Inflationsziel zwei Prozent: Vermutlich Wunschdenken!

Seit dem Höhepunkt der Inflationsrate im Herbst 2022 hat sich die Preissteigerungsrate deutlich zurückgebildet. Inzwischen liegen die Inflationsraten in den meisten Ländern wieder zwischen zwei und drei Prozent und damit in einem einigermaßen tolerierbaren Bereich. Die immer noch restriktive Geldpolitik wird – in Verbindung mit einer nach wie vor nicht überschäumenden Konjunktur – zudem ihren Beitrag dazu leisten, dass die Inflationsraten in den kommenden Monaten im Trend weiter fallen werden.

Vordergründig ließe sich also sagen, dass damit das Gespenst der Inflation gebändigt wurde. So leicht kann man es sich jedoch nicht machen. Zum einen ändern niedrige Inflationsraten nichts an der Tatsache, dass sich Preise nun auf einem dauerhaft höheren Niveau befinden. Dies birgt eine gewisse politische Brisanz. Selbst bei einer hypothetischen Inflationsrate von null Prozent im Jahr 2025 werden viele Bestandteile des Warenkorbes 20% oder 30% teurer als vor einigen Jahren sein – das geht nicht spurlos an Menschen vorbei, die sich zuvor an fast konstante Preise über längere Zeiträume gewöhnt hatten. Zum anderen muss davor gewarnt werden, dass das Erreichen der Zielmarke von zwei Prozent Inflation (und dies wird in den nächsten Quartalen der Fall sein) bedeutet, dass danach das Inflationsproblem grundsätzlich gelöst ist.

Es gibt vielmehr viele Gründe zur Annahme, dass in den kommenden Jahren mit einer strukturell leicht erhöhten Inflationsrate zu rechnen ist.

Wenn man über Inflationsraten redet, ist es zudem wichtig zu verstehen, dass die Berechnung der Inflationsrate immer mit gewissen Unsicherheiten verbunden ist. Die eine „wahre“ Inflationsrate gibt es gar nicht. Die Höhe der Inflationsrate ist abhängig von der Zusammensetzung des Warenkorbs sowie der Berechnungsmethode. Das gilt vor allem für Zeiträume, in denen die Preisentwicklung der Bestandteile des Warenkorbs sehr heterogen ist. Das war zuletzt der Fall; aber auch über die letzten 20 Jahre hat sich eine gewaltige Differenz in der Preisentwicklung zwischen verschiedenen Gütergruppen und Dienstleistungen in Europa entwickelt, wie die folgenden Tabellen verdeutlichen.

Güter und Dienstleistungen mit einem starken Anstieg der Preise seit 2004 (in Prozent)
Güter und Dienstleistungen mit einem Rückgang oder leichten Anstieg der Preise seit 2004 (in Prozent)

Nun ließe sich vermuten, dass Gütergruppen, die einen besonders starken Anstieg in den Preisen verzeichnen, langfristig auch einen Anstieg der Gewichtung im Warenkorb erleben. Denn durch den Anstieg der Preise wird ein immer größerer Teil des Konsums von diesen Gütergruppen absorbiert. Die folgenden zwei Tabellen zeigen jedoch, dass diese Annahme nicht zwingend zutrifft.

Güter und Dienstleistungen mit einem starken Anstieg der Gewichtung im Warenkorb in Prozent seit 2004
Güter und Dienstleistungen mit einem starken Rückgang der Gewichtung im Warenkorb in Prozent seit 2004

So hat sich beispielsweise der Anteil von „Liquid Fuels“ am Warenkorb halbiert, obwohl die Preise um etwa 150% gestiegen sind. Diese Entwicklung erscheint auf den ersten Blick wenig plausibel und wird von Verschwörungstheoretikern als Hinweis auf Manipulationen in der Statistik gedeutet. Der Grund für diese Entwicklung ist jedoch ganz profan. So sind solche relativen Veränderungen einfach der Ausdruck von Substitutionseffekten. Bei steigenden Preisen werden teure Güter gemieden und durch andere ersetzt. Zudem gibt es technischen Fortschritt und strukturellen Wandel. Bei flüssigen Brennstoffen ist das ganz offensichtlich. Es wird heute dramatisch weniger mit Öl geheizt als vor 20 Jahren, und auch bei Autos lassen sich hier erste Effekte der Elektromobilität beobachten. Etwas kritischer ist allerdings der Umgang mit Qualitätssteigerungen in der Statistik.

So fällt auf, dass es gerade bei vielen technologielastigen Gütern in den letzten 20 Jahren teils deutliche Preisrückgänge gegeben haben soll.

Das mag verwundern, denn aus eigener Erinnerung würde man zunächst vermuten, dass Kameras, Mobiltelefone, Computer und Spielekonsolen definitiv nicht günstiger geworden sind. In den Preisstatistiken findet hier jedoch auch die Qualitätsentwicklung Einzug. So wird behauptet, dass pro Qualitätseinheit der Preis gesunken sei, was auch stimmt, wenn man z.B. den Computerpreis in Relation zur Prozessorgeschwindigkeit setzt. Das Problem hierbei ist, dass je nach verwendeter Methode bei technologieintensiven Gütern so ziemlich jede Preissteigerung abgeleitet werden kann.

Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum die „gefühlte“ Inflation immer ein wenig höher ausfällt als in der offiziellen Statistik.

Langfristig leicht erhöhter Inflationsdruck

Sorgen bereitet uns aber eher die langfristige Perspektive. Geht man davon aus, dass die Welt Schritt für Schritt in zwei wirtschaftliche Sphären zerfällt (westliche Welt vs. autokratische Staaten), könnte dies bei dann steigenden Zöllen im Handel zwischen diesen beiden Blöcken zu inflationären Effekten führen. Der massive Anstieg des Preisniveaus könnte zudem auch in den kommenden Jahren zu überdurchschnittlich hohen Lohnforderungen führen, selbst wenn die Inflationsraten wieder vergleichsweise moderat ausfallen. Dieser „Nachhall“ der massiven Inflation aus den Jahren 2021-2023 kann somit auch mittelfristig Spuren hinterlassen und eine Lohn-Preis-Spirale befördern. Diese wird sicher deutlich moderater ausfallen als in den 70er Jahren – messbar dürfte sie trotzdem sein. Zudem bereitet uns die gewaltige und weiter steigende Staatsverschuldung in vielen Ländern Sorgen.

Gerade erst wurden gegen sieben EU-Länder von der EU-Kommission ein Defizitverfahren eingeleitet.

Aber auch in den USA und in Großbritannien wächst die staatliche Verschuldung in erstaunlichem Ausmaß. Die beunruhigende Entwicklung besteht darin, dass in vielen Ländern populistische Parteien und Politiker erfolgreich sind, die diesen Trend eher verstärken als abschwächen werden. In Folge dieser Entwicklung könnten die Renditen eher ansteigen, was Notenbanken mittelfristig wiederum veranlassen könnte, mit einer expansiven Geldpolitik gegenzusteuern. Auch das hätte mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung wiederum inflationäre Effekte. All diese Gründe lassen vermuten, dass eine langfristig durchschnittliche Inflationsrate von zwei Prozent ein (zu?) optimistisches Szenario ist.

Wir würden vermuten, dass ein Wert von etwa 2,5% ein realistischeres Szenario darstellt.

Foto von Unsplash von Stock Birken

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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