Künstliche Intelligenz: Alles nur Hype?

In den Medien überschlagen sich tatsächliche und selbsternannte Experten mit immer waghalsigeren Prognosen für die zukünftigen Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf Wirtschaft und Gesellschaft. Aber sind die hohen Erwartungen gerechtfertigt? Was sind die Treiber der Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz und sind wir der technologischen Singularität wirklich schon so nahe? Anhand der Entwicklung des Deep Learning, der Lernmethode, die Computersysteme „intelligent“ wirken lassen, beleuchten wir diese Fragen.

Hieraus leiten wir eine Einschätzung ab, wie sich die Innovationsrate von künstlicher Intelligenz in den nächsten Jahren entwickeln wird und ob Investitionen in Unternehmen, die künstliche Intelligenz (KI) nutzen, jetzt interessant sein könnten. Sind die vergangenen Kursgewinne gerechtfertigt oder haben wir es aktuell nur mit einem Hype zu tun?

Was ist Deep Learning und wie ist der Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz?

KI im Allgemeinen ist die Eigenschaft eines IT-Systems, menschenähnliche und intelligente Verhaltensweisen zu zeigen. Hierzu versucht das Computersystem, selbstständig Muster in Datensätzen zu erkennen und hieraus Regeln für die Klassifikation zu entwickeln. Als Datensätze kommen zum Beispiel Bilder oder Videos zum Einsatz. Durch das selbstständige Erkennen von Gesichtern oder anderen Objekten entsteht der Eindruck der Intelligenz. Hierbei werden Algorithmen mit einem bekannten Datensatz „trainiert“, auf Basis dessen Muster und Regeln erkannt werden, die das Programm dann auf neue Datensätze anwenden kann. Diese Lernmethode wird auch als Machine Learning bezeichnet, wobei hier teilweise noch keine selbstständige Entwicklung der Muster erfolgt, sondern eine vorherige Klassifizierung von menschliche Benutzern erforderlich ist. Im Deep Learning, einer Untergruppe des Machine Learning entfällt dieser menschliche Eingriff und die Mustererkennung findet vollkommen selbständig seitens des Algorithmus statt.

Für diese selbstständige Klassifizierung sind allerdings erheblich größere Trainingsdatensätze sowie größere Rechenkapazitäten zur Analyse der Datensätze notwendig.

Dabei limitiert die Rechenleistung der Computer die Weiterentwicklung von vielen statistischen Modellen, so auch Deep Learning. Durch die Komplexität der Deep Learning Modelle ist die Anzahl von notwendigen Datenpunkten wesentlich größer, um eine vergleichbare Performance zu liefern. In der folgenden Abbildung ist die hieraus entstehende Lücke am Bedarf an Hardwareperformance durch Deep Learning Anwendungen und die tatsächliche Entwicklung der Hardwareperformance dargestellt (logarithmische Skalierung!).

Abbildung 1: Bedarf an Rechenleistung durch Deep Learning [i]

[i] Thompson, N.C.; Greenewald, K.; Lee, K.; Manso, G.F. (2020): „The Computational Limits of Deep Learning“, S.5

Während die Nachfrage nach Rechenleistung extrem angestiegen ist, stellt sich nun die Frage, wie sich die tatsächliche Rechenleistung in den letzten Jahren entwickelt hat.

Moores Gesetz

Wie in der Grafik oben zu sehen ist, hat sich die Hardware Performance in den letzten Jahren nahezu exponentiell entwickelt. Dieser Umstand lässt sich indirekt aus Moores Gesetz ableiten, was besagt, dass sich durch den technischen Fortschritt die Anzahl der auf einem Computerchip platzierbaren Transistoren innerhalb von 18 Monaten verdoppelt. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren zu einer Erhöhung der Rechenleistung pro Chip im selben Ausmaß geführt.

Abbildung 2: 42 Jahre Mikroprozessor-Trend-Daten [i]

[i] https://www.infoq.com/news/2020/04/Moores-law-55/

Dass sich diese Entwicklung in der Zukunft so fortsetzen wird, daran gibt es seitens von Experten jedoch starke Zweifel. Nachdem bereits seit den frühen 2000er Jahre die Frequenz der Chips aufgrund des Stromverbrauchs und der Kühlung nicht weiter erhöht werden konnte, wurden die Transistoren dazu genutzt, um auf einem Chip mehrere Kerne zu verbauen, was die Rechengeschwindigkeit ebenfalls erhöhte (in der obigen Grafik die roten Punkte bzw. die schwarzen Punkte). Mit den neusten Chipgenerationen kommt dieses Gesetz jedoch an seine Grenzen, weil die Transistoren nicht unendlich verkleinert werden können. Außerdem steigt der Aufwand für jede weitere Innovation enorm an, womit Moores Gesetz aktuell sowohl an physikalische als auch ökonomische Grenzen stößt.

Was bedeutet das für die Innovation im Bereich der künstlichen Intelligenz?

In den letzten Jahren konnte die Rechenleistung, die für Deep Learning Modelle verwendet wird, durch eine quantitative Skalierung erreicht werden. Das bedeutet, dass Unternehmen und Anwender die Anzahl an Chips pro Anwendung erhöht haben, um die Komplexität und Prognosefähigkeit der Modelle zu erhöhen. Das führte dazu, dass sich die Kosten für das Trainieren von modernen Modellen enorm erhöht haben. Bereits das Training von Chat GPT, einem Chatprogramm, welches Antworten mittels KI generiert und damit beispielsweise Geschichten und Gedichte schreiben kann, kostete alleine vier Millionen USD. [i] Dass der Bedarf an Rechenleistung die aktuellen technologischen Möglichkeiten übersteigt, um die Modelle mit der bisherigen Innovationsrate weiterzuentwickeln, konnte bislang durch eine höhere quantitative Rechenkapazität teilweise ausgeglichen werden. Eine exponentielle Steigerung des Aufwandes ist aber aus heutiger Sicht nicht möglich, wenn man beispielsweise die Knappheit der Rohstoffe bedenkt, mit denen Computerchips hergestellt werden.

Das heißt, dass wir, sollte sich das Ende von Moores Gesetz bewahrheiten, in den nächsten Jahren zwar einen steigenden Aufwand für die Entwicklung von Modellen sehen werden, aber die Innovationsrate dieser Technologie massiv abnehmen wird.

Ähnliche Entwicklungen sehen wir auch bei bereits etablierten Technologien, wie beispielsweise dem Auto oder dem Smartphone. Die Verbesserungen, die von einem Golf 1 auf einen Golf 2 und Golf 3 für den Fahrer im Hinblick auf Leistung, Fahrverhalten und Komfort entwickelt wurden, waren größer als die von Golf 7 auf 8, obwohl der Aufwand für die Verbesserungen nicht weniger geworden ist. Auch hier gab es Innovationen, wie moderne Assistenzsysteme oder aktuell einen großen Umbruch in die Elektromobilität, jedoch nicht im exponentiellen Rahmen. Die Grenzinnovation, also die zusätzliche Innovation bei der Entwicklung von neuen Autos nimmt ab. Ähnlich verhält es sich beim Smartphone. Während das erste iPhone eine Revolution auf dem Markt darstellte, beschränken sich die Verbesserungen aktueller Generationen von Smartphones auf eine bessere Kamera und ein schnelleres Interface.

Passend zum Thema ist auch unser Live-Web-Seminar vom Juni 2023

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Wie passt das zu der aktuellen Stimmung zu künstlicher Intelligenz?

Nach dem Launch von Chat GPT im November 2022 und einem breiten Diskurs in den Medien spielt das Thema auch an den Finanzmärkten eine wichtige Rolle. So stieg zum Beispiel der Aktienkurs von Palantir Technologies, einem Technologieunternehmen, das auf die Entwicklung von Software zur Analyse großer Datenmengen spezialisiert ist, seit dem Jahresbeginn um über 100 Prozent. Auch NVIDIA, ein Entwickler für Grafikprozessoren und Chipsätzen und mittlerweile nach Marktkapitalisierung eines der größten Unternehmen der Welt, profitierte von der medialen Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz. Seit Jahresbeginn hat sich der Wert der Aktie in etwa verdreifacht, sodass das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf mittlerweile über 200 angestiegen ist!

Wird hier das Gewinnwachstum zu stark in die Zukunft extrapoliert beziehungsweise haben sich die Marktteilnehmer hier von der Marktstimmung zu einem zu starken Optimismus zum Thema KI verleiten lassen?

Eine Möglichkeit, einen Hype zu einem bestimmten Thema zu identifizieren, ist die Google Trend Statistik. Diese erfasst, wie häufig ein Begriff zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Google-Suchmaschine eingegeben wurde. In der folgenden Abbildung ist die Google Trend Statistik für das Stichwort „Künstliche Intelligenz“ im 5-Jahres Horizont dargestellt. Außerdem ist der Launch von Chat GPT im November 2022 als möglicher Ausgangspunkt des Hypes markiert.

Abbildung 3: Google Trend Statistik zum Stichwort „Künstliche Intelligenz“ in Deutschland [i]

[i] Google Trend Statistik, eigene Darstellung, Die Google Trend Statistik ist für das Maximum innerhalb des angefragten Zeitraumes auf 100 normiert.

Wie in der Abbildung zu sehen ist, sind die Anfragen für das Stichwort „Künstliche Intelligenz“ schon vor dem Launch von Chat GPT angestiegen, seit Ende 2022 jedoch mit einer deutlich höheren Wachstumsrate. Das Stichwort wurde im Maximum von 100 im Mai 2023 mehr als doppelt so häufig gesucht wie im November 2022 bei einem Indexstand von unter 50. Anhand des deutlichen Anstieges in kurzer Zeit sind Anzeichen eines Hypes zu erkennen.

Sollte ich in KI-Fonds investieren?

Eine Möglichkeit vom Fortschritt in der KI-Technologie zu profitieren, sind Themenfonds, die speziell Unternehmen selektieren, deren Geschäftsmodell auf die Entwicklung von KI-Systemen ausgerichtet ist. Bereits jetzt läuft das Rennen für die besten Anwendungen im KI-Bereich auf eine Materialschlacht um die leistungsfähigste Hardware hinaus. Zusätzlich dazu braucht es für die Entwicklung von KI-Anwendungen große Datenmengen, was vor allem Datensammlern wie Meta oder Google einen Vorteil verschafft.

Man sollte dabei aber rücksichtigen, dass im S&P 500 oder im Nasdaq 100 die aktuell dominanten Unternehmen im KI-Bereich wie Meta, Microsoft, NVIDIA, Google bereits enthalten sind.

Wer also bereits einen ETF auf den S&P 500 oder den Nasdaq 100 im Portfolio hat, hat damit schon eine erhebliche Position in diesen Technologieaktien. Im Technologieindex Nasdaq 100 haben diese Titel ein Gewicht von etwa 30 Prozent – im S&P 500 sind es immerhin etwa 14 Prozent. Wenn man zusätzlich noch einen Themenfonds zum Thema KI ins Portfolio aufnimmt, sollte man sich des Klumpenrisikos bewusst sein.

Fazit

Auf der technischen Seite werden wir durch das Ende von Moores Gesetz eher sinkende Innovationsraten im KI-Bereich sehen. Der Bedarf an leistungsfähiger Hardware steigt durch den Bedarf an Rechenleistung von KI-Systemen unentwegt an, während die Qualität von Computerchips aktuell nicht mehr im gleichen Tempo gesteigert werden kann, wie es in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Aktuell wird dieser Mangel durch eine höhere Quantität an Hardware kompensiert, was jedoch nicht unendlich skalierbar ist. Parallel dazu sind die Erwartungen an die Weiterentwicklung von KI-Systemen so hoch wie noch nie, signalisiert durch die Google Trend Statistik oder auch die hohen Bewertungen von KI-Aktien.

Es besteht die Möglichkeit, dass diese Divergenz aus Erwartungen an KI und den aktuellen technologischen und ökonomischen Möglichkeiten in einer Desillusionierung enden könnte.

Das bedeutet aber nicht, dass künstliche Intelligenz unwichtig wird. Die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit an KI implizieren, dass hier ein hohes Potential für die Gesellschaft besteht. Möglich ist, dass dieses Potential jedoch erst sukzessive gehoben wird und nicht mit exponentiellen Wachstumsraten.

Wir bedanken uns bei Sebastian Kuhnert für die tatkräftige Unterstützung zu diesem Beitrag.

[i] https://www.cnbc.com/2023/03/13/chatgpt-and-generative-ai-are-booming-but-at-a-very-expensive-price.html

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