
„If you are in trouble, double”
25. Juli 2025Wer sich schon einmal mit Roulette beschäftigt hat, ist sicherlich auf die sogenannte Martingale-Strategie aufmerksam geworden. Die Idee hinter dieser Strategie ist trivial: Ein Spieler setzt beispielsweise stets auf Rot. Sofern er richtig liegt, gewinnt er den doppelten Einsatz. Sollte er hingegen verlieren, spielt er erneut, verdoppelt aber seinen Einsatz.
An diesem Kalkül hält er solange fest, bis er gewinnt. Ein einfaches Zahlenbeispiel veranschaulicht diese Strategie:

In der ersten Runde setzt der Spieler 100 Euro und verliert seinen Einsatz vollständig. In der zweiten Runde verdoppelt der Spieler seinen Einsatz auf 200 Euro, verliert erneut, sodass sich sein Gesamtverlust auf 300 Euro anhäuft. Bis zur vierten Runde hält seine Pechsträhne an und sein Verlust beläuft sich auf 700 Euro. Nachdem er seinen Einsatz in der vierten Runde auf 800 Euro erhöht hat, meint es Fortuna gut mit ihm und er erhält 1.600 Euro. Abzüglich seines Einsatzes in Höhe von 800 Euro sowie den kumulierten Verlusten von 700 Euro steht am Ende ein Gewinn von 100 Euro zu Buche.
Eine ähnliche Strategie lässt sich auf Aktienmärkte anwenden und ist bekannt unter dem Anlagekalkül: „If you are in trouble, double“.
Die Vorgehensweise ist denkbar einfach. Sobald der Wert des Portfolios oder einzelner Titel eine bestimmte Verlustgrenze reist, wird nachgekauft. Rückblickend betrachtet erscheint ein solches Vorgehen häufig als völlig logisch. Allerdings verhält sich die Situation in Echtzeit anders. Wer hätte beispielsweise zum Hochpunkt der Corona-Pandemie eine schnelle und steile Kurserholung an den Aktienmärkten vorausgesagt? Zu dem Zeitpunkt waren nicht nur die gesundheitlichen Folgen des Corona-Virus, sondern auch die wirtschaftlichen Implikationen schwer abzuschätzen.
Markteinbrüche als Kaufgelegenheit?
Um zu klären, ob sich mit Hilfe der Anlagestrategie „If you are in trouble, double“ in der Praxis eine Outperformance gegenüber einer Buy-and-Hold Strategie erzielen lässt, haben wir die Differenz der geldgewichteten Renditen beider Strategien berechnet (Zeitraum 2000 bis 2025). Als Anlageuniversum fungierten der S&P 500 sowie STOXX Europe 600 Index. Um möglichst belastbare Ergebnisse zu erzielen, haben wir verschiedene Verlustgrenzen sowie Anlagezeiträume des Anlegers unterstellt.

Unsere Ergebnisse fallen eindeutig aus: Im Durchschnitt fällt die Differenz der geldgewichteten Rendite zwischen der Strategie „Nachkaufen“ und „Buy-and-Hold“ positiv aus. Dabei lassen sich zwei zentrale Beobachtungen festhalten.
Erstens: Je länger der Anlagehorizont, desto höher fällt die Renditedifferenz aus.
Während die Rendite eines US-Investors mit der Anlagestrategie „If you are in trouble, double“ und einem Anlagehorizont von einem Jahr durchschnittlich 3,9 Prozentpunkte höher ausfällt, beläuft sich die Renditedifferenz bei einem Zeithorizont von zehn Jahren auf 19,8 Prozent (Nachkaufen ab einer Verlustgrenze von fünf Prozent). Ein analoges Bild ergibt sich für den STOXX Europe 600. Da beide Aktienindizes ein positives Trendwachstum aufweisen und wir nicht annualisierte Renditen miteinander vergleichen, ist das Ergebnis allerdings plausibel. Erneut wird deutlich deutlich, dass sich ein langer Atem an den Aktienmärkten auszahlt.
Die zweite Beobachtung: Die Renditedifferenz fällt größer aus, wenn die Verlustgrenze tiefer angesetzt wird.
So baut ein US-Investor die durchschnittliche Renditedifferenz von 19,8 Prozent auf 46,8 Prozent aus, sofern er nicht bereits ab einem (hypothetischen) Portfolioverlust von fünf Prozent, sondern 25 Prozent nachkauft.
Zu schön, um wahr zu sein?
In Bezug auf unser Roulette-Beispiel treten gleich mehrere Stolpersteine auf: Die Martingale Strategie geht nur auf, wenn der Spieler über ausreichende finanzielle Reserven verfügt und seinen Einsatz beliebig verdoppeln kann.
Startet er in der ersten Runde mit einem Einsatz von 100 Euro, müsste er in der zehnten Runde 51.200 Euro einsetzen.
Zwar beläuft sich die Wahrscheinlichkeit, zehnmal in Folge zu verlieren, auf lediglich 0,1 Prozent, jedoch fällt der mögliche Gewinn in Höhe von 100 Euro im Vergleich zum Einsatz sehr gering aus. Grundsätzlich kann die Martingale Strategie die ersten Male aufgehen, sobald einem das Glück verlässt, wird es aber extrem kostspielig. Wichtig ist auch, dass die einzelnen Ergebnisse voneinander unabhängig sind. Das bedeutet, dass die letzten Spieldurchgänge nicht den Ausgang der nächsten Runde beeinflussen.
Anders ausgedrückt: Nur weil man bereits dreimal am Stück verloren hat, wird es nicht wahrscheinlicher, in der nächsten Runde zu gewinnen.
Ferner sind die Gewinn- und Verlustchancen beim Roulette nicht symmetrisch verteilt. Da auch die Zahl „Null“ getroffen werden kann, treten Verluste durchschnittlich häufiger auf. Verstehen Sie unsere Analyse also bitte nicht als Appell für das Glücksspiel.
Bei der Anlagestrategie „If you are in trouble, double“ treten ebenfalls Fallstricke auf:
Zum einen haben wir Aktienindizes für unsere Simulation verwendet. Auf Einzeltitelebene ergeben sich höchstwahrscheinlich weniger eindeutige und vorteilhafte Ergebnisse, da im Vergleich zu breit diversifizierten Indizes das Verlustrisiko bei Einzeltiteln höher ausfällt und Diversifikationseffekte auf Portfolioebene nicht zum Tragen kommen.
Im ungünstigsten Fall kommt es wie im Fall vom deutschen Batteriehersteller Varta oder dem chinesischen Immobilienentwickler China Evergrande nahezu zu einem Totalverlust – ein Nachkaufen wäre fatal gewesen.
Zum anderen funktioniert die Anlagestrategie nur dann, wenn ausreichend finanzielle Reserven vorhanden sind. Ferner müssten streng genommen bei einem Vergleich der beiden Anlagestrategien die Opportunitätskosten berücksichtigt werden, die sich daraus ergeben, dass man von Anfang an nicht zu 100 Prozent investiert ist und an potentiellen Aktienkurssteigerungen nicht partizipiert.
Wie lautet unser Fazit?
Ob man im Zuge von Markteinbrüchen nachkaufen sollte, hängt stark von der persönlichen Risikotoleranz, möglichen Zahlungsverpflichtungen sowie den eigenen Markterwartungen ab. Geht man davon aus, dass die ein langanhaltender Bärenmarkt einsetzt, ist es durchaus legitim, seine Investitionen in Frage zu stellen. Andernfalls sollte man steigende Kursschwankungen an den Aktienmärkten aushalten können und einen kühlen Kopf bewahren. Dabei gilt: Langfristig orientierte Anleger sollten sich nicht durch kurzfristige Schwankungen aus dem Konzept bringen lassen.
Wie unsere Simulationsergebnisse zeigen, lohnt es sich stattdessen, größere Kursrücksetzer als Kaufgelegenheit zu nutzen und breit diversifizierte Positionen auszubauen.
Warum? Langfristig sind die Aktienmärkte aufwärtsgerichtet gewesen. Oder anders ausgedrückt: Die „Gewinnwahrscheinlichkeit“ von Investitionen in breit diversifizierte Aktienindizes fällt größer aus als von Roulettespielen.
Wie schafft man es als Anleger einen kühlen Kopf zu bewahren?
Eine gute Lösung stellen Sparpläne dar. Sie helfen dabei, sich zu disziplinieren und unabhängig von der Marktphase automatisiert zu investieren. Das bedeutet, dass bei einem festen Anlagebetrag in Zeiten höherer Kursstände relativ weniger Stücke gekauft und in Zeiten niedrigerer Kursstände relativ mehr Stücke gekauft werden.
Foto von Leo_Visions auf Unsplash

Autor: Simon Landt
Simon Landt hat einen Masterabschluss in Quantitative Finance und in Quantitative Economics an der Universität Kiel erworben und ein Auslandsemester an der School of Economics and Business der Universität Ljubljana absolviert. Nach seinem einjährigen Traineeprogramm startete er seine berufliche Laufbahn als Analyst im Makro Research. Seit Oktober 2021 arbeitet Simon Landt im Private Asset Management von M.M.Warburg & CO zusammen mit Carsten Klude und Dr. Christian Jasperneite. Er ist spezialisiert auf Analysen des aktuellen Marktumfeldes und steuert die fondsgebundenen Vermögensverwaltungsstrategien. Zudem unterrichtet Simon Landt seit 2024 den Masterkurs „Portfolio- und Assetmanagement“ an der Northern Business School.
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