US-Geldpolitik: Die offizielle Abschaffung der Zinsen

Bye, bye Zinsen, hello FAIT (Flexible Average Inflation Target). Mit der jüngst von der Fed beschlossenen Strategieanpassung schwenkt die US-amerikanische Notenbank auf eine Geldpolitik um, wie sie die Bank of Japan im Jahr 1999 und die Europäische Zentralbank 2016 eingeführt haben und die das Niedrigzinsumfeld auch für die USA wohl endgültig zementiert.

Leitzinsen im historischen Vergleich

Was sind die Gründe der Fed?

Ursache hierfür sind die neuen Rahmenbedingungen, die die Federal Reserve ihren zukünftigen geldpolitischen Entscheidungen zugrunde legt. Dabei haben sich die Prioritäten für die Notenbank deutlich verschoben. Oberstes Ziel ist von nun an eine hohe Beschäftigung (Vollbeschäftigung), während das Ziel der Preisniveaustabilität an zweite Stelle rückt. Beide Zielgrößen wurden zudem modifiziert. Für das Inflationsziel gilt zwar wie in der Vergangenheit auch, dass eine Preissteigerungssrate von zwei Prozent als konsistent mit der Zielerreichung angesehen wird. Im Unterschied zur bisherigen Strategie wird aber ein Überschreiten der Zwei-Prozent-Marke nicht mehr automatisch als Zielverfehlung interpretiert, auf die die Geldpolitik reagieren muss. Stattdessen hat die Federal Reserve das neue Postulat einer Inflationsrate, die im Durchschnitt eine Rate von zwei Prozent erreichen soll. Ein genau definiertes Punktziel wird also durch ein nicht genau spezifiertes Durchschnittsziel ersetzt, das die US-Notenbank selbst als flexibles Durchschnittsinflationsziel bezeichnet.

Was heißt das konkret?

Konkret bedeutet dies, dass die Fed zukünftig ein Überschreiten der Inflationsrate über die Marke von zwei Prozent tolerieren wird, wenn zuvor eine Zielverfehlung nach unten stattgefunden hat (so wie es seit dem Jahr 2012 in fast 80 Prozent aller Monate zu beobachten war). „Flexibel“ bedeutet aus Sicht der Notenbank, dass es keine strikte mechanische Regel gibt, die eindeutig festlegt, was genau unter der Erreichung des Durchschnittsziels zu verstehen ist;

Das heißt weder die Dauer, noch die Höhe („moderat“) der zukünftig akzeptierten Abweichung von der bisherigen Zwei-Prozent-Obergrenze sind klar definiert.

Eine einjährige Abweichung der Inflationsrate um einen Prozentpunkt nach unten wird die Fed also nicht notwendigerweise nach einer einjährigen Abweichung um einen Prozentpunkt nach oben (oder einer halbjährlichen Abweichung um zwei Prozentpunkte) dazu bewegen, über eine restriktivere Geldpolitik nachzudenken.

Warum gibt es überhaupt eine Zwei-Prozent-Marke?

Häufig wird die Frage gestellt, warum Notenbanken das Ziel der Preisniveaustabilität mit einer Inflationsrate von zwei Prozent verbinden. Bedeuten stabile Preise denn nicht im eigentliche Sinne, dass eine Inflationsrate von null Prozent das Ziel sein sollte? Der Charme der Zwei-Prozent-Marke wird von den Zentralbanken in ihrer Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum gesehen. Eine moderate Inflation, so die Annahme, führt dazu, dass Haushalte und Unternehmen einen Anreiz haben, ihr Geld auszugeben, um den erwarteten Kaufkraftverlust zu vermeiden. Insofern führt eine Inflationsrate von zwei Prozent in der Theorie zu einem höheren Wirtschaftswachstum als eine von null.

Allerdings zeigen neuere wissenschaftliche Studien, dass diese Annahme mit einem Fragezeichen versehen werden muss.

So würden viele Wirtschaftssubjekte eine Inflationsrate von zwei Prozent mittlerweile eher als Vorbote eines wirtschaftlichen Abschwungs interpretieren und ihr Geld deswegen sparen anstatt es auszugeben. In diesem Fall käme es nicht zu mehr, sondern zu weniger wirtschaftlichem Wachstum. Notenbanker sollten von daher, so der Rat der Wissenschaft, offen und einfach kommunizieren, welche Ziele sie mit ihrer Geldpolitik wirklich verfolgen.

Das neue Hauptziel ist Vollbeschäftigung

Ebenso deutliche Anpassungen hat die Federal Reserve bei der Definition ihres neuen Hauptziels, der Vollbeschäftigung, vorgenommen. In der Vergangenheit hatte die Notenbank das theoretische Konzept der Phillips-Kurve in ihr geldpolitisches Rahmenwerk eingebettet. Bei der Phillips-Kurve geht es darum, dass von einem engen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsmarkt und der Inflationsentwicklung ausgegangen wird. Unterschreitet die Arbeitslosenquote einen bestimmten Wert, die sogenannten „NAIRU“ (non accelerating inflation rate of unemployment; die inflationsstabile Arbeitslosenquote), kommt es aufgrund der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften zu Lohnsteigerungen, die von den Unternehmen auf die Preise überwälzt werden und damit zu Inflation führen. Eine zu niedrige Arbeitslosenquote hätte von daher zu vorsorglichen Zinserhöhungen führen können, selbst wenn die Inflationsrate noch unter der Marke von zwei Prozent liegt. Für die neue geldpolitische Strategie hat das Konzept der Phillips-Kurve dagegen keine Bedeutung mehr.

Aus Sicht der Fed hat die Arbeitslosenquote zukünftig nur noch dann Einfluss auf die Geldpolitik, wenn sie zu hoch ist; zu niedrig kann sie dagegen gar nicht mehr sein.

Der „ausgewogene Ansatz“, also das Abwägen zwischen dem Inflations- und dem Arbeitsmarktziel, den die US-Notenbank bisher verfolgt hat, wird damit ad acta gelegt.

Welche Auswirkungen sind von der neuen geldpolitischen Strategie der Federal Reserve zu erwarten?

Im Vergleich zur gelebten geldpolitischen Praxis der vergangenen Jahre wird es zunächst keine gravierenden Veränderungen geben, denn der nun formal vollzogene Shift ist primär institutioneller und philosophischer Natur und auch schon in die letzten geldpolitischen Entscheidungen eingeflossen. Etwas flapsig formuliert könnte man auch sagen, bei der neuen Strategie handelt es sich um alten Wein in neuen Schläuchen. Schließlich gab es bei der Fed auch in den letzten Jahren keine geldpolitischen Automatismen. Hätte das neue Rahmenwerk jedoch schon 2015 gegolten, wären die zwischen Dezember 2015 und Dezember 2018 beschlossenen neun Zinserhöhungen vermutlich unterblieben. Genau dies ist das wesentlichste Ergebnis der neuen Geldpolitik: Im Vergleich zur bisherigen Vorgehensweise werden die Zinsen zukünftig noch länger niedrig bleiben; die Geldpolitik wird expansiver sein als in der Vergangenheit. Die erste Zinserhöhung nach Corona wird demnach wohl noch viele Jahre auf sich warten lassen.

Die potenziellen Gewinner dieser veränderten Geldpolitik sind vor allem die zinssensitiven Branchen der Volkswirtschaft.

Der Immobilienmarkt und die Bauwirtschaft profitieren beispielsweise von den anhaltend niedrigen Hypothekenzinsen. Generell gilt, dass das Schulden machen und bedienen einfacher werden.

Auch die Aktienmärkte gehören zu den Gewinnern der neuen US-Zinspolitik.

Wie schon letzte Woche erörtert sind Growth-Aktien aus dem Technologie- und dem Gesundheitssektor die Hauptprofiteure niedriger Zinsen. Aber auch generell dürfte der Anreiz für börsennotierte Unternehmen zunehmen, niedrig verzinste Anleihen zu begeben, um damit eigene Aktien (mit höherer Dividendenrendite) zurückzukaufen. Sparer und Anleger, die auf Zinserträge angewiesen sind, müssen sich dagegen unverändert auf harte Zeiten einstellen, ebenso der Finanzsektor.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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