Ist der Wirtschaft noch zu helfen?

Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal um 0,1 Prozent gewachsen. Das ist zwar nicht viel, angesichts des Gegenwinds, dem Unternehmen und Privathaushalte in den vergangenen Monaten ausgesetzt waren, ist dies jedoch ein ordentliches Ergebnis.

Nachdem das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 0,8 Prozent höher als im Vorquartal ausfiel, hat die Wirtschaftsleistung damit das Vor-Corona-Niveau aus dem vierten Quartal 2019 nahezu erreicht.

Besonders positiv zum Wirtschaftswachstum haben der private Verbrauch (+0,8 Prozent) und die staatlichen Konsumausgaben (+2,3 Prozent) beigetragen. Die Ausrüstungsinvestitionen wurden ebenfalls ausgeweitet, während es bei den Bauinvestitionen einen deutlichen Rückgang gab.

Von der ehemaligen deutschen „Paradedisziplin“, dem Außenhandel, gingen dagegen, wie schon in den vergangenen Quartalen, bremsende Effekte aus: Da die Exporte weniger stark als die Importe zunahmen, drückte der Außenbeitrag das Wachstum um 0,6 Prozentpunkte nach unten.

Es zeichnet sich deutlich ab, dass auf die deutsche Wirtschaft schwierige Zeiten zukommen

So deuten alle wichtigen Frühindikatoren darauf hin, dass Deutschland auf eine Rezession zusteuert.

Auch wenn sich der Ifo-Geschäftsklimaindex im August nur geringfügig verschlechterte, befindet er sich dennoch auf einem Niveau, bei dem es in der Vergangenheit immer zu einer rückläufigen Wirtschaftsleistung gekommen ist.

Ähnlich verhält es sich mit Umfragen, die monatlich vom ZEW oder von Sentix unter Anlegern erhoben werden, mit dem GfK-Konsumklima oder mit den Einkaufsmanagerindizes aus dem verarbeitenden Gewerbe und dem Dienstleistungssektor.

Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass Umfragen ein zu pessimistisches Bild zeichnen, weil theoretisch die Stimmung schlechter als die aktuelle Lage sein kann. Da Wirtschaft aber auch immer viel mit Psychologie zu tun hat, ist es fast immer so, dass negative Erwartungen zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen.

Zudem wird sich das größte und wichtigste volkswirtschaftliche Aggregat – der private Konsum – zwangsläufig abschwächen und damit auch den Rest der Wirtschaft negativ tangieren. Dies liegt in erster Linie an der sehr hohen Inflationsrate, die in den nächsten Monaten sogar noch weiter ansteigen wird.

Wir gehen davon aus, dass die Preissteigerungsrate ab Herbst prozentual zweistellig ausfallen wird, da die Strom- und Gaspreise zuletzt neue Rekordmarken erreicht haben und diese Entwicklung erst mit einer zeitlichen Verzögerung im Warenkorb des Statistischen Bundesamtes berücksichtigt wird.

Die Börsenpreise für Strom und Gas haben sich gegenüber dem Vorjahr um rund 600% verteuert, im deutschen Verbraucherpreisindex wird bislang dagegen nur ein Anstieg um rund 20% (Strom) bzw. um 50% (Gas) gegenüber Juli 2021 verzeichnet.

Da Strom und Gas jeweils einen Anteil von rund 2,5 Prozent am gesamten Warenkorb haben, würde sich unter der isolierten Annahme, dass sich

  • a) die Preissteigerungsraten von Strom und Gas im Herbst verdoppeln bzw. dass sich
  • b) die Preissteigerungsraten um 100 Prozentpunkte erhöhen die deutsche Inflationsrate
    • a) um knapp zwei Prozentpunkte bzw.
    • b) um rund fünf Prozentpunkte ansteigen.

Die hohe und wahrscheinlich auch länger anhaltende Inflation wird zu einem deutlichen Kaufkraftverlust bei den Konsumenten führen. Zwar sind die verfügbaren Einkommen im ersten Halbjahr um gut fünf Prozent angestiegen, doch hat dies den Anstieg der Inflation nicht kompensieren können.

Um dennoch mehr konsumieren zu können, wurde auf die – noch – hohen Ersparnisse zurückgegriffen und zum Teil auch die Kreditaufnahme erhöht.


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Wie geht es im dritten Quartal 2022 weiter?

Im dritten Quartal dürfte sich dieser Effekt wiederholen, denn viele Bundesbürger verbringen die Sommerferien im Urlaub und werden im In- und Ausland nochmal viel Geld ausgeben. Dies wird die Ersparnisse weiter aufzehren, bevor dann im vierten Quartal der Energiepreisschock einsetzen wird. Von daher gehen wir davon aus, dass die deutsche Wirtschaft auch im dritten Quartal leicht wachsen wird, ehe es dann in Q4 zu einem deutlichen Rückgang der Wirtschaftsaktivität kommen wird.

Für unsere BIP-Prognose bedeutet dies, dass wir für dieses Jahr mit einem Wachstum von 1,6 Prozent rechnen, das vor allem vom privaten Verbrauch getragen wird (+4,3 Prozent).

Für 2023 revidieren wir unsere Konjunkturprognose auf -0,4 Prozent nach unten, da wir davon ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft auch im ersten Quartal des neuen Jahres schrumpfen wird.

Die gute Nachricht ist, dass wir keinen konjunkturellen Einbruch wie während der Corona-Pandemie oder auch während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 erwarten.

Große wirtschaftliche Ungleichgewichte, wie eine überbordende Schuldenaufnahme oder auch einen Aufbau von Überkapazitäten, können wir nicht erkennen, sodass der wirtschaftliche Abschwung vergleichsweise moderat ausfallen sollte.

Wie könnte sich die Inflation entwickeln?

Das aus unserer Sicht größte wirtschaftliche Risiko besteht darin, dass sich die Inflation als hartnäckiger erweisen könnte, als viele dies im Moment erwarten. Die Notenbanken sollten sich nicht zu sehr auf die „gut verankerten“ Inflationserwartungen verlassen, die sich aus Marktpreisen ableiten lassen.

Schließlich ist es so, dass auch die Marktteilnehmer (ebenso wie die Notenbanken und fast alle Volkswirte) den außerordentlich starken Preisanstieg der vergangenen Monate völlig unterschätzt haben. Warum sollte man also den Inflationserwartungen eine bessere Prognosefähigkeit unterstellen?

Die Unwägbarkeiten der höheren Energiepreise haben wir bereits beleuchtet. Richtig ist zwar, dass in einer wirtschaftlichen Schwächephase die meisten Preise weniger stark steigen oder sogar sinken, sodass es dann zu deflationären oder genauer gesagt zu disinflationären Effekten kommt.

Allerdings halten wir es für wahrscheinlich, dass aufgrund des starken Preisanstiegs der vergangenen Monate bereits eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gekommen ist, die ihrerseits dazu führt, dass Unternehmen aufgrund weiter steigender Kosten diese auf die Preise überwälzen werden.

Der Anstieg der deutschen Brutto- und Nettolöhne um fast sieben bzw. gut sechs Prozent im ersten Halbjahr 2022 spricht eine klare Sprache, denn eine stärkere Zunahme hat es seit der deutschen Wiedervereinigung nicht gegeben.

Da davon auszugehen ist, dass die Europäische Zentralbank der Inflationsbekämpfung keine besondere Priorität einräumen wird – schließlich führen die hohen Preissteigerungsraten in der gesamten Eurozone zu höheren Steuereinnahmen und tendenziell sinkenden Schuldenquoten – dürfte eine zu lasche Geldpolitik ebenfalls dazu führen, dass der Inflationsgeist nicht so schnell wieder zurück in die Flasche zu bekommen ist.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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