Sturm aufs Kapitol & Corona-Mutation: Ein nicht ganz perfekter Jahresstart

Es ist immer ein wenig problematisch, den Begriff „historisch“ zu verwenden, wenn es darum geht, Geschehnisse einzuordnen. Zu oft bezeichnet man Momente als historisch, die dann doch nicht den Eingang in die Geschichtsbücher finden. Die Geschehnisse von Mittwoch in Washington dürften aber durchaus das Zeug dafür haben.

Putschversuch in Washington D.C.

Das gilt nicht nur deshalb, weil sich einige gewaltbereite Randalierer Zutritt zum Kapitol verschafft haben, sondern vor allem, weil der noch amtierende US-Präsident zuvor kaum verhohlen zu einer Art Putsch aufgerufen hatte. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Trump hat tatsächlich den Vizepräsidenten Mike Pence, der die Sitzung leitete, in der die Wahl von Biden offiziell bestätigt und anerkannt werden sollte, dazu aufgerufen, die Wahl des Electoral Colleges nicht anzuerkennen. Dann richtete er sich mit folgenden Worten an seine Anhänger:

„Wir werden hinuntermarschieren, und ich werde mit Euch sein. Ihr werdet unser Land niemals mit Schwäche zurückerobern. Ihr müsst Stärke zeigen.“

Aber auch schon zuvor warf das Verhalten von Trump viele Fragen auf; spätestens seit dem mitgeschnittenen Telefonat Trumps mit dem Wahlleiter Georgias hätte aber jedem klar sein können, dass (der im Telefonat fast geisteskrank wirkende) Trump bereit ist, jegliche Grenze des guten Anstandes und des verfassungskonformen Handelns zu überschreiten.

Auch ohne tiefere juristische Kenntnisse dürfte offensichtlich sein, dass dieses Verhalten den Tatbestand eines – wenn auch hochgradig dilettantischen – verfassungsfeindlichen Umsturzes darstellt.

Viel spricht dafür, dass in den nächsten Tagen ein neues Amtsenthebungsverfahren angestrengt wird, und vielleicht endet diese Episode für Trump sogar mit dem Gefängnis. Darüber müssen Gerichte entscheiden, und wir wollen uns an dieser Stelle nicht zu wilden Spekulationen hinreißen lassen. Die spannendere Frage ist aus unserer Sicht die nach der Kapitalmarktrelevanz dieser Vorkommnisse.

Welche Auswirkungen auf die Kapitalmärkte hat die Revolte in den USA?

Auf den ersten Blick ließe sich argumentieren, dass die Kapitalmarktrelevanz begrenzt ist. Schließlich werden Gewinne bei US-Unternehmen auch dann anfallen, wenn gegen Trump juristisch vorgegangen wird. Die Tage seiner Präsidentschaft sind ohnehin gezählt. Allerdings ist diese Sichtweise vermutlich ein wenig zu einfach. Denn ein Land, das überhaupt erst in eine solche Situation gerät, muss ein ernsthaftes Problem haben.

Offensichtlich ist die Gesellschaft in besorgniserregendem Maße gespalten und lebt jeweils in ihrer eigenen Blase.

Das sind keine guten Voraussetzungen für eine Volkswirtschaft, die langfristig prosperieren will. Es gibt historisch wenig Beispiele für Gesellschaften, die in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt und trotzdem langfristig ökonomisch erfolgreich waren.

Amtierender Präsident Joe Biden als Hoffnungsträger

Die gute Nachricht: Die USA werden in wenigen Tagen von einem Präsidenten regiert werden, der in der Lage sein sollte, ausgleichend zu wirken und die Spaltung zumindest in gewissen Grenzen überbrücken zu können. Auch die beiden in Georgia von den Demokraten gewonnenen Senatssitze mögen einen Beitrag dazu leisten können, die Lage weiter zu stabilisieren, da auf diese Weise nicht eine gegenseitige Blockade der politischen Lager mit einem damit einhergehenden Dauerwahlkampf zu erwarten ist. Allerdings sollte man nicht glauben, dass nun die Demokraten in allen Belangen „durchregieren“ können.

Was ergibt sich für die Verabschiedung neuer Gesetze und eventueller Steuerreformen?

Durch den Sieg der beiden Demokraten liegt die Sitzverteilung im Senat bei exakt 50 Sitzen für Demokraten und Republikaner. In diesem Fall hat die Vizepräsidentin die ausschlaggebende Stimme. Mit dieser marginalen Mehrheit können aber nicht alle Gesetze verabschiedet werden. Zwar lässt sich mit dieser knappen Mehrheit bestimmen, welche Gesetze in der Verabschiedung Priorität erhalten und welche Gesetze geblockt werden. Außerdem wird die Bildung des Kabinetts durch die Mehrheit beschleunigt, ebenso können diverse Posten im Regierungsapparat und in Gerichten besetzt werden. Die meisten Gesetze im US-Senat benötigen jedoch 60 Stimmen, um verabschiedet werden zu können.

Allenfalls in steuerrechtlichen Fragen wäre zu erwarten, dass die einfache Mehrheit der Demokraten reichen könnte, um Gesetze zu verabschieden.

Ein kompletter Durchmarsch sieht anders aus – auch die von vielen Demokraten erhoffte Reform des Gesundheitswesens dürfte in diesem Kontext keine große Chance auf Erfolg haben.

Und was sind unsere Erwartungen für die Aktienmärkte?

Aber selbst wenn der Sturm auf das Kapitol und der anstehende Regierungswechsel keinen kurzfristigen signifikanten Einfluss auf die breiten Aktienindizes haben sollte, dürfte sich hinter den Kulissen doch einiges ändern. Die Demokraten dürften in dieser unsicheren Lage einen Anreiz verspüren, die Staatsausgaben nicht zu reduzieren, sondern weiter zu erhöhen. Im Ergebnis steigt perspektivisch vermutlich die Inflation oder zumindest die Inflationserwartung, während der US-Dollar leiden könnte. Das spräche für zyklische Werte und weniger für Technologieaktien. Außerdem könnte vor allem in den USA die Zeit ein Ende finden, wo die großen Large-Cap-Unternehmen substanziell besser abgeschnitten haben als die kleinen Unternehmen. Aus Sicht eines Euro-Investors, der bisher mit einem hohen Tech-Übergewicht in großen US-Aktien eine gute Performance erwirtschaften konnte, ergäbe sich hier möglicherweise Handlungsbedarf. Hier ist man gut beraten, ein waches Auge auf diese Entwicklung zu werfen.

Ein Abgesang auf Wachstumswerte erscheint jedoch ebenfalls verfrüht.

Denn auch in den kommenden Jahren werden die Zinsen in den USA auf einem historisch tiefen Niveau verbleiben und damit strukturell die Unternehmen begünstigen, die über längere Zeiträume höhere Gewinnwachstumsraten erwarten lassen.

Neuer Endgegner aus UK: Mutierter Corona-Virus

Als wenn diese Probleme nicht genug wären, hat sich in den letzten Wochen und Tagen ein weiterer schwarzer Schwan langsam in das Rampenlicht vorgewagt: Dabei geht es um die Mutation des Coronavirus, die vor allem in Großbritannien zu beobachten ist. Die auch etwas kryptisch mit B.1.1.7 bezeichnete Variante steht unter dem Verdacht, deutlich ansteckender zu sein als das „klassische“ Virus. In Südafrika hat sich davon ganz unabhängig eine andere Mutation gebildet, die allerdings genetisch ähnlich ist und ebenfalls zu einer höheren Ansteckungsrate zu führen scheint.

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass das Virus in der Lage ist, vergleichsweise schnell mutieren zu können, was die Impfstrategie vor eine große Herausforderung stellt.

Denn dieser Erkenntnis macht es umso wichtiger, dass große Teile der Bevölkerung geimpft werden, bevor sich das Virus durch weitere Mutationen so verändert, dass eine erneute Impfwelle notwendig wäre – mit einem dann neuen, angepassten Impfstoff. Die Problematik ist durchaus vom Grippevirus bekannt; dort besteht jedoch nicht die logistische Herausforderung, einen großen Teil der Bevölkerung in wenigen Monaten impfen zu müssen.

Inwieweit unterscheidet sich die mutierte Virusart vom „klassischen“ Corona Virus?

Die epidemiologischen Studien aus England legen derzeit nahe, dass der sog. R-Wert (ein Maß für die Ansteckungsgefahr) der mutierten Variante um etwa 0,5 Punkte höher liegen könnte. Das hört sich nach wenig an, bedeutet aber konkret, dass selbst unter Lockdown-Bedingungen ein Mensch mehr als einen Menschen anstecken könnte. Das ist keine gute Nachricht und lässt neue Probleme erwarten, wenn diese Virus-Variante auch im Rest der Welt eine größere Verbreitung erfahren sollte. Dass die Gefahr real ist, zeigen die aktuellen Zahlen aus Großbritannien.

Man muss kein Statistiker sein um zu erkennen, dass in Großbritannien etwas anders läuft als in den meisten anderen Ländern.

Verwendet man beispielsweise die Mobilitätsdaten von Apple um zu verstehen, wie hart ein Lockdown in der Bevölkerung tatsächlich gelebt wird, besteht kein Zweifel, dass in den letzten Wochen das öffentliche Leben in Großbritannien in einem stärkeren Maße zum Erliegen gekommen ist als z.B. in Deutschland.

Bis jetzt noch keine Stabilisierung des Infektionsgeschehens in UK erreicht

Nach den Erfahrungen mit Lockdowns aus den letzten Monaten hätte man daher inzwischen eine Stabilisierung des Infektionsgeschehens erwarten können. Leider ist das bisher nicht der Fall. Es gibt weltweit nur wenige Länder, die ein noch dynamischeres Infektionsgeschehen aufweisen als Großbritannien. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass diese Virusvariante tatsächlich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Wenn sich diese Befürchtung bestätigt, könnte die Notwendigkeit bestehen, Lockdowns zu verlängern und eher 80% als 70% der Bevölkerung impfen zu müssen. Das ändert zwar nicht unser grundsätzlich positives Szenario, könnte den Pfad aber ein klein wenig holpriger gestalten.

Die ersten Tage im neuen Jahr zeigen: 2021 verspricht ähnlich spannend zu werden wie das vergangene Jahr.

Um mehr über den aktuellen Kapitalmarkt zu erfahren, melden Sie sich gern zu unserem kostenlosen Web-Seminar Kapitalmarktausblick mit anschließender Fragerunde an. Der nächste Termin ist am Dienstag, den 26. Januar um 17:30 Uhr.

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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