
Trumps Wahnsinn: Geburtswehen einer neuen Weltordnung
11. April 2025Es fällt nicht leicht, in wenigen Worten zu beschreiben, was in den letzten Tagen passiert ist. Am 2. April wurden Zölle von Trump angekündigt, die in diesem Ausmaß vom Markt (und selbst von der US-Notenbank) nicht erwartet wurden.
Trumps berechnete Zölle sind schlicht falsch
Die Höhe der jeweiligen länderspezifischen Zölle wurde dabei von einer fast surreal anmutenden Formel abgeleitet, die letztlich impliziert, dass die Höhe des US-Handelsbilanzdefizites allein eine Funktion der Differenz von Zollsätzen ist.
Dabei werden US-Handelsbilanzdefizite vom US-Präsidenten so eingeordnet, als wenn sie mit dem Verlust einer unternehmerischen Gewinn- und Verlustrechnung vergleichbar wären.
Das ist natürlich komplett falsch. Handelsbilanzüberschüsse oder -defizite sind das Ergebnis höchst komplexer globaler Wertschöpfungsketten sowie Spezialisierungen. Zölle spielen dabei sicher auch eine Rolle, sind aber definitiv nicht dominant.
Das Handelsbilanzdefizit wird nicht durch Zölle verschwinden
Zudem darf nicht übersehen werden, dass das Handelsbilanzdefizit der US-Amerikaner saldenmechanisch unmöglich einfach verschwinden kann. Denn in den USA wird sehr viel investiert (eigentlich gut) und sehr wenig gespart (nicht gut); die Lücke zwischen beiden Größen bestimmt den Leistungsbilanzsaldo, und der wird maßgeblich von der Handelsbilanz bestimmt. Das ist VWL erstes Semester.
Die USA können sich also auf den Kopf stellen oder sonst etwas unternehmen – solange die Sparquote nicht steigt, wird das Handelsbilanzdefizit nicht verschwinden.
Vielleicht hat gestern ein Berater Trump genau diesen Zusammenhang erläutert; das wäre jedenfalls eine Erklärung dafür, warum Trump spontan eine 180-Grad-Wende hingelegt hat und die Zollerhöhungen (bis auf China!!) zunächst für 90 Tage auf Eis legte.

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Ist nun alles wieder gut?
Wir sind uns hier nicht ganz sicher.
Der Grund für unsere Skepsis liegt darin begründet, dass die Wirtschaftspolitik Trumps nicht allein aus einer Laune heraus geboren wurde.
Man mag es nicht glauben, aber es existiert im Umfeld Trumps ein gewisser intellektueller und sogar akademischer Überbau zu den Themen Handelspolitik und Zöllen. Und auch wenn man zuweilen Zweifel haben darf, dass die dort geäußerten Überlegungen einer intellektuell redlichen Prüfung in jedem Fall Stand halten, so muss doch akzeptiert werden, dass ein grobes Konzept vorliegt, an das in der Administration viele Personen zu glauben scheinen. Und dieses Konzept geht weit darüber hinaus, nur mit hohen Zöllen die US-Industrie retten zu wollen.
Es lässt sich vielmehr (zumindest schemenhaft) die Sympathie für eine Art neuer Weltordnung erkennen, in der die USA mit bisherigen „Glaubenssätzen“ und Überzeugungen brechen.
Trumps Plan einer neuen Weltordnung
Um das besser zu verstehen, muss man sich einige Schritte zurückbewegen und das grobe Bild der Weltlage aus einiger Entfernung betrachten. Zwischen 1950 und 2010 hat sich die Anzahl der Industrie-Arbeitsplätze in den USA um etwa zwei Drittel reduziert, obwohl die Bevölkerung massiv gestiegen ist. Seit 2010 hat sich allerdings der Wert in etwa stabilisiert. Das kann man vordergründig als Erfolg werten, jedoch darf man nicht vergessen, dass die USA angesichts niedriger Abgaben und Steuern sowie unternehmensfreundlicher Behörden und nicht zuletzt sehr niedriger Energiekosten eigentlich ein Eldorado für Industrieunternehmen sein müssten.
Chinas Industrie dominiert den Weltmarkt
So überrascht es nicht, dass viele Beobachter die Entwicklung der US-Industrie nach wie vor mit Skepsis beobachten.
Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man sich in den USA angesichts der zunehmenden Dominanz Chinas vor die Aufgabe gestellt sieht, industriell strategisch unabhängig von China sein zu wollen.
Dabei wird gerne darauf verwiesen, dass der Erste und Zweite Weltkrieg nicht zuletzt auch deswegen gewonnen wurde, weil man sich auf eine bärenstarke, autonom agierende Industrie stützen konnte. Davon ist man heute de facto weit entfernt. Die US-Werften sind beispielsweise kaum noch in der Lage, in hinreichend hoher Geschwindigkeit Kriegsschiffe zu bauen, und bei vielen elektronischen Bauteilen klafft eine kriegsrelevante Fähigkeitslücke. Auch in den Bereichen der Produktion sehr hochwertigen Stahls und vieler Grundstoffe für die Pharmaindustrie haben die USA Fähigkeiten verloren, die man nun nahezu um jeden Preis zurückgewinnen will.
China sei laut Trump schuld an der schwächelnden Industrie in den USA
Als Grund für diesen Fähigkeitsverlust werden zwei Bereiche adressiert. Zum einen hätten sich viele Länder (vor allem China) mit unfair hohen Zöllen abgeschottet, und ergänzten diese tarifären Handelshemmnisse um ein Arsenal hinterhältig konstruierter nichttarifärer Handelshemmnisse. Zum anderen sei der US-Dollar schlichtweg strukturell überbewertet.
Diese strukturelle Überbewertung habe – so die Argumentation – ihren Ursprung in der Funktion des US-Dollars als Reservewährung.
Da Notenbanken und andere Institutionen rund um den Globus gar nicht anders können, als US$-denominierte Assets aufgrund des US-Dollars als globale Reservewährung zu kaufen, bestehe eine konstante „künstliche“ Übernachfrage nach US-Dollar. Darunter leide die US-Industrie.
Beide Argumente zusammen sind nicht komplett von der Hand zu weisen.
Zwar hängt die Schwäche der US-Industrie auch mit der zuweilen suboptimalen Qualität von US-Industrieprodukten zusammen, und natürlich hat eine Volkswirtschaft gewaltige Vorteile, wenn sie über die Reservewährung des Planten verfügt. Auf der anderen Seite existieren ohne Zweifel unfaire Handelspraktiken, und selbstredend sollten die USA ein Interesse daran haben, nicht von China erpressbar zu sein, weil die eigenen industriellen Fähigkeiten unzulänglich sind. Zudem wird jeder Tourist, der in den letzten Jahren die USA besucht hat, unumwunden zugeben, dass mit dem Wechselkurs etwas nicht zu stimmen scheint.
Das Problem liegt also nicht in der Analyse sondern eher in den angedachten Ansätzen zur Lösung dieser Probleme.
Die Probleme beginnen schon mit den inzwischen wieder (temporär) einkassierten Zöllen. Allein schon die „reziproken“ Zölle auf EU-Importe ergaben keinen Sinn. Es ist zwar vollkommen richtig, dass die EU marginal höhere Zölle auf US-Importe veranschlagt als die USA auf EU-Güter. Das gewaltige Ausmaß des Handelsbilanzdefizits lässt sich damit aber unmöglich erklären. Zudem hat die EU in den letzten Jahren deutlich dazugelernt und würde heute ein umfassendes Handelsabkommen nicht mehr (so wie früher) an US-Chlorhühnchen scheitern lassen.
Folgerichtig hat die EU eine Art Freihandelsabkommen für Industriegüter mit den USA vorgeschlagen, und es ist aus heutiger Perspektive nicht einmal ausgeschlossen, dass es tatsächlich zu einem Abschluss kommt.
Eigentlich stellt in mehrfacher Hinsicht China das eigentliche Problem für die USA dar, und es war von Anfang an von Donald Trump eine komplette Schnapsidee, die eigenen Partner und Verbündeten derart zu irritieren, alle bisherigen Verabredungen in den Wind zu schlagen und damit ein Vertrauen zu verspielen, das auch in vielen Jahren vielleicht nicht mehr aufgebaut werden kann.
Die irre Idee wie Trump den US Dollar abwerten will
Noch größeres Ungemach droht aber aus unserer Sicht, wenn das zweite Problem angegangen wird: nämlich die Abwertung des US-Dollar. Nüchtern betrachtet kann das nur gelingen, wenn man die US-Währung als Reservewährung demontiert oder zumindest schwächt. Die dazu vorgeschlagenen Instrumente lesen sich aber nun wie Werkzeuge aus einer volkswirtschaftlichen Folterkammer.
So wird ernsthaft vorgeschlagen, „Nutzungsgebühren“ für US-Treasuries einzuführen oder bestehende US-Treasuries in sehr langlaufende Anleihen umzuwandeln.
Auf solche Ideen kann man nur kommen, wenn man mit allen Gepflogenheiten der letzten Jahrzehnte bricht und auf Verlässlichkeit und Regelbindung pfeift.
Sollten wir uns Sorgen machen?
Wir erleben grade als Zeitzeugen, wie wir in eine neue Weltordnung zu driften scheinen, die Historiker eines Tages vielleicht als autokratischen Merkantilismus bezeichnen werden. Und in dieser Weltordnung geht es dann nicht mehr nur um hohe Zölle und günstige Wechselkurse. Es geht um die viel grundsätzlichere Frage, wie sich Länder, die zuletzt über ihre Verhältnisse gelebt haben (beispielsweise die USA), ohne gewaltige Friktionen von denen entkoppeln können, die diesen Exzess (beispielsweise China) finanziert haben.
Dieses Experiment hat einen ungewissen Ausgang, aber am Ende dieses Prozesses könnte (!) eine globale Wirtschaftsordnung stehen, die sich von der bisherigen unterscheidet.
Wenn man dann noch bedenkt, dass sich viele Demokratien in den letzten Jahren nicht mit Ruhm dabei bekleckert haben, existenzielle Herausforderungen wie Migration und Klimawandel zielführend zu adressieren und zu allem Überfluss der Fortschritt in der KI eine gewaltige neue ökonomische Revolution auslösen wird, kann man durchaus von einer ernsthaften Zeitenwende sprechen.
Die Kunst wird darin bestehen, auch in einer solchen Welt Kapital effizient zu allokieren.
Grund zur Sorge besteht aber nicht: So lange es Bedarf nach Fremd- und Eigenkapital gibt, wird man als Anleger immer am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren können!
Foto von Alessandro Erbetta auf Unsplash

Autor: Dr. Christian Jasperneite
Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.
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