Was schwarze Schwäne mit der Corona-Pandemie zu tun haben!

Investoren haben eine gewisse Vorliebe für die Tierwelt. Anders ließe es sich nicht erklären, warum sie mit Bullen und Bären kämpfen und bei Notenbanken genau hinhören, wenn Falken und Tauben reden. Richtig Angst haben sie zudem vor schwarzen Schwänen, obwohl Elefanten viel gefährlicher sind. Aber der Reihe nach.

Was ist ein schwarzer Schwan?

Als „schwarze Schwäne“ bezeichnet man Ereignisse, die nur schwer oder gar nicht zu prognostizieren sind, bei ihrem Eintreten aber für signifikante Verwerfungen sorgen und damit zu einer Herausforderung für Anleger und Unternehmen gleichermaßen werden. In letzter Konsequenz liegt es in der Natur der Sache, dass sich das Eintreffen schwarzer Schwäne nicht mit hinreichender Genauigkeit prognostizieren lässt.

So wissen wir, dass ein Erdbeben in San Franzisco in den kommenden 100 Jahren mehr als wahrscheinlich ist;

trotzdem können wir keine seriöse Prognose darüber abgeben, ob dieses Ereignis in den kommenden zwölf Monaten stattfindet.

Ähnliches gilt für die Corona-Pandemie

Seit Jahren warnte die WHO vor der abstrakten Gefahr eine Pandemie mit einem neuartigen Virus. Aber selbst als Mitte Januar die breite Weltöffentlichkeit von der Existenz des neuartigen Coronavirus erfuhr, war noch nicht einmal im Ansatz klar, welche historische Dimension sich aus dieser Situation entwickeln würde. Genau genommen war dies noch nicht einmal einen Monat später klar, denn der Absturz der Weltbörsen begann erst am 20.2.2020, und das zunächst auch nur recht zaghaft.

Es ist daher vermutlich vergebene Liebesmüh, diffuse Signale im Vorfeld schwarzer Schwäne richtig deuten zu wollen.

Der Aufwand wäre gewaltig und der Mehrwert begrenzt. Und überhaupt sollte man vor schwarzen Schwänen weniger Angst haben und sie stattdessen mit einer gewissen Portion Gelassenheit hinnehmen.

Warum das so ist?

Zum einen, weil man ihre Existenz ohnehin nicht verhindern kann. Zum anderen, weil Regierungen und Notenbanken über extreme Instrumentarien verfügen, schwarzen Schwänen ihre Wucht zu nehmen. Und noch viel wichtiger: Politiker und Notenbanker haben auch ernsthafte Anreize, dies zu tun.

Denn die Natur schwarzer Schwäne ist leicht zu skizzieren.

Es handelt sich um abrupte, nicht um schleichende Ereignisse. Dabei lässt sich der Auslöser klar definieren und ist in aller Regel monokausal, die Komplexität des Sachverhaltes dementsprechend oftmals eher begrenzt. Maßnahmenbündel wirken hier in aller Regel – wenn sie beherzt ergriffen werden – vergleichsweise schnell.

Ein Eldorado für Entscheidungsträger

Aus politökonomischer Perspektive ist das ein Eldorado für Entscheidungsträger, die wiedergewählt werden möchten.

Denn es existiert auf einmal ein Problem mit einem meist exogenen Auslöser.

Das durch einen größeren fiskalpolitischen und geldpolitischen Eingriff wenn nicht geheilt, so doch zumindest in seinen Wirkungen abgeschwächt werden kann. Politik und Notenbanken können sich als Retter aufspielen, die generös mit Medikamenten um sich werfen und damit zumindest die Symptome der Krise wirksam lindern. Zudem lassen sich andere wirkungsvolle staatliche Maßnahmen ergreifen, die im Idealfall nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern auch die Ursache selbst.

Die Corona-Krise ist dafür ein extrem gutes Beispiel.

Die Ursache – der neuartige Virus – wird durch massive Kontaktbeschränkungen bekämpft, die Kollateralschäden werden mit sehr, sehr viel zusätzlicher Liquidität in Grenzen gehalten. Nicht viel anders war es nach der Finanzkrise. Banken wurden rekapitalisiert, die Finanzindustrie wurde massiv reguliert und die Finanzmärkte und die Realwirtschaft mit Geld geflutet. So konnte sich die Weltwirtschaft von diesem schwarzen Schwan vergleichsweise schnell erholen, und so wird es auch diesmal sein. Prognosen über den bevorstehenden Weltuntergang könnten sich daher abermals als verfrüht herausstellen, denn gerade beim Eintreten schwarzer Schwäne können, wollen und werden (zumindest funktionierende und demokratisch verfasste) Staaten immer und immer wieder ihr ganzes Arsenal aufbieten, um die Situation beherrschbar zu machen.

Und genau deswegen ist übertriebene Angst vor diesen schwarzen Tieren unangebracht

Vielleicht ganz im Gegensatz zu Elefanten, vor allem wenn sie in einem Raum stehen.

Steht ein Elefant im Raum?

In einem Raum stehende Elefanten sind eine Metapher für Ereignisse oder Probleme, die zwar offensichtlich von vielen erkannt, aber trotzdem nicht adäquat adressiert werden. Ursprünglich kommt diese Metapher aus dem angelsächsischen Raum („this is the elephant in the room“), wird aber inzwischen auch bei uns gebräuchlicher.

Ein typisches Beispiel für einen solchen Elefanten ist der Klimawandel.

Der Klimawandel ist empirisch belegt, die zugrunde liegenden physikalischen Zusammenhänge sind spätestens seit 1862 bekannt. Und wenn auch heute noch Simulationen über zukünftige Temperaturverläufe mit hohen Unsicherheiten und Fehlern behaftet sein dürften, ist der grundlegende Zusammenhang zwischen einem höheren Anteil an Treibhausgasen in der Atmosphäre und einer höheren Temperatur nicht zu leugnen.

Langfristig sind die Folgewirkungen der Klimaveränderung dramatisch kritischer einzuschätzen als das Platzen der Internetblase, der Finanzkrise und der Corona-Pandemie zusammen.

Trotzdem tun sich Staaten und staatliche Stellen schwer damit, sinnvolle und vor allem wirkungsvolle Antworten auf diese Herausforderung zu finden.

Warum ist so schwer eine wirkungsvolle Antwort auf den Klimawandel zu finden?

Der Grund dafür ist leicht auszumachen. Zum einen baut sich der Druck zum Handeln im Gegensatz zu schwarzen Schwänen nur extrem langsam auf.  Zum anderen können Politiker auch nicht später die Erfolge ihrer Maßnahmen medienwirksam belegen; eine Zurechnung wäre nahezu unmöglich und ohnehin erst nach Jahrzehnten sinnvoll.

Daran ändern selbst mächtige Bewegungen wie „Friday for Future“ nichts.

Denn auch hier haben staatliche Stellen eher den Anreiz, kurzfristige Showeffekte zu liefern, als ernsthafte Maßnahmen mit einem hohen Zielerreichungsgrad zu verfolgen. Das beste Beispiel ist das überstürzte Abschalten vergleichsweise effizienter deutscher Kohlekraftwerke. Bei Klimaaktivisten kommt das gut an, bringt aber wenig, wenn man erst einmal die sehr komplexen Mechanismen des europäischen Emissionshandels verstanden hat. Und so wird viel Geld und volkswirtschaftliches Vermögen verpulvert, ohne dass es de facto etwas bringt.

Ist die Staatsverschuldung ein weiterer Elefant im Raum?

Es gibt noch ein anderes aktuelles Beispiel für einen weiteren ziemlich großen Elefanten, der da im Raum steht und Gefahr läuft, in den nächsten Jahren eine ganze Menge Porzellan zu zerschlagen. Es geht um die Vermutung, dass der Wohlstand gemehrt und Probleme gelöst werden können, indem einfach die Staatsschulden erhöht und von der Zentralbank übernommen werden. Was vor einigen Jahren nur in linken Splittergruppen diskutiert wurde, läuft Gefahr, zum Mainstream bei Politikern und Journalisten zu werden. Und selbst Volkswirte erliegen zunehmend der Versuchung, etwas Sinnstiftendes darin zu sehen, wenn die Verschuldung strukturell erhöht und zumindest indirekt von der Zentralbank garantiert wird.

Staatsverschuldung nur ein mathematisches Problem?

Dabei wird aus akademischen Kreisen zuweilen darauf verwiesen, dass es sich hier am Ende des Tages einzig und allein um ein mathematisches Problem handle. Denn so lange die Steuereinnahmen etwas schneller wüchsen als die Zinsbelastung für die Schulden gäbe es gar kein Problem. Und da die Notenbank ja alle Schulden aufkaufen könne, läge der Zins dann dauerhaft bei Null Prozent. Damit wären alle Probleme gelöst.

Ja dann willkommen im Paradies mag man denken, aber ist es denn wirklich so einfach?

Hat Deutschland einen  Denkfehler begangen, als man sich vor einigen Jahren zu einer Schuldenbremse bekannt und diese implementiert hat? Kann man wirklich Probleme lösen, indem man – etwas flapsig formuliert – einfach Geld druckt?

Wir sehen das kritisch und regen ein kleines Gedankenexperiment an.

Gehen wir mal in der Geschichte 2000 Jahre zurück und versetzen uns in die Lage zweier germanischer Dörfer, die durch einen glücklichen Zufall in den Besitz einer Schatzkiste mit römischen Münzen gelangt sind.

Die beiden Dörfer teilen fair die Beute und gehen danach getrennte Wege.

Beide Dörfer verfügen nun über ein Zahlungsmittel, das für den Handel mit Gütern und Dienstleistungen sowie zur Wertaufbewahrung genutzt werden kann. In dem einen Dorf geht das Leben auch nach der Einführung eines Zahlungsmittels so weiter wie bisher; allerdings kann man jetzt effizienter tauschen oder auch Kredite vergeben. Ansonsten legen die Anwohner des Dorfes wie schon zuvor Wert darauf, die Kinder zu unterrichten, Werkzeuge zu verfeinern, Jagtechniken zu verbessern und Felder zu bewirtschaften.

Im anderen Dorf ist die Entwicklung zunächst ähnlich;

Allerdings wächst nach einiger Zeit die Begehrlichkeit, noch mehr Geld einzuführen, da die positiven Effekte zusätzlichen Liquidität ja für alle ersichtlich waren. Der Dorfälteste, der sich gerne bei allen beliebt machen möchte, beschließt daraufhin, in seiner Schmiede Eisentaler herzustellen, die in dem Dorf ebenfalls den Wert römischer Münzen haben.

Bei den Bewohnern kommt das gut an.

Für einen Moment fühlen sich alle ein wenig vermögender, und es fällt leichter, einen Kredit zu bekommen, um eine Axt oder einen Pflug anschaffen zu können. Dummerweise führt die Liquiditätsschwemme aus der Dorfschmiede zunehmend dazu, dass man einer Reichtumsillusion erliegt. Und statt nach Jahren großer Dürre und geringen Erträgen auf den Feldern besonders hart zu arbeiten und vielleicht neue Geschäftsideen zu entwickeln, werden Defizite und Probleme mit noch mehr Eisenmünzen kaschiert. Während das Dorf mit der konstanten Geldmenge nach einigen Jahrzehnten floriert und beginnt, Handel mit anderen Stämmen und sogar Ländern zu treiben, verfällt das Dorf mit der kreativen Geldschöpfung.

Die Moral ist relativ einfach:

Probleme im echten Leben lassen sich nicht langfristig dadurch lösen, dass man Papierscheine mit bunter Farbe bedruckt – denn nichts anderes ist Geld. Aber genau hier ist der Haken: Denn was langfristig nicht funktioniert, kann kurzfristig durchaus einen Effekt haben. Aus diesem Grund sind die Ideen einer notenbankgarantierten steigenden Staatsverschuldung auch so verlockend für Politiker, denn kurzfristig ist das für Menschen, die wiedergewählt werden wollen, der deutlich attraktivere Weg.

Der unmittelbar positive Effekt ist durch den Wähler wahrnehmbar, die langfristig negativen Effekte jedoch nicht.

Genau aus diesem Grund hat man Notenbanken wie die Bundesbank, die US-Notenbank oder die EZB von der Politik komplett unabhängig aufgestellt – schließlich wollte man vermeiden, dass Politiker in die oben beschriebene Falle tappen und die Notenbank zum Erreichen kurzfristiger Ziele instrumentalisieren und letztlich missbrauchen. Wir sind gerade dabei Zeuge zu werden, wie diese Unabhängigkeit Tag für Tag ein wenig mehr ausgehöhlt wird.

Eigentlich kann es jeder sehen, doch alle scheinen wegschauen zu wollen.

Wie bei einem Elefanten in einem Raum, den man nicht sehen will, obwohl er unübersehbar ist.

Die Konsequenzen sind dramatisch.

Im besten Falle steigt nur die Inflationsrate ein wenig, im schlimmsten Fall wird Kapital so schlecht und so wenig effizient verwendet, dass wir zunehmend eine Wirtschaftsform schaffen, die all die Mängel der schon gescheiterten Planwirtschaft aufweist.

Das ist nicht gut für Bürger und nicht gut für Investoren, die beispielsweise ihre Altersvorsorge durch Kapitalanlagen aufbessern müssen oder wollen. Und es ist viel einschneidender als ein temporärer schwarzer Schwan.

Deswegen sollten wir Angst vor Elefanten (im Raum) haben – und nicht zu sehr vor schwarzen Schwänen.

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Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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