Aktienmärkte: Mehr als heiße Luft?
3. Juli 2020Das erste Halbjahr 2020 hat die Anleger viele Nerven gekostet. Niemals zuvor sind die Aktienmärkte so schnell, so tief gefallen, und niemals zuvor haben sie sich von einem derartigen Kurseinbruch so schnell wieder erholt. Was bedeutet dies für die Aktienmärkte – und für Anleger?
Diejenigen, die das erste Halbjahr verschlafen haben, würden wohl mit Blick auf die Kurse vom 30. Juni kaum auf die Idee kommen, dass sie einen schwarzen Schwan namens Covid-19 verpasst haben, der zu turbulenten Kursentwicklungen und schweren Marktverwerfungen geführt hat.
Dabei begann das Aktienmarktjahr 2020 verheißungsvoll:
Mitte Februar erreichten viele Indizes historische Höchststände, der DAX notierte mit 13.800 Punkten so hoch wie niemals zuvor. Doch dann sorgte das Coronavirus dafür, dass sich die Kursgewinne in kürzester Zeit in Luft auflösten – und der längste Bullenmarkt aller Zeiten sein Ende fand. Ausschlaggebend hierfür war die Verbreitung des Virus ausgehend von China nach Südkorea, dem Iran und schließlich nach Italien. Was zunächst als lokales Gesundheitsproblem in der chinesischen Stadt Wuhan begonnen hatte, entwickelte sich zu einer Pandemie. Mittlerweile haben sich mehr als 10 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert, 500.000 sind seinetwegen gestorben.
Aber in diesem Jahr schrumpft die Wirtschaft
Die Mitte März ergriffenen Maßnahmen, um mittels Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens die weitere Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern, haben in der Folge zu einem nie dagewesenen Konjunktureinbruch geführt. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass die globale Wertschöpfung in diesem Jahr um fast fünf Prozent geringer ausfällt als im Jahr 2019. Dies wäre der stärkste Rückgang seit der Großen Depression von 1929/30. Erstmals würden alle Regionen gleichzeitig von einer Rezession betroffen sein. Nur die chinesische Wirtschaft wird nach der Prognose des IWF in diesem Jahr ein kleines Wachstum von einem Prozent erzielen, in allen anderen Ländern soll die Wirtschaft dagegen schrumpfen.
Welche Unternehmen haben sich am besten erholt?
Trotz der schweren wirtschaftlichen Krise haben sich die Aktien- und Anleihemärkte von dem Coronaschock nach und nach wieder erholt. Die US-Technologiebörse Nasdaq hat mittlerweile all ihre Verluste wieder aufgeholt und zuletzt sogar ein neues Rekordhoch erklommen. Viele Technologieunternehmen haben davon profitiert, dass sich ihre Geschäftsmodelle auch in der Krise bewährt haben und Umsätze und Gewinne weiter angestiegen sind.
Fünf Aktien haben seit Jahresbeginn besonders stark zugelegt: Facebook, Apple, Amazon, Microsoft und Alphabet haben mittlerweile einen Anteil von rund einem Viertel an der gesamten Marktkapitalisierung des S&P 500.
Rund 70 Prozent der übrigen im Index enthaltenen Aktien weisen dagegen eine negative Gesamtjahresentwicklung auf. Für den DAX sehen die Zahlen ähnlich aus, zwanzig der dreißig Unternehmen liegen am 30. Juni im Vergleich zum Beginn des Jahres im Minus.
Wie kam es zu dieser Erholung?
Ausschlaggebend für die starke Kurserholung im zweiten Quartal war die expansive Geld- und Fiskalpolitik. Die US Federal Reserve und die Europäische Zentralbank haben eine nie dagewesene expansive Geldpolitik implementiert und die Märkte mit Liquidität geflutet. Die globalen Notenbanken (erstmals auch die aus den Schwellenländern) haben nicht nur die Zinsen gesenkt, sondern auch umfangreiche und vom Volumen her nie zuvor gesehene Wertpapierkäufe initiiert. So hat die US-Notenbank seit Mitte März ihre Bilanz massiv ausgeweitet, in dem sie nicht nur Staatsanleihen sondern erstmals auch Unternehmensanleihen gekauft hat.
Massives Kaufprogramm der Notenbanken
Aber auch die EZB hat seit Mitte März mit ihren verschiedenen Kaufprogrammen Anleihen für fast 500 Milliarden Euro erworben. Alles in allem summieren sich die Wertpapierkäufe der G10-Notenbanken im letzten halben Jahr auf rund sechs Billionen US-Dollar. Das ist mehr als doppelt so viel wie während der zwei Jahre dauernden Finanzkrise, die Ende 2007 begann. „Whatever it takes“, im Juli 2012 von Mario Draghi zur Handlungsmaxime erhoben, ist mittlerweile rund um den Globus das Maß aller Dinge von Notenbanken und von Regierungen.
Staatliche Hilfs- und Konjunkturprogramme
Zu diesen gehören unter anderem die Einführung oder die Ausweitung von Kurzarbeiterregelungen nach deutschem Vorbild sowie direkte Unterstützungszahlungen in Form von Schecks und Überweisungen an private Haushalte und Liquiditätshilfen für in Bedrängnis geratene Unternehmen. Insgesamt summieren sich die Hilfsprogramme auf rund 11 Billionen US-Dollar.
Dies hat zur Folge, dass sich die Staatsverschuldung deutlich erhöht.
Marktteilnehmer ließen sich davon aber nicht beirren und haben diese Maßnahmen so interpretiert, dass vor allem die Notenbanken mit aller Macht die Kurse an den Aktien- und Anleihenmärkten stabilisieren wollen, um eine neue Finanzkrise abzuwenden. Hiermit wurde im Endeffekt wohl der größte Put aller Zeiten geschaffen. Dies hat zu einer Abkopplung der Kapitalmärkte von der Realwirtschaft beigetragen. Negative wirtschaftliche Konsequenzen, die die Coronakrise mit sich bringen wird, wie die hohe Verschuldung von Staaten und Unternehmen, eine geringere Produktivität und davon ausgehend eine weitere Verlangsamung des Potenzialwachstums sowie zunehmende Verteilungsungleichgewichte werden dagegen im Moment ausgeblendet.
Aber auch die Frühindikatoren zeigen eine Erholung
Unterstützung bekommen die Aktienkurse mittlerweile aber auch von den Frühindikatoren. Diese zeigen, dass der wirtschaftliche Tiefpunkt im Mai durchschritten worden ist. Die seitdem erfolgte schrittweise Lockerung der wirtschaftlichen Einschränkungen spiegelt sich beispielsweise in der Verbesserung der Einkaufsmanagerindizes oder auch im Ifo-Geschäftsklimaindex wider. Auch realwirtschaftliche Daten, wie beispielsweise die Einzelhandelsumsätze, zeigen, dass die erste Phase der konjunkturellen Erholung „v“-förmig verlaufen ist.
Von daher halten wir die Prognosen des IWF auch für etwas zu pessimistisch;
Sodass unsere Einschätzungen für Deutschland (-5,5 Prozent), den Euroraum (-7,2 Prozent) und die USA (-3,7 Prozent) im Moment deutlich von denen des Währungsfonds abweichen. Allerdings kann man für das zu erwartende Wirtschaftswachstum in diesem Jahr immer noch nur grobe Schätzungen abgeben, weil noch nicht klar ist, wie schnell sich die Realwirtschaft wieder erholen wird oder ob es vielleicht eine zweite Infektionswelle geben wird, die eine erneute Schließung der Wirtschaft nach sich ziehen könnte.
Und was macht eigentlich das Coronavirus?
Während die Ausbreitung des Coronavirus in vielen Ländern in Europa und in Asien weitgehend unter Kontrolle gebracht werden konnte, nimmt die Zahl der Neuinfektionen in den USA wieder zu. Besonders betroffen sind die Bundesstaaten Texas, Florida, Georgia, Arizona und Kalifornien. Konjunkturelle Echtzeitindikatoren, wie die von Apple veröffentlichten Mobilitätstrends zeigen, dass das Risiko besteht, dass sich die begonnene Erholung deutlich abschwächt. Ähnliches könnte in anderen Ländern geschehen. Schweden und Israel sind ebenfalls Länder mit prozentual zweistelligen Zuwachsraten pro Tag bei den Neuinfektionen. Daneben breitet sich das Virus auch in vielen Schwellenländern weiterhin stark aus.
Wo ist das neue Epizentrum der Pandemie?
Das neue Epizentrum der Pandemie stellt allerdings Lateinamerika dar, vor allem in Brasilien erkranken und sterben viele Menschen. Auch in Indien ist das Virus immer noch nicht unter Kontrolle. Solange es kein wirksames Medikament oder einen Impfstoff gibt, die in ausreichenden Mengen produziert werden, dürfte eine Rückkehr zur gewohnten Normalität schwierig werden.
Dies spricht dafür, dass sich an die erste Phase der „v“-förmigen Erholung eine zweite, länger anhaltende Phase mit geringerer Konjunkturdynamik anschließen wird.
Dann könnte es bis zu zwei Jahre dauern, bis die entstandenen wirtschaftlichen Schäden wieder vollständig aufgeholt sind.
Was bedeutet dies für die Aktienmärkte?
Nach der starken Kurserholung in den vergangenen drei Monaten käme eine Konsolidierung im traditionell schwächeren dritten Quartal nicht überraschend.
Gebremster Risikoappetit für Anleger?
Eine weiter zunehmende Zahl an Neuinfektionen, begleitet von neuen wirtschaftlichen Einschränkungen sowie ein verringertes Tempo bei den konjunkturellen Aufholeffekten könnte den Risikoappetit der Anleger bremsen.
Politische Unsicherheiten durch US-Wahl
Hinzu kommen politische Unsicherheiten, die von der anstehenden US-Präsidentschaftswahl am 3. November ausgehen könnten. Sollte der Demokrat Joe Biden die Wahl gewinnen, könnten zumindest Teile der von Donald Trump beschlossenen Steuerreform rückgängig gemacht werden.
Geld- und Fiskalpolitik als Fundament des Aufschwungs
Trotz der für Anleger weiterhin geringen Visibilität und der hohen Unsicherheit bleiben jedoch die Geld- und Fiskalpolitik das Fundament des Aufschwungs. Wir fühlen uns in gewisser Weise an das Jahr 1998 erinnert, als die US-Notenbank unter Alan Greenspan im Herbst drei Zinssenkungen beschloss, nachdem der Hedgefonds LTCM Pleite gegangen war und dies zu erheblichen Kursverwerfungen an den Aktien- und Anleihemärkten geführt hatte. Spätestens seit dieser Zeit spricht man vom „Greenspan-Put“, also einer Serie von Zinssenkungen, mit denen der damalige Notenbankpräsident einen Absturz der Aktienmärkte verhindert hat.
Aber Vorsicht:
Als sich die Konjunktur danach wieder erholte, versäumte es die Notenbank jedoch, rechtzeitig wieder die Zinsen zu erhöhen. Aufgrund der Sorge vor möglichen Computer-Problemen („Y2K“) aufgrund des Jahrtausendwechsels versorgte man die Märkte weiterhin mit üppiger Liquidität – und schuf damit die bislang größte Börsenblase aller Zeiten.
Kennzeichen einer Blase?
Das DAX-KGV stieg in der Zeit zwischen Oktober 1998 und Februar 2000 von 20 auf 30, das des S&P 500 legte von 20 auf 25 zu, und das KGV für US-Technologiewerte erhöhte sich sogar von 25 auf 45. Nimmt man diese Bewertungsausweitung von damals als Maßstab, könnten die Kurse in den nächsten eineinhalb Jahren noch deutlich ansteigen. Blasenbildungen können nämlich sehr lange anhalten. In der Vergangenheit sind sie oft erst dann geplatzt, wenn die Notenbanken die Zinsen erhöht haben – und damit ist für eine ganze Weile nicht zu rechnen.
Autor: Dr. Christian Jasperneite
Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.
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