusammenhang stehenden ungeklärten Fragen (Fahrverbote, Nachrüstung alter Diesel-PKW, Übergang zu E-Mobilität) die Nachfrager stark verunsichert haben. Die Kaufzurückhaltung lässt sich am besten daran ablesen, dass die Sparquote in den letzten Quartalen stark angestiegen ist, was normalerweise in einer derartigen Phase des Konjunkturzyklusses nicht zu beobachten ist. Mit 10,7 Prozent im dritten Quartal 2018 war das „Angstsparen“ der Deutschen fast so ausgeprägt wie während der Krise 2008/2009.

Die finanzielle Situation insgesamt kann aber als sehr komfortabel beschrieben werden. Solange die thematisierten Probleme nicht geklärt sind, werden die deutschen Verbraucher ihre Eigenschaft als Konsummuffel wohl nicht ändern. Das Potenzial für zukünftig wieder kräftiger zunehmende Konsumausgaben ist jedoch vorhanden.

Lesen Sie im ersten Teil, wie wir die konjunkturellen Perspektiven für die Schwellenländer und die USA einschätzen.

Ausblick 2019 (I): Droht ein stärkerer wirtschaftlicher Rückschlag?

Nach einem verheißungsvollen Beginn hat sich die konjunkturelle Dynamik im Jahr 2018 nach und nach abgeschwächt. Insbesondere politische Themen – wie der Handelsstreit zwischen…

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Bildcredit: BeneA/ photocase.de

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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