Rückgang der deutschen Wirtschaft: Alles halb so schlimm?

Malen die Ökonomen mit ihren Prognosen für das Jahr 2020 möglicherweise zu schwarz?

Die bisher vorliegenden Konjunkturdaten lassen nur schemenhaft erkennen, wie stark die Wirtschaft in diesem Jahr einbrechen wird. Aber fast alle Ökonomen gehen davon aus, dass wir die schwerste Rezession seit der Großen Depression der 1930er Jahre erleben werden. Dennoch kann man für das zu erwartende Wirtschaftswachstum in diesem Moment nur grobe Schätzungen abgeben. Es ist nicht klar, wie tief der Abschwung ausfällt, wie schnell sich die Konjunktur wieder erholen wird oder ob es vielleicht eine zweite Infektionswelle geben wird, die eine erneute Schließung der Wirtschaft nach sich ziehen könnte. Bildlich gesprochen geht es uns wie einem Turmspringer, der nicht genau weiß, ob er auf dem 3 oder dem 10-Meter-Brett steht. Doch dieses Wissen ist entscheidend, um einschätzen zu können, wie tief man in das Wasser eintauchen muss und wann man wieder an die Oberfläche kommen wird.

Deutsche Wirtschaft ähnlich schwach wie in 2009, 1987 und 1963

Die deutsche Wirtschaft verzeichnete im ersten Quartal dieses Jahres einen Rückgang der realen Wirtschaftstätigkeit von 2,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal, einen stärkeren Einbruch gab es in den vergangenen 60 Jahren nur in drei Fällen (2009, 1987 und 1963).

Da es im ersten Quartal aber nur in gut zwei Wochen zu einem Lockdown der Wirtschaft kam, gehen Volkswirte für das zweite Quartal von einem wesentlich schwereren Konjunktureinbruch aus.

Wir halten es für wahrscheinlich, dass das reale BIP um etwa 10 Prozent gegenüber dem Vorquartal zurückgehen wird, da die Wirtschaft im April und Mai zu großen Teilen still stand.

Wirtschaft in Deutschland: Doch was folgt danach?

Um das mögliche Profil des weiteren wirtschaftlichen Verlaufs zu beschreiben, greifen Ökonomen gerne auf den Vergleich mit bestimmten Buchstaben zurück, nämlich das „u“, „v“, „w“ oder „l“.

  • Das „u“ entspricht der Erwartung eines starken Absturzes, dem eine Phase der Stabilisierung auf niedrigem Niveau folgt, ehe es danach zu einer wirtschaftlichen Normalisierung kommt.
  • Beim „v“ verläuft der wirtschaftliche Aufholprozess wesentlich schneller, da es nach dem steilen Abschwung sofort zu einer ebenso steilen Erholung kommt.
  • Beim „w“ setzt zwar ebenfalls eine sehr schnelle Erholung ein, diese wird aber durch einen nochmaligen Rückschlag unterbrochen. Erst im zweiten Anlauf erholt sich die Wirtschaft wieder auf das Vorkrisenniveau.
  • Das „l“ stellt das aus ökonomischer Sicht negativste Szenario dar, da sich die Wirtschaft von dem Einbruch gar nicht mehr erholt.

Welches Szenario ist aus unserer Sicht am wahrscheinlichsten?

Zwei der beschriebenen Verlaufsformen schließen wir aus heutiger Sicht aus: sowohl das „l“ als auch das „u“ sind aus unserer Sicht unrealistisch. Denn nach zwei Quartalen mit gravierenden wirtschaftlichen Rückgängen dürfte es zunächst zum berühmten „Gummibandeffekt“ kommen. Sobald die ersten wirtschaftlichen Lockerungsmaßnahmen beschlossen werden, kommt es zu einer ersten schnellen und spürbaren konjunkturellen Erholung. Das soziale Verhalten der meisten Menschen wird sich unseres Erachtens nach nicht so schnell geändert haben, dass man die Phase der wirtschaftlichen und sozialen Isolation freiwillig fortsetzen wird.

Zu Beginn der Lockerungen werden viele Menschen zwar noch vorsichtig bleiben, doch je länger die Einschränkungen anhalten, umso stärker wird das Bedürfnis, wieder sein gewohntes Leben führen zu wollen. Ob dies möglich sein wird, hängt allerdings entscheidend davon ab, ob es eine zweite Infektionswelle geben wird. Solange die Wachstumsrate der Neuinfektionen sinkt, so wie es in den meisten Industrieändern derzeit zu beobachten ist, werden viele von uns zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren.

Dies spricht dafür, dass der zu erwartende Konjunkturverlauf durchaus einem „v“ ähneln könnte, aus unserer Sicht allerdings mit einer großen Einschränkung. So wird der Aufstiegsschenkel des „v“ wohl kürzer sein als es beim Abstieg der Fall war. Käme es, wie einige Virologen vermuten, im Herbst zu einer zweiten Infektionswelle, würde aus dem kleinen „v“ ein „w“ werden, andernfalls dürfte sich der Anstiegswinkel des „v“ wohl schon ab dem vierten Quartal 2020 oder zu Beginn des Jahres 2021 abflachen.

Insofern halten wir eine schnelle Rückkehr zur Normalität für unwahrscheinlich.

Der Weg zurück zum Ausgangsniveau der Wirtschaftsleistung vor dem Ausbruch des Coronavirus …

dürfte lang sein und wohl nicht vor 2022 erreicht werden. Dies liegt daran, dass der wirtschaftliche Schaden, den Covid-19 angerichtet hat, einige anhaltende Spuren hinterlassen wird. So werden trotz der nie dagewesenen, gigantischen geld- und fiskalpolitischen Unterstützung, einige Unternehmen diese Krise nicht überleben, sodass die Arbeitslosigkeit nicht nur temporär ansteigt. Die hohen Kredite, die viele Unternehmen aufnehmen mussten, um liquide zu bleiben, werden die zukünftigen Investitionsbudgets dauerhaft belasten. Die Folge wird ein geringeres Produktivitätswachstum sein, das sich negativ auf das zukünftige Potenzialwachstum auswirkt, auch wenn sich der Effekt im Moment noch nicht quantifizieren lässt.

Erfreulicherweise scheint der konjunkturelle Tiefpunkt vorerst durchschritten zu sein.

Zwar gibt es von unseren traditionell im Fokus der ökonomischen Analyse stehenden Indikatoren (der Industrieproduktion, den Auftragseingängen oder den Einzelhandelsumsätzen) noch keine Hinweise, wie sie sich nach dem im März zu beobachtenden Absturz entwickeln, doch kann man sich mit Hilfe der Frühindikatoren vom IfoInstitut, dem Zentrum für Wirtschaftsforschung (ZEW) und den Einkaufsmanagerindizes von IHS Markit ein Bild der aktuellen Lage machen.

Alle drei Frühindikatoren haben sich im Mai erholt. Beim Ifo und beim ZEWIndex war dies darauf zurückzuführen, dass sich die Erwartungskomponenten verbessert haben, während die aktuelle Lage nochmals negativer beurteilt wurde. Die Verbesserung bei den Erwartungen ist ein wichtiges Indiz dafür, dass die Wirtschaft ihren Tiefpunkt erreicht hat und es von nun an wieder bergauf geht. Dass sich die Erwartungen in dem Moment verbessern, in dem die aktuelle Lage so negativ bewertet wird, wie es im Moment der Fall ist, stellt keine Überraschung dar.

Die Erholung des ZEWIndex suggeriert dagegen sogar ein positives BIPWachstum! Dies zeigt, dass die Finanzmarktakteure ein ganz anderes, nämlich ein viel positiveres Konjunkturbild haben als die meisten Ökonomen und erklärt, warum sich aus Sicht der meisten Ökonomen die Börse von der wirtschaftlichen Realität abgekoppelt hat. Da allerdings auch die Unternehmen ihre eigene Situation nicht so negativ beurteilen wie es die meisten Wirtschaftsforscher tun, könnte die Börsenentwicklung vielleicht auf einem solideren Fundament stehen als man glauben mag. Dies gilt aber nur für den Fall, dass die Unternehmen ihre Situation nicht zu positiv beurteilen. Da niemand Erfahrungen mit dem Lockdown und der anschließenden Öffnung ganzer Volkswirtschaften hat, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen, wer am Ende recht behält.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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