USA: Wie nachhaltig ist der wirtschaftliche Aufschwung?
2. November 2018Die US-Wirtschaft hat im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres ein beeindruckendes Wachstumstempo gezeigt. US-Präsident Trump scheint damit sein Versprechen, die Wirtschaft mit Hilfe von Steuererleichterungen und Deregulierungen „nachhaltig“ auf ein höheres Wachstumsniveau zu hieven, einzulösen. Doch kann die US-Wirtschaft die hohe Wachstumsdynamik der vergangenen sechs Monate auch in den kommenden Quartalen aufrechterhalten?
Die auf das Gesamtjahr hochgerechneten Zuwachsraten des realen Bruttoinlandsproduktes der USA lagen mit 4,2 und 3,5 Prozent so hoch wie selten zuvor seit dem Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise. Tendenziell neigt man dazu, das Adjektiv „nachhaltig“ mit „dauerhaft“ gleichzusetzen, doch dies wäre falsch. Nicht umsonst spricht man von Konjunkturzyklen, also Auf- und Abschwüngen, die durch Veränderungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft ausgelöst werden.
Um von einem nachhaltig höheren Wachstum zu sprechen, reicht es von daher nicht aus, wenn die Wirtschaft über einige Quartale hinweg stärker wächst, sondern die wirtschaftliche Dynamik muss über einen gesamten Konjunkturzyklus hinweg zunehmen. Das Ziel von Donald Trump, dass die US-Wirtschaft nachhaltig mit einer Rate von drei Prozent wächst, wäre also beispielsweise dann erreicht, wenn im Aufschwung ein Wachstum von durchschnittlich vier Prozent und im Abschwung ein Wachstum von durchschnittlich zwei Prozent erreicht würde.
USA: Hat erhöhtes Produktionspotenzial Auswirkungen auf Konjunkturdynamik?
Die schwierige Frage ist, ob die stärkere Konjunkturdynamik der vergangenen beiden Quartale tatsächlich darauf zurückzuführen ist, dass sich das Produktionspotenzial der US-Wirtschaft erhöht hat. Dieses kann leider nicht direkt gemessen, sondern nur näherungsweise geschätzt werden.
Allerdings gibt es zwei Variablen, die die Veränderung des Produktionspotenzials maßgeblich beeinflussen:
- Zum einen die Veränderung des Arbeitskräftepotenzials, das die demographische Entwicklung widerspiegelt, und
- zum anderen die Veränderung der Arbeitsproduktivität, die u.a. auf technischem Fortschritt beruht.
Die gute Nachricht ist, dass die verfügbaren US-Daten darauf hindeuten, dass sich das Potenzialwachstum in den vergangenen beiden Jahren tatsächlich erhöht hat.
Während die durchschnittliche Summe aus der jährlichen Veränderung der Erwerbspersonenzahl und dem jährlichen Produktivitätswachstum zwischen den Jahren 2012 und 2016 nur gut ein Prozent betrug, ist dieser Wert seit dem Jahr 2017 auf rund zwei Prozent angestiegen. Dies ist aber zugleich die schlechte Nachricht: Ein nachhaltiges Wachstum von drei Prozent, wie es sich Donald Trump wünscht, ist – zumindest derzeit – nicht in Sicht. Doch könnte dies in absehbarer Zeit vielleicht doch noch erreicht werden?
Entwicklung Produktionspotenzial in den USA
Geht es nach dem Congressional Budget Office (CBO), einer US-Regierungsbehörde, die für die Kontrolle des Regierungshaushaltes zuständig ist, wird sich das Potenzialwachstum jedoch auch in den kommenden zehn Jahren nur auf knapp zwei Prozent belaufen. Aufgrund geringerer Geburtenraten und einer Beschränkung der Zuwanderung wird sich das jährliche Wachstum der Erwerbspersonenzahl von derzeit 0,6 Prozent auf 0,3 bis 0,4 Prozent abschwächen. Dagegen soll sich das Produktivitätswachstum zunächst von 1,1 auf 1,5 Prozent beschleunigen, ehe es dann wieder auf 1,3 Prozent sinken wird. Sollten sich diese Einschätzungen bewahrheiten, würde sich der erhoffte nachhaltige Wachstumseffekt der Steuersenkungen und der Deregulierung also nicht einstellen.
Noch aber gibt es ein Fünkchen Hoffnung, dass sich das Potenzialwachstum vielleicht doch noch erhöht. So könnten die niedrigeren Einkommensteuern dazu führen, dass zukünftig wieder mehr Menschen arbeiten wollen. Die derzeitige Arbeitslosenquote ist mit 3,7 Prozent so niedrig, dass optisch nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Allerdings ist die Quote vor allem deswegen so gering, weil sich heute viel weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter um einen Job bemühen als es vor der Finanzmarktkrise der Fall gewesen ist.
Läge die sogenannte Partizipationsrate nicht bei knapp 63 Prozent, sondern wie Anfang 2010 bei rund 65 Prozent, dann hätten wir heute noch eine Arbeitslosenquote von gut sieben Prozent. Denn die Zahl derjenigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, läge nicht bei 162 Millionen sondern bei 168 Millionen Personen.
Bewirken Trumps Maßnahmen, dass US-Unternehmen mehr investieren?
Des Weiteren könnten die von Trump ergriffenen Maßnahmen zukünftig bewirken, dass die US-Unternehmen ihre Investitionen und damit auch die Produktivität erhöhen. Allerdings ist bislang davon nur wenig zu sehen. Zwar haben die US-Unternehmen ihre Investitionen seit Beginn des Jahres 2017 deutlich ausgeweitet, doch ist nicht zu erkennen, dass die Steuersenkungen zu Beginn des Jahres zu einem zusätzlichen positiven Effekt geführt hätten.
Im Gegenteil, im dritten Quartal sind die Investitionen fast gar nicht mehr angestiegen. Dies mag ein temporärer Effekt sein, da die Investitionsausgaben der Unternehmen von Quartal zu Quartal kräftigen Schwankungen unterliegen können. Zudem hat die Steuerreform den Unternehmen so viel Geld in die Kassen gespült, dass die Mittel für zusätzliche Investitionen durchaus vorhanden sind. Es bleibt aber abzuwarten, ob diese auch genutzt werden.
Da die expansiven fiskalischen Impulse für die US-Wirtschaft im Laufe des nächsten Jahr nachlassen und nach wie vor das Risiko besteht, dass die diversen von den USA ausgehenden Handelsstreitigkeiten nicht gelöst werden, dürfte sich das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr abschwächen. Auch die restriktivere Geldpolitik, der Anstieg der Realzinsen und die Aufwertung des US-Dollar werden sich negativ bemerkbar machen.
Unsere Prognose: eine konjunkturelle Normalisierung
Während das reale Bruttoinlandsprodukt 2018 um etwa drei Prozent ansteigen wird, rechnen wir für das nächste Jahr mit einer geringeren Wachstumsrate von etwa 2,5 Prozent. Alles in allem spricht unseres Erachtens im Moment vieles für das Szenario einer konjunkturellen Normalisierung, nicht aber dafür, dass es im kommenden Jahr zu einer Rezession kommen wird.
Wirtschaftliche Lage in den USA: Das bedeutet das für Sie als Anleger
Nichtsdestotrotz muss man angesichts der rekordverdächtigen Länge des US-Aufschwungs davon ausgehen, dass Anleger ein mögliches Rezessionsszenario in ihr Kalkül einbeziehen werden, solange kein Ende der Handelsstreitigkeiten oder eine Änderung der US-Geldpolitik absehbar sind. Dies spricht dafür, sich auf eine anhaltende Volatilität an den Kapitalmärkten einzustellen.
Kurzfristig scheint der Ausverkauf an den Aktienmärkten, insbesondere in den USA, aber übertrieben zu sein. Die Berichtsaison für das dritte Quartal hat einmal mehr sehr positiv bei den Gewinnen und bei den Umsätzen (dort allerdings weniger stark ausgeprägt) überrascht und die Zahl der Unternehmen, die ein negative Guidance für das vierte Quartal gegeben hat, ist bislang ebenfalls unterdurchschnittlich.
Entwicklung an den weltweiten Aktienmärkten: der gesamte Index ist betroffen
Die jüngsten Rückschläge an den weltweiten Aktienmärkten ging auch an den in der Vergangenheit grandios gelaufenen Tech-Aktien nicht spurlos vorbei. Nachdem die sogenannten FAANGM-Aktien (Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google (Alphabet) und Microsoft) jahrelang für ein regelrechtes Kursfeuerwerk und zweistellige Zuwachsraten sorgten, mussten auch diese in den letzten Wochen Kurskorrekturen im prozentual zweistelligen Bereich verkraften.
Die Kurse von Facebook, Amazon, Google (Alphabet) und Netflix sind allein in den letzten drei Monaten auf Dollarbasis im Durchschnitt um 15 Prozent gesunken. Da knapp 50 Prozent der Indexkapitalisierung des Nasdaq 100 auf die FAANGM Werte entfällt, sind deren Kursentwicklungen auch für den gesamten Index von herausragender Bedeutung und haben den Index entsprechend nach unten gezogen. Damit sorgen die einst viel umjubelten Tech-Werte bei den Anlegern immer mehr für Unsicherheit.
Die Unternehmen haben dabei ihre ganz eigenen Problemen. Facebook beispielsweise kämpft mit den Folgen der weltweit auftretenden Datenschutzprobleme, Google mit der Milliardenstrafe aufgrund des Android-Geschäftsmodells und Amazon mit dem Diebstahl von Daten. Hinzu kommen bei den beiden letztgenannten Tech-Giganten noch die hinter den hohen Erwartungen zurückgebliebenen Quartalszahlen. Auch werden vermehrt „Shortseller“ auf die FAANG-Aktien aufmerksam. So gehören alle fünf Tech-Werte zu den Top 10 der am meisten geshorteten Aktien in den Vereinigten Staaten. Die Anzahl der „Shortseller“ dieser Aktien ist alleine im Oktober um sieben Prozent gestiegen. Diese Entwicklung birgt Potenzial für volatile Kursverläufe in der Zukunft.
Bildcredit: © Maciej Bledowski / photocase.de
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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