Aktienselektion: Eine etwas andere Herangehensweise
5. April 2021Bei der Analyse und Selektion von Aktien wird grundsätzlich nach Unternehmen mit positiven Eigenschaften Ausschau gehalten. Man ist auf der Suche nach Aktien mit günstiger Bewertung, hohem Gewinnwachstum, guter Bilanzqualität und attraktiver Eigenkapitalrendite. Doch es gibt kaum eine Aktie, die gleichzeitig in all diesen Disziplinen positiv auffällt.
Wie wäre es jetzt, wenn man sich nicht mehr auf die Jagd nach attraktiven Eigenschaften begibt, sondern stattdessen nur die Aktien ausschließt, die offensichtlich besonders schlechte Eigenschaften aufweisen?
Von der Analyse und Selektion von Aktien
Kein Investor wird sich beschweren, wenn die Aktie auch noch eine geringe Kursvolatilität aufweist und in der Vergangenheit geringe Draw-Downs produziert hat. Was sich zunächst einfach anhört, kommt jedoch in gewisser Weise einer Kunst gleich, denn es gibt kaum eine Aktie, die gleichzeitig in all den oben genannten Disziplinen positiv auffällt.
Aktien mit hohem Gewinnwachstum sind in aller Regel nicht günstig, und Werte mit einer hohen Eigenkapitalrentabilität sind nicht selten vergleichsweise hoch verschuldet und weisen dementsprechend eben keine hohe Bilanzqualität auf.
Genau das führt dann in der Praxis dazu, dass man gezwungen ist, in der Selektion Kompromisse einzugehen. Dabei haben sich zwei unterschiedliche Lager herausgebildet.
- Das eine Lager setzt den Schwerpunkt eher auf Gewinnwachstum und Profitabilität (Growth) und akzeptiert hohe Bewertungen,
- das andere Lager setzt eher auf günstige Bewertungen (Value) und akzeptiert geringere Gewinnwachstumsraten und eine unterdurchschnittliche Profitabilität.
Hier gibt es kein Richtig und kein Falsch – in den letzten zehn Jahren wäre man sicher besser mit der Growth-Strategie gefahren, doch kann keiner mit Gewissheit sagen, dass dies auch für die nächsten zehn Jahre der Fall sein wird. Daher ist die Diskussion auch ein wenig müßig, zumal es in beiden Lagern sowohl gute und schlechte und damit erfolgreiche und auch weniger erfolgreiche Investoren gibt.
Mal eine andere Idee: Nur „schlechte“ Aktien ausschließen
Statt nun einen weiteren Beitrag darüber zu liefern, welche Investmentphilosophie die richtige sein könnte, hatten wir eine andere Idee: Wie wäre es denn, wenn man sich nicht mehr auf die Jagd nach attraktiven Eigenschaften begibt und dabei am Ende doch nur Kompromisse machen muss, sondern stattdessen nur die Aktien ausschließt, die offensichtlich besonders schlechte Eigenschaften aufweisen?
Eine solche Vorgehensweise funktioniert nicht mit einem Scoringverfahren, sondern mit einem Filterverfahren.
Es geht also nicht darum, aufgrund attraktiver Eigenschaften möglichst gut in einem Scoring abzuschneiden, sondern ausschließlich darum, eine vergleichsweise niedrig angesetzte Hürde zu nehmen. Um ein solches Verfahren anhand europäischer Aktien zu testen, haben wir die Filter wie folgt gesetzt:
In einem ersten Schritt haben wir jeweils anhand mehrerer Kriterien allen Aktien im STOXX 600 einen Rangplatz für folgende Bereiche zugewiesen: Bilanzqualität, Profitabilität, Volatilität, Bewertung sowie Gewinnwachstum.
Eine Aktie konnte einen Filter nur dann passieren, wenn sie zu den besten 80% im STOXX 600 gehörte. Damit passierten jeweils genau 480 Aktien pro Umschichtungstermin und Kennzahl einen Filter. Bei dieser hohen Zahl könnte man vermuten, dass auch das resultierende Portfolio sehr viele Aktien enthält. Doch diese Vermutung bestätigt sich nicht.
Wir haben mit den historischen Indexmitgliedern und den Daten, die auch historisch bei einer Echtzeitanwendung verfügbar gewesen wären (point-in-time-data), ab 2010 alle sechs Monate ein Portfolio auf Basis der oben genannten Filter erstellt; die Anzahl der Aktien in dem Portfolio schwankte dabei von 69 bis 119 und lag im Schnitt bei 100 Werten. Der Grund für diese überraschend geringe Anzahl vor dem Hintergrund der wenig ambitionierten Filter ist leicht erklärt:
Wie bei Menschen gilt auch bei Aktien: Nobody is perfect.
Es gibt gar nicht so viele Aktien, die komplett ohne Schwächen auskommen. Aber wie haben sich die Aktien geschlagen, die zumindest keinen ganz extremen „Schaden“ aufweisen und daher unsere Filter der Reihe nach passiert haben?
Die Rückrechnung (ohne Kosten) zeigt eine Wertentwicklung, die über die Jahre hinweg deutlich besser ausfällt als die des Ausgangsuniversums. Dabei ist der Tracking Error als Maß für die Abweichung von der Benchmark sogar noch relativ klein (3,8%) und die Volatilität liegt exakt auf der des Indexes. Die Draw-Down-Eigenschaften sind ebenfalls ähnlich wie die der Benchmark und der Information Ratio liegt bei einem hochattraktiven Wert von 1,2. Analysiert man die gleitende Jahresrate der Strategie und vergleicht diese mit der gleitenden Jahresrate des STOXX 600 fällt auf, dass es kaum Zeiträume gab, in denen die Strategie systematisch und konstant schlechter war als.
Das zeigt auch die Entwicklung der aktiven Rendite die sich ergeben hätte, wenn man (ohne Kosten) die Strategie auf der Long-Seite implementiert hätte und gleichzeitig den Markt mit dem Verkauf eines STOXX-600-Futures abgesichert hätte.
Trotzdem sollte man nicht glauben, dass diese Strategie jederzeit perfekt funktioniert hätte
Der Draw-Down-Chart der aktiven Rendite zeigt deutlich auf, dass vor allem in den letzten beiden Jahren zwischenzeitlich höhere Rückschläge relativ zur Benchmark zu verkraften gewesen wären. Trotzdem ändert diese Erkenntnis nichts daran, dass diese Strategie, die komplett ohne sogenanntes Curve-Fitting oder eine Optimierung entwickelt wurde, in der Summe und über die Jahre hinweg erstaunlich gut funktioniert hätte.
Wie kann es sein, dass eine so simple Strategie derart gute Ergebnisse liefert? Vor allem wenn man bedenkt, dass durch die doch wenig restriktiv eingestellten Filter manche Aktie im Portfolio auftauchen, die sonst bei einer eher klassischen Selektionsmethode nicht gekauft worden wären? Vielleicht ist es ein bisschen wie beim Apfelkuchenbacken. Hier prüft man auch nicht jeden Apfel intensiv und ausführlich auf seinen Geschmack, bevor er für den Kuchen verwendet wird. Eigentlich reicht es aus, wenn man dafür sorgt, dass keine komplett faulen Äpfel dabei sind.
Am Ende ist Investieren auch ein wenig wie Backen: Das Ergebnis muss schmecken und nicht unbedingt jede einzelne Zutat!
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Autor: Dr. Christian Jasperneite
Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.
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