Taktische Allokation der Aktienquote: Zwischen Baum und Borke

Es gibt derzeit 1.000 Gründe, für Aktienmärkte positiv gestimmt zu sein. So ist der Höhepunkt der Leitzinsen global so gut wie erreicht. Die Vorfreude auf wieder fallende Zinsen (auch wenn das noch einige Zeit dauern könnte) sollte Aktienmärkten grundsätzlich weiter Auftrieb verleihen, zumal die Gewinnerwartungen für 2024 und 2025 recht positiv ausfallen.

Wie sieht die Lage aktuell am Aktienmarkt aus?

Zudem spricht viel dafür, dass die globale Konjunktur ihren unteren Wendepunkt bald erreicht haben sollte; dementsprechend dürfte die Hoffnung auf eine beginnende Erholung der Weltwirtschaft – sagen wir mal in den kommenden 12 Monaten – ebenfalls positiv auf das Kurspotenzial an den Aktienmärkten ausstrahlen.  

Es gibt allerdings nicht nur positive Indikatoren…

Dummerweise gibt es auch ähnlich viele Gründe für eher fallende Kurse. Dazu gehört die plausible Erwartung, dass die recht positiven Gewinnerwartungen überambitioniert sind und eine negative Revision in den kommenden Monaten und Quartalen mehr als wahrscheinlich ist. Auch die Hoffnung auf fallende Zinsen und Renditen mag sich als trügerisch herausstellen, wenn erst einmal klar wird, dass bei wieder steigenden Energiepreisen der Rückgang der Inflation schwerfälliger ausfällt als erhofft.

Welche technischen Gründe sprechen für eine Korrektur?

Nicht zuletzt gibt es auch einige eher technische Gründe für eine anstehende Korrektur. So liegen die (impliziten) Volatilitäten in diversen Indizes auf ausgesprochen niedrigen Niveaus, was durchaus als Warnsignal gewertet werden kann. Auch unser hauseigener Strukturbruchindikator liegt auf einem extrem niedrigen Niveau.

Das kann als extreme Gelassenheit und Entspannung an den Märkten gewertet werden und hört sich zunächst erst einmal sehr gut an.

Wenn man aber bedenkt, dass dieser Indikator letztlich aussagt, dass Investoren komplett auf „business as usual“ eingestellt sind, nicht mit größeren Verwerfungen und Turbulenzen rechnen und auch dementsprechend positioniert sind, können auch kleinere Probleme zu größeren Reaktion an den Märkten führen. 

Fazit: Die positiven Aussichten überwiegen

Trotzdem ist man nicht gut beraten, die Anzahl positiver Aspekte mit negativen Aspekten zu verrechnen. Asset Management funktioniert nicht wie eine Strichliste, auf der man Pro- und Contra-Argumente auflistet.

Letztlich muss man Überlegungen und Szenarien auch mit Eintrittswahrscheinlichkeiten belegen, um zu validen Ergebnissen zu gelangen.

Und hier spricht aus unserer Sicht doch viel dafür, tendenziell eher auf die positive Sichtweise zu setzen. Es wäre allerdings interessant zu wissen, ob wir mit dieser Überlegung und Positionierung alleine sind, oder ob wir uns hier in guter Gesellschaft befinden.

Was machen erfolgreiche Fonds?

Unsere Berechnungen legen nahe, dass wir bei Warburg mit dieser leicht positiven Positionierung eher eine Mindermeinung vertreten. Für die etwa 2.500 vermögensverwaltenden Fonds, die wir auswerten, kommen wir zum Ergebnis, dass diese Fonds im Schnitt derzeit eine Aktienquote extrem nahe ihrer jeweiligen historischen Durchschnitte aufweisen.

Die Fonds, die in den letzten Jahren eine besonders gute risikoadjustierte Rendite erwirtschaften konnten, haben in den letzten Wochen ihre Aktienquote sogar leicht reduziert.

Diese Reduktion ist bisher nicht sonderlich groß ausgefallen und liegt noch im Rahmen üblicher Schwankungen in der taktischen Allokation. Die Berechnung der Aktienquoten erfolgt dabei nicht über Berichte der Fondsgesellschaften, denn diese sind in vielen Fällen mit einer zu großen zeitlichen Verzögerung behaftet. Stattdessen analysieren wir die Kursentwicklung der Fonds und schließen aus den Verläufen der NAVs indirekt auf die taktische Allokation. Schließlich fällt die Kursentwicklung eines Fonds nicht vom Himmel, sondern ist immer das Ergebnis einer Investition in Wertpapiere.

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Wir replizieren indirekt die Aktienquoten von vermögensverwaltenden Fonds

Die Zusammenstellung dieser Wertpapiere kann man indirekt über ein mathematisches Verfahren mit hoher Treffsicherheit replizieren. Das funktioniert wie folgt: Einem Optimizer wird eine Anzahl von Assetklassen und Märkten „angeboten“, mit denen dieser die konkrete Wertentwicklung eines Fonds nachbauen muss. Diese Replikation unterliegt dabei gewissen Restriktionen; z.B. darf die Summe der investierten Assets nicht 110% übersteigen, und die Kassenquote darf nicht über 30% betragen.

Entwicklung von Portfolien nachbilden

Nun besteht die Aufgabe darin, die tatsächliche Entwicklung eines Portfolios bestmöglich zu treffen, indem über einen Zeitraum von z.B. 100 Handelstagen die Wertentwicklung des Fonds möglichst ohne Abweichungen durch eine geeignete Mischung von Assets und Märkten erklärt wird. Das klappt tatsächlich in den allermeisten Fällen extrem gut, ist aber leider vergleichsweise rechenaufwendig. Wenn man diesen Aufwand aber nicht scheut, erhält man nahezu in Echtzeit ein recht verlässliches Bild über die taktische Allokation vermögensverwaltender Fonds.

Welche Erkenntnisse ziehen wir aus der Simulation?

Nun könnte man es sich sehr leicht machen und einfach die Allokation der Fonds, die in der Vergangenheit besonders gut waren, „nachbauen“. Zuweilen hätte das auch sehr gut funktioniert. Ein Beispiel dafür ist die Phase unmittelbar vor der Corona-Krise an den Aktienmärkten im März 2020. Damals wurde von den sehr guten Fonds unmittelbar vor dem Einbruch die Aktienquote deutlich stärker reduziert als von allen Fonds im Durchschnitt.

Man sollte aber nicht glauben, dass Fonds, die in der Vergangenheit besonders erfolgreich waren, grundsätzlich die Lizenz zur Outperformance besitzen.

Das lässt sich wiederum recht gut und anschaulich mit dem Zeitraum unmittelbar nach dem Corona-Crash aufzeigen. Denn während sich die Fonds in ihrer Gesamtheit sehr schnell wieder bei einer durchschnittlichen Aktienquote einpendelten, waren die vermeintlich besonders „schlauen“ Fonds viel zu lange viel zu vorsichtig.

Eine eigene Meinung zu bilden lohnt sich

Es ist also keine Schande, anders als die Fonds positioniert zu sein, die in der Vergangenheit eine sehr gute risikoadjustierte Rendite aufgewiesen haben. Zudem ist es ja auch nicht so, dass die in der Vergangenheit positiv aufgefallenen Fonds eine homogene Menge darstellen, die immer identisch positioniert ist. Auch wenn die Fonds mit einer historisch guten risikoadjustierten Rendite in der Mehrheit die Aktienquote gesenkt haben, finden sich darunter trotzdem viele Fonds, die auch das Gegenteil gemacht haben.

Wir wollen grundlegende Trends verstehen

Aus diesem Grund sollte man sich auch nicht zu sehr von solchen Auswertungen leiten lassen – es geht vielmehr darum, grundlegende Trends in der taktischen Allokation zu verstehen, um dann die eigene Meinung damit abzugleichen und ggf. kritisch zu hinterfragen, wenn es Abweichungen zwischen der eigenen Positionierung und dem Mainstream gibt. Wenn dann gute und valide Gründe bestehen, vom taktischen Mainstream abzuweichen, dann spricht nichts dagegen, genau das zu tun. Das ist der Sinn des aktiven Managements!

Gute Fonds sind taktisch aktiver

Es gibt trotzdem etwas, was man von Fonds mit historisch guten Sharpe-Ratios und damit einer guten risikoadjustierten Rendite strukturell lernen kann: Wie die Grafik auf der linken Seite zeigt, sind die erfolgreichen Fonds in ihrer Taktik deutlich aktiver als der Durchschnitt.

Was schon optisch auffällt, lässt sich auch statistisch recht eindeutig nachvollziehen:

Die Standardabweichung der Abweichung von Aktien-Benchmarkquoten ist bei den historisch besonders guten Fonds etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Fonds. Aktivität zahlt sich also aus – aber natürlich nur dann, wenn man mit seinen Entscheidungen mehrheitlich auf der richtigen Seite liegt. Das ist manchmal leichter und manchmal schwerer.

Derzeit ist es eher schwerer, und uns fehlt die Konfidenz für eine noch deutlich „aggressivere“ Positionierung am Aktienmarkt.

Wie schon das Sprichwort sagt, man steht ein wenig zwischen Baum und Borke

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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