Könnte Tansania einer der neuen „Frontier Markets“ werden?

Wir sprachen mit Johanna Omere, der designierten österreichischen Honorarkonsulin für Tansania, über die interessante wirtschaftliche Entwicklung dieses ostafrikanischen Landes. Könnte Tansania in den kommenden Jahren einer der neuen „Frontier Markets“ werden?

Was hat Dich damals inspiriert, nach Tansania zu gehen?

Johanna, wir kennen uns schon lange und ich schlage vor, dass wir für das Interview das „Du“ beibehalten. 2008 bist Du von Österreich beruflich nach Tansania gegangen. Aktuell steht deine Ernennung zur Österreichischen Honorarkonsulin bevor. Was hat Dich damals inspiriert, nach Tansania zu gehen?

Johanna Omere: Das war wirklich ein Zufall. Während meines BWL und Wirtschaftspädagogikstudiums kam ich zum katholischen Sender „Radio Maria“. Später fragte man mich, ob ich für ein Jahr die Geschäftsführung des Tansanischen Senders übernehmen könnte. Spontan sagte ich zu. Im Anschluss half ich beim Aufbau des Senders in 20 weiteren afrikanischen Ländern. Das war eine Art Management Consulting. Schlussendlich haben wir hier in Daressalam ein kontinentales Training Center für die verschiedenen Rollen im Radio aufgebaut.

Eigentlich hätte ich weiter nach Asien gehen sollen, um den Sender dort aufzubauen.

Dann lernte ich jedoch meinen Mann kennen und blieb in Tansania. Einige Jahre lebten wir in einem Dorf in den Bergen. Dort haben wir ein kleines NGO-Projekt begonnen mit teenage mums. Mir ging es darum, den Menschen vor Ort auf nachhaltige Weise zu helfen. Später haben wir das dann in Daressalam deutlich professioneller umgesetzt.

In Daressalam hast du eine Bäckerei, ein Café, und einen der ersten Biovertriebe in Tansania eröffnet.

Johanna Omere: Genau. Hierzu haben wir die Lieferketten mit den ersten Biobauern im Land aufgebaut. Das war eine große Herausforderung, vor allem aufgrund der zum Teil noch nicht gut erschlossenen Infrastruktur. Inzwischen haben wir ein komplettes food system aufgebaut, vom Bauern bis zum Konsumenten. Uns ist sehr wichtig, die lokale Wertschöpfung zu fördern. Das heißt, dass nicht nur die Rohstoffe exportiert werden, sondern im Land neue Arbeitsplätze in der Verarbeitung entstehen.

Außerdem haben wir uns konsequent auf den Biomarkt konzentriert. Auf dem Dorf habe ich erlebt, wie unkontrolliert oftmals mit Pestiziden gearbeitet wird.

Die Leute haben gar nicht das Wissen vermittelt bekommen, wie sie die Pestizide richtig dosieren sollen.

In der Folge steigen dann die Krebsraten. Das hat mich schockiert. Für die Bioproduktion arbeiten wir mit tansanischen Farmern zusammen, die nach dem Participatory Guarantee System (PGS) zertifiziert sind. Sie schließen sich zu Kollektiven zusammen, die sich gegenseitig unterstützen und auch kontrollieren. Mit vielen Bauern sind wir aber auch in direktem Kontakt und besuchen sie regelmäßig. Wir sprechen zum Beispiel ab, welche Produkte wir genau für unsere Kunden brauchen.

Inzwischen haben wir über 100 verarbeitete Produkte im Sortiment.

Die Krönung unseres Schaffens ist unsere Schokolade. Ungefähr 70% der Kakaobohnen kommen aus Afrika, aber nur 1% der Schokolade wird hier hergestellt. Das konnten wir nicht auf uns beruhen lassen. Letzte Woche hatten wir Besuch vom Schokovertrieb Zotter, die uns einige Expertentipps gegeben haben.

Wie verlief eure Gründung in einem fremden Land und welche Herausforderungen stellten sich für euch?

Johanna Omere: Zunächst hatte ich das Glück, dass mein Mann Anwalt ist und schon einige Zeit hier vor Ort praktiziert hat. Generell habe ich nichts im Alleingang gemacht, sondern immer mit tansanischen Geschäftspartnern zusammengearbeitet. Andere Herausforderungen, zum Beispiel die richtigen Mitarbeiter und Geschäftspartner zu finden, gibt es überall, das ist also nicht ein landesspezifisches Problem.

Die Leute in Tansania sind wahnsinnig freundlich und sehr friedlich.

Die gesamte Kultur hier ist wirklich offen und hilfsbereit. Jeder möchte Dir gerne die Sprache beibringen. In der Stadt sprechen viele Leute Englisch, aber auf dem Dorf musste ich zwangsläufig Swahili lernen. Sobald man die Sprachbarriere überwunden hat, wird natürlich vieles leichter. Manchmal geht es allerdings so weit, dass Geschäftspartner zu höflich sind um schlechte Nachrichten zu überbringen. Das kann im Geschäftsleben für Herausforderungen sorgen.

Was beeindruckt Dich an der Tansanischen Kultur?

Johanna Omere: Die Leute haben hier oft noch eine natürliche Verbindung zum Ursprung. Das spürt man intuitiv.

Olduvai Gorge im Norden von Tansania gilt ja als eine der Geburtsstätten des modernen Menschen.

Johanna Omere: Genau. Die Gemeinschaft hat hier in der Kultur einen viel höheren Stellenwert. Die Menschen sind weniger zeitorientiert und mehr Event-orientiert. Wenn im Dorf jemand verstorben ist, legen alle sofort die Arbeit nieder. Das ist nicht immer leicht zu verstehen, wenn man nach westlichen Maßstäben einen Betrieb führt. Aber es ist auch eine sehr besondere Erfahrung. Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Vieles gibt es hier noch nicht, vieles kann man aufbauen, und die Menschen sind sehr offen. Wir versuchen immer, Talente zu erkennen und die Leute entsprechend ihren Fähigkeiten zu fördern.

Wie entwickelt sich aktuell die tansanische Wirtschaft?

Johanna Omere: Momentan beobachte ich ein starkes Wachstum. Das Land ist sehr offen für internationale Investoren. In gewissen Sektoren ist ein großer Aufbruch zu spüren. Manche Rahmenbedingungen sind noch herausfordernd. Das gilt insbesondere für die Internetanbindung und die Stromversorgung. In den vergangenen Jahren gab es hier aber große Fortschritte. Gerade in den letzten fünf Jahren hat sich infrastrukturell sehr viel verändert. Die Zementindustrie ist z.B. stark gewachsen. Es sind ganz viele neue Straßen, Strukturprojekte, Krankenhäuser und Schulen entstanden, natürlich auch der neu ausgebaute Flughafen in Daressalam.

Mit dem Ende der Covid-Krise hat sich der Tourismus momentan sehr positiv entwickelt.

Mit Sansibar, der Serengeti und dem Kilimandscharo ist Tansania eines der spannendsten afrikanischen Länder für den Tourismussektor. Dann die Landwirtschaft. Tansania verfügt über riesige Flächen, die noch nicht bewirtschaftet sind. Wir hoffen natürlich, dass nachhaltige Landwirtschaft hier zum Zuge kommen kann. 70 Prozent der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Die Industrieproduktion ist in Tansania noch kaum ausgebaut. Hier sollte für die Zukunft in Ausbildung investiert werden, damit nicht weiterhin Maschinen und Ersatzteile aus China oder Europa importiert werden müssen.

Unter den jungen Leuten ist insgesamt eine Aufbruchstimmung zu spüren.

Die Leute sind sehr wissbegierig. Gleichzeitig sind viele tansanische Lebensweisen sehr nachhaltig und sollten nicht der Globalisierung geopfert werden. Zum Beispiel die traditionelle Lehmbauweise. In Europa feiert das Lehmhaus ja gerade ein Comeback als ökologisch und gesundheitlich nachhaltige Alternative zum Steinhaus.

Was rätst Du Investoren, die in Tansania investieren wollen?

Johanna Omere: Unter der momentanen Regierung von Samia Suluhu werden Investitionen sehr stark gefördert. Das Tanzania Investment Center ist ganz stark ausgebaut worden. Es gibt Incentives für Investoren, z.B. in Form von Steuererleichterungen. Gerade auch aus Deutschland sind viele größere Firmen hier.

Starke Digitalisierung

In den letzten Jahren ist sehr viel digitalisiert worden, gerade im Bereich eGovernment. Alle Anmeldungen und Steuern sind inzwischen online, Zahlungen laufen nicht mehr in bar sondern mit einer Kontrollnummer über die Bank. Das hat sehr zur Transparenz beigetragen und geschäftliche Abläufe effizienter gemacht. Die Zusammenarbeit mit einer anerkannten lokalen Kanzlei kann zusätzlich Problemen vorbeugen.

Generell rate ich dazu, mit tansanischen Partnern zusammenzuarbeiten. Für Deutschland ist die Deutsche Auslandshandelskammer ein guter Ansprechpartner, die hier sehr stark vertreten ist, Türen öffnen und die richtigen Kontakte herstellen kann. Auch das österreichische Konsulat stellt jederzeit gerne Kontakte her.

In Deutschland ist Gleichberechtigung am Arbeitsplatz nach wie vor ein großes Thema. Wie nimmst Du Deine Rolle als Frau und Unternehmerin in der tansanischen Gesellschaft wahr?

Johanna Omere: Die Dynamik zwischen den Geschlechtern ist hier anders als in Europa. Auf dem Land sah ich durchaus ein Ungleichgewicht. In der Stadt hingegen ist es total verpönt für eine Frau, nicht zu arbeiten oder unternehmerisch tätig zu sein. Der Grund ist aus meiner Sicht, ganz banal, dass sich auch ärmere Stadtfamilien eine Haushaltshilfe vom Land leisten können. Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Ehefrau, selbst arbeiten zu gehen. Als Frau Unternehmerin zu sein ist hier wirklich das normalste der Welt.

Neben der unternehmerischen Tätigkeit bist Du aber auch an der Gründung einer privaten Schule in Tansania beteiligt. Wie kam es dazu?

Johanna Omere: In Tansania kommt auf 150 Schulkinder oft nur ein einziger Lehrer. Für unsere eigenen Kinder haben wir daher mit Heimunterricht angefangen, und uns dazu mit anderen Eltern zusammengetan. Irgendwann wurde es wirklich laut und turbulent zuhause. Also haben wir Räumlichkeiten angemietet und eine eigene kleine internationale Schule gegründet.

Für mich ist es sehr spannend, da ich ja ursprünglich aus der Pädagogik komme.

Mit unseren großartigen Lehrern haben wir ein „Global African Curriculum“ entwickelt, das die sozialen Strukturen, Stadtentwicklung, Industrialisierungsbedarf etc. hier vor Ort stark berücksichtig. Bezüglich unserer Unterrichtsmethoden haben wir Heimat in den ACE Learning Principles der New England Association of Schools and Colleges (NEASC) gefunden. Gerade bereiten wir uns auf die internationale Zertifizierung vor. Zentral für uns ist es, dass die Kinder nach ihrer eigenen Geschwindigkeit und ihren Interessen lernen dürfen. Dann funktioniert Lernen fast automatisch, ist viel effektiver und nachhaltiger. Es war tatsächlich noch kein Kind bei uns, das nicht freiwillig Lesen und Schreiben lernen wollte.

Liebe Johanna, man merkt, dass die Schule ein Herzensanliegen von Dir ist. Ich danke Dir für das informative und interessante Gespräch!

Das Interview führte Tobias Haunhorst.

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