Covid-19: Worauf muss man sich als Anleger einstellen?

Unsere Konjunktur- und Kapitalmarktprognosen müssen momentan in kürzester Zeit überarbeitet werden. Nachdem wir die Erwartungen schon zu Beginn des Monats nach unten angepasst haben, veranlassen uns die aktuellen Entwicklungen zu einer noch vorsichtigeren Einschätzung. Alle Prognosen sind im Moment mit sehr großen Unsicherheiten behaftet. Das liegt daran, dass die im Moment verfügbaren Daten die sich abzeichnenden Konjunktureffekte der Covid-19-Maßnahmen nur unzureichend widerspiegeln. Hinzu kommt der Ölpreiskollaps, der durch den Preiskrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland ausgelöst wurde.

Prognosen sind im Moment mit sehr großen Unsicherheiten behaftet

Alles in allem ist die Wahrscheinlichkeit, dass es in diesem Jahr zu einer globalen Rezession kommen wird, in den vergangenen Tagen deutlich angestiegen. Mittlerweile befindet sich beispielsweise fast ganz Italien im Ausnahmezustand, da die Regierung abgesehen von Lebensmittelgeschäften, Apotheken und Drogerien die landesweite Schließung aller übrigen Geschäfte verfügt hat. In den USA hat Präsident Trump ab nächstem Samstag ein 30-tägiges Einreiseverbot für alle Reisenden aus dem europäischen Schengen-Raum angeordnet. In Deutschland werden alle Großveranstaltungen abgesagt, und immer mehr Schulen und Kitas werden geschlossen. Ähnlich sieht es in Japan aus, wo es immer wahrscheinlicher wird, dass die Olympischen Sommerspiele abgesagt oder verschoben werden.

Viele Volkswirtschaften trifft diese Entwicklung zur Unzeit, da die Weltwirtschaft aufgrund der Verlangsamung des Welthandels, der von den USA ausgehenden Handelsstreitigkeiten und des Brexits ohnehin in einer Schwächephase steckt.

Die sich Anfang des Jahres abzeichnende Konjunkturerholung ist damit vom Tisch. Länder wie Japan, Italien und Deutschland, die schon vor dem Ausbruch des Coronavirus in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckten, werden eine zumindest „technische“ Rezession nicht mehr verhindern können.

Für Deutschland gehen wir davon aus, dass es im ersten Quartal zu einer leichten und im zweiten Quartal zu einer deutlichen wirtschaftlichen Kontraktion kommen wird. Käme es ab dem Sommer zu einem Rückgang der Neuinfektionen, könnte es im dritten Quartal zu einem leichten und in Q4 zu einem stärkeren konjunkturellen Aufholeffekt kommen. Erst im nächsten Jahr wird sich die Wirtschaft dann aber wieder vollends von dem Angebots- und Nachfrageschock erholen. In diesem Szenario kommt es zu einem BIP-Rückgang vom 0,5 Prozent im Jahr 2020 (-0,2 Prozent nicht kalenderbereinigt), gefolgt von einem Wachstum im Jahr 2021 von 1,7 Prozent.

Niemand weiß aktuell, wie lange die Pandemie anhalten wird

Allerdings weiß im Moment niemand, wie lange die Pandemie anhalten wird. Für die Eurozone ergibt sich in diesem Szenario ein BIP-Rückgang von 0,4 Prozent in diesem und einem Zuwachs von 1,8 Prozent im nächsten Jahr. Für die USA gehen wir dagegen bislang nicht von einer Rezession aus. Nach einer ungefähren Stagnation in Q1 rechnen wir bislang nur für das zweite Quartal mit einer rückläufigen Wirtschaftsleistung. In diesem Jahr würde das reale Bruttoinlandsprodukt um 0,9 und 2021 um 2,1 Prozent ansteigen. Die große Unbekannte stellt hier aber der Ölpreis dar. Je länger dieser auf dem derzeitigen Niveau verharrt (oder sogar noch fällt), desto gravierender sind die negativen Folgen für die US-Frackingindustrie. Kommt es nicht zu einer Erholung des Ölpreises muss man mit deutlich sinkenden Investitionen und somit einem schwächeren Wirtschaftswachstum rechnen.

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Die Reaktion der Notenbanken

Die Notenbanken haben auf die drohende wirtschaftliche Abschwächung mit Zinssenkungen und Liquiditätshilfen reagiert. Die US-amerikanische Federal Reserve und die Bank of England haben den Leitzins um 50 Basispunkte gesenkt. Die EZB hat zwar das Volumen ihres Anleiheaufkaufprogramms bis zum Jahresende um 120 Milliarden Euro erhöht und weitere Liquiditätsmaßnahmen (LTROs und noch günstigere Bedingungen für die schon beschlossenen TLTRO III-Maßnahmen) beschlossen, jedoch trotzdem die Markterwartungen enttäuscht.

Im Unterschied zu früheren geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen sind diese an der Börse bislang verpufft. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass es sich beim Coronavirus um ein gesundheitspolitisches Problem handelt, das nicht durch niedrigere Zinsen kuriert werden kann.

Erst wenn das Virus eingedämmt ist, kann die Geldpolitik ihre Stärken ausspielen.

Zum anderen könnte es sein, dass viele Marktteilnehmer die generelle Wirksamkeit der Geldpolitik mittlerweile anzweifeln, schließlich sind die Zinsen schon so niedrig wie niemals zuvor. Käme es also trotz einer expansiveren Geldpolitik der Notenbanken zu einer Rezession, wäre es falsch für Anleger wie sonst üblich nach dem Motto „buy the dip“ zu verfahren. Denn in einer Rezession kommt es normalerweise zu einem starken Rückgang der Unternehmensgewinne und deswegen zu stark fallenden Aktienkursen.

Aktien wären also immer noch vergleichsweise hoch bewertet.

Das Argument, dass Aktien aufgrund des Kursverfalls günstig geworden sind, ist zudem sehr fragwürdig. So sieht das aktuelle DAX-KGV von 11,2 zwar relativ attraktiv aus, doch haben sich die Gewinnschätzungen der Unternehmensanalysten seit der Zuspitzung der Coronakrise kaum bewegt. Die Prognosen für die DAX-Gewinne in diesem Jahr sind um zwei Prozent und die für die Gewinne im nächsten Jahr um ein Prozent gesunken. Immer noch wird mit Gewinnsteigerungsraten von zehn bzw. dreizehn Prozent gerechnet. Dies dürfte aber eine Illusion sein. In den Rezessionen von 1993, 2001 und 2008 sind die Gewinne dagegen jeweils um 40 Prozent und mehr eingebrochen. Auch wenn wir ein solches Szenario derzeit nicht erwarten, halten wir bei unserem Konjunkturszenario einen Gewinnrückgang von zehn Prozent in diesem, gefolgt von einem Plus von 15 Prozent im nächsten Jahr für möglich. In diesem Fall würde sich aber ein tatsächliches DAX-KGV von 13,6 ergeben. Aktien wären also immer noch vergleichsweise hoch bewertet.

Was sagt die Markttechnik?

Auch aus rein markttechnischer Perspektive ist die aktuelle Entwicklung an den Aktienmärkten an Dramatik kaum zu überbieten. Selten hat es eine Marktphase gegeben, in der in so kurzer Zeit die Kurse so stark eingebrochen sind. Berechnet man beispielsweise rollierend den Draw-Down gegenüber dem im Vormonat jeweils erreichten Höchststand in den Kursen, dann hat der aktuelle Rückschlag im DAX extreme Dimensionen erreicht.

Drawdowns Deutscher Aktienindex

Aus diesem Betrachtungswinkel konnte innerhalb eines Monats tatsächlich nur in der Finanzkrise ein noch stärkerer Rückgang beobachtet werden. Ähnliches gilt für den breiten europäischen Aktienmarkt (gemessen am STOXX 600 Europa) sowie dem breiten US-Aktienmarkt (gemessen am S&P 500). Bei oberflächlicher Betrachtung ließe sich mit Blick auf die obigen Grafiken argumentieren, dass nun das Schlimmste vorbei sein könnte. Tatsächlich gibt es Investoren, die in den letzten Tagen fallende Kurse eher als Chance interpretiert und dementsprechend Positionen aufgebaut haben. Und natürlich ist es wahrscheinlich, dass es nach derart heftigen Rückschlägen zu einer technischen Gegenreaktion kommt.

Aus der obigen Draw-Down-Betrachtung kann aber keinesfalls abgeleitet werden, dass nun das Schlimmste an den Kapitalmärkten vorbei ist. Denn Rückschläge können sich auch kumuliert über mehrere Monate erstrecken. Gerade bei systemischen Krisen ist es mehr als wahrscheinlich, dass sich Verluste sukzessive und über eine längere Dauer aufbauen. Nimmt man hier als Referenz die Finanzkrise aus dem Jahr 2008, ist der bisher zu beobachtende Draw-Down sogar noch vergleichsweise harmlos. Denn während der DAX in der Finanzkrise aus der Spitze über 50 Prozent verlor, liegt der Rückgang derzeit nur bei ca. 30 Prozent. Dabei war die Finanzkrise noch nicht einmal der Worst-Case-Fall für den DAX, denn im Laufe des Platzens der Internetblase zwischen 2000 und 2003 lag der maximale kumulierte Verlust bei über 70 Prozent.

Aus diesem Grund warnen wir davor, zu früh in das fallende Messer zu greifen.

Auch wenn es sehr viele sehr gute Gründe dafür gibt, dass der kommende Aufschwung an den Aktienmärkten durchaus dynamisch ausfallen könnte – man sollte nicht darauf wetten, dass der Startschuss für die Erholung schon in den nächsten Tagen erfolgt. Die Konjunkturdaten werden sich in den nächsten Monaten verschlechtern, die Zahl der am Coronavirus Erkrankten wird in Europa und in den USA wohl noch eine ganz Zeit lang weiter ansteigen – vielleicht auch deutlich. Viele Marktteilnehmer gehen von einer „v“-förmigen wirtschaftlichen Erholung aus, wenn die Infektionszahlen ihren Höhepunkt überschritten haben, doch dies ist keineswegs sicher.

Argumente für eine Erholung sind da

Die expansiven geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen sowie der positive Effekt, den der gesunkene Ölpreis für die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte bedeutet, dürften aber zumindest für die Kapitalmärkte Argumente liefern, weshalb sich die Konjunktur wieder erholen wird, und das vielleicht schnell. Da Kapitalmärkte normalerweise immer schneller reagieren als die Realwirtschaft, werden Anleger mit einem starken Fokus auf Fundamentaldaten den Wendepunkt an den Märkten wahrscheinlich verpassen. Aus diesem Grund raten wir nicht dazu, alle Aktienanlagen zu verkaufen. Aber noch ist nicht der Zeitpunkt gekommen, an denen die Kurse ihren Tiefpunkt erreicht haben und man die Aktienquote wieder aufstocken sollte.

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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