Globaler Zinserhöhungszyklus vor dem Ende?

Vor fast genau einem Jahr nahm die US-Notenbank ihren Kampf mit der Inflation auf. Mitte März 2022 erhöhte sie erstmals ihren Leitzins um 25 Basispunkte und gab damit den Startschuss für den schärfsten Zinserhöhungszyklus seit den 1980er Jahren. Neun Zinserhöhungen später liegt der Leitzins in den USA nicht mehr bei null, sondern bei fast fünf Prozent.

Viele andere Zentralbanken aus den Industrieländern beschritten denselben Weg

Sowohl die Europäische Zentralbank, die Bank of England als auch die Notenbanken in der Schweiz, in Australien, Neuseeland, Kanada, Norwegen und Schweden haben ihre Geldpolitik in den vergangenen 12 Monaten deutlich gestrafft.

Japan bildet die eine Ausnahme

Die Ausnahme bildet die Bank of Japan, die an ihrem negativen Leitzins von -0,1 Prozent bis zuletzt festgehalten hat. Wesentlich früher und auch noch entschlossener haben einige Notenbanken in den Schwellenländern auf den Inflationsschub reagiert. In Brasilien beispielsweise begann der Zinserhöhungszyklus schon im März 2021, seitdem wurde der Leitzins in zwölf Schritten von zwei auf 13,75 Prozent angehoben.

Mittlerweile zeichnet sich jedoch ab, dass der Inflationshöhepunkt überschritten ist. In den USA ist die PCE-Kerninflationsrate, auf die Federal Reserve genau achtet, um über weitere Zinsanpassungen zu entscheiden, von 5,4 Prozent in der Spitze auf zuletzt 4,6 Prozent gesunken. In der Eurozone ist zwar die Gesamtinflationsrate aufgrund des nachlassenden Preisrucks seitens der Energiepreise von fast elf auf zuletzt knapp sieben Prozent zurückgegangen, bei der Kerninflation gibt es aber noch keine Entwarnung. Dies ist vor allem auf die Entwicklung bei uns in Deutschland zurückzuführen, da sich hier die Dienstleistungspreise weiter verteuert haben.

Inflationshöhepunkt überschritten

In den Schwellenländern war die restriktive Geldpolitik hingegen schon erfolgreicher, so ist in Brasilien die Inflation von 12,1 auf 5,6 Prozent gesunken. Wir gehen davon aus, dass die Steigerungsrate der Konsumentenpreise in den kommenden Monaten deutlich sinken wird, dies signalisieren die deutlich rückläufigen Inflationsraten der Import- sowie der Produzentenpreise.

Und wann werden die Zinsen wieder gesenkt?

Aus diesem Grund setzen viele Marktteilnehmer darauf, dass sich die Zeit steigender Zinsen dem Ende nähert. Für die USA wird mehrheitlich damit gerechnet, dass die Federal Reserve den Leitzins nicht weiter erhöht und sie schon in der zweiten Jahreshälfte damit beginnt, die Zinsen wieder zu senken.

Pleite zweier US-Regionalbanken sorgte für Unsicherheit

Zu dieser Einschätzung hat vor allem die unerwartete Pleite zweier US-Regionalbanken beigetragen, weil nicht wenige Ökonomen nun davon ausgehen, dass sich nicht nur die bremsende Geldpolitik, sondern zusätzlich auch noch eine geringere Kreditvergabe potenziell angeschlagener Banken negativ auf die wirtschaftlichen Perspektiven auswirkt.

Die aktuellen Wochendaten der US-Notenbank zeigen allerdings, dass der Stress im US-Bankensystem Ende März wieder nachgelassen hat.

Die Einlagen bei den kleinen US-Banken haben sich bei 5,4 Billionen US-Dollar stabilisiert, gleichzeitig ist die Kreditaufnahme etwas gesunken.

Dass Banken ihre Kreditvergabebedingungen verschärfen, wenn die Zinsen steigen, und daraufhin das Kreditwachstum zurückgeht, ist ein von den Notenbanken mit ihrer restriktiveren Geldpolitik gewünschter, konjunkturbremsender Effekt.

Ist die Vertrauenskrise im Bankensektor gebannt?

Auch wenn man sich noch nicht sicher sein kann, dass die Vertrauenskrise in den Bankensektor bereits ausgestanden ist, hat sich das schnelle Eingreifen der Behörden bislang positiv ausgewirkt. Auch in der Eurozone steht der Bankensektor im Unterschied zur Finanzkrise 2008/2009 heute auf einem solideren Fundament. Trotz der niedrigen Zinsen ist keine Kreditblase entstanden, das Kreditwachstum betrug in den letzten Jahren im Durchschnitt nur vier Prozent. Zudem verfügen Banken heute über deutlich bessere Liquiditätskennzahlen und Kapitalquoten als es vor 15 Jahren der Fall war.

Wie sind Kunden in den USA bei Bankenpleite geschützt?

Um die Kunden im Falle einer Bankenschieflage zu schützen, sind in den USA Einlagen bis 250.000 USD pro Anleger versichert. Bei uns in Deutschland gibt es dagegen ein noch umfangreicheres, zweistufiges Sicherungssystem:

  • Zum einen die gesetzliche Einlagensicherung bis 100.000 €, zum anderen gehören die meisten Institute einer zusätzlichen, freiwilligen Einlagensicherung an.
  • Bei den privaten Banken sind in der Regel Einlagen in Höhe von mindestens 750.000 € geschützt, in vielen Fällen sind es sogar bis zu 5 Mio. € für private Sparer und bis zu 50 Mio. € für Unternehmen.

Keine Zinssenkungen in den USA und in der Eurozone in diesem Jahr

Vieles spricht derzeit dafür, dass die negativen wirtschaftlichen Effekte der Bankenkrise begrenzt bleiben und es nicht zu dem befürchteten „credit crunch“ kommt. Dennoch werden die Bäume aus konjunktureller Sicht in diesem Jahr nicht in den Himmel wachsen.

Noch profitieren Unternehmen jedoch von ihren Auftragsbeständen und private Haushalte von ihren Ersparnissen.

Dies ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass die Inflationsraten nur sehr langsam sinken. In der Eurozone haben viele Wirtschaftsdaten in diesem Jahr positiv überrascht. So sind in Deutschland die Industrieproduktion, Auftragseingänge und die Exporte zu Jahresbeginn kräftig angestiegen, sodass die Wahrscheinlichkeit eines negativen Wirtschaftswachstums im ersten Quartal deutlich abgenommen hat.

Schwächere Dynamik am US-Arbeitsmarkt

In den USA ist das Bild kritischer, die meisten Frühindikatoren entwickeln sich derzeit rückläufig, auch am Arbeitsmarkt schwächt sich die Dynamik ab. Dies hat zuletzt die Sorgen vor einer bevorstehenden Rezession geschürt. Wir würden die aktuellen Daten jedoch im Moment nicht überbewerten.

Die schlechtere Stimmung der US-Unternehmen im März könnte auf die Turbulenzen im Bankensektor zurückzuführen sein.

Die Abschwächung am Arbeitsmarkt ist sogar positiv zu bewerten, da (endlich) der von der Notenbank gewünschte Effekt, der auf das Verhindern einer Lohn-Preis-Spirale abzielt, einzutreten scheint. Solange es bei einer leichten Abkühlung bleibt, ohne dass die Arbeitslosigkeit massiv ansteigt, würde dies die Chancen auf eine „sanfte Landung“ der US-Wirtschaft erhöhen.

Aus diesem Grund rechnen wir mit einer weiteren Zinserhöhung in Höhe von 25 Basispunkten auf der nächsten FOMC-Sitzung am 3. Mai – obwohl die PCE-Kerninflationsrate erstmals seit der Corona-Pandemie wieder unterhalb des Leitzinses liegt.

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Oder was macht die Fed dieses Jahr?

Im Unterschied zu den meisten Marktteilnehmern, die im weiteren Verlauf des Jahres mit bis zu drei Zinssenkungen rechnen, gehen wir davon aus, dass die Fed die Zinsen vorerst unverändert lassen wird. Schließlich war der reale Leitzins vor einer ersten Zinssenkung in der Vergangenheit immer deutlich höher als heute (Ausnahme 2019), in der Regel lag er zwischen zwei und drei Prozent.

Noch wichtiger ist, dass die PCE-Kerninflationsrate seit den 1990er Jahren im Vorfeld der ersten Zinssenkung bei etwa zwei Prozent lag, häufig sogar darunter.

Da die Kerninflationsrate in diesem Jahr die Zwei-Prozent-Marke nicht erreichen wird, werden die vom Markt erwarteten Zinssenkungen wohl ausbleiben – so schnell wird die Fed nicht die weiße Fahne hissen.

Ähnlich sieht es in der Eurozone aus

Die EZB dürfte ihren Leitzins noch mindestens ein weiteres Mal in diesem Jahr um 25 Basispunkte anheben, vermutlich auf der nächsten Sitzung am 4. Mai. Darüber hinaus ist aus heutiger Sicht eine weitere Erhöhung um 25 Basispunkte am 15. Juni wahrscheinlich, ehe auch die EZB dann für den Rest des Jahres eine Zinspause einlegen dürfte.

Expansivere Geldpolitik in den Industrieländern ab 2024, in den Schwellenländern vermutlich früher

Solange es zu keiner Rezession kommt, dürften die meisten Notenbanken in den Industrieländern mit Blick auf die immer noch zu hohen Inflationsraten das Thema Zinssenkungen erst im nächsten Jahr auf die Agenda nehmen. Sobald absehbar ist, dass sich die Preissteigerungsraten, vor allem auch die Kernrate, wieder in Richtung zwei Prozent bewegt, werden die Zinsampeln von gelb auf grün springen. In den USA könnte die Federal Reserve den Leitzins 2024 um rund 200 Basispunkte auf etwa drei Prozent reduzieren, in der Eurozone sind im nächsten Jahr Zinssenkungen zwischen 50 und 100 Basispunkten denkbar. Insofern stimmen wir mit der grundsätzlichen Richtung der heutigen Markterwartungen überein, erwarten aber ein späteres Einsetzen der Zinssenkungen.

Was passiert, wenn unser Szenario aufgeht?

Geht unser Szenario auf, dürfte sich die hohe Volatilität an den Anleihemärkten zunächst fortsetzen. Grundsätzlich sollte sich aber die Erwartung niedrigerer Leitzinsen positiv auf die Entwicklung der Anleihenkurse auswirken.

Bleibt eine Rezession aus, werden sich Unternehmensanleihen besser als Staatsanleihen entwickeln.

Auch für die Aktienmärkte wäre ein Szenario sinkender Zinsen bei einer ausbleibenden (oder allenfalls einer kurzen und moderaten) Rezession positiv zu beurteilen. Die Prognosen für die Unternehmensgewinne würden in diesem Fall stabil bleiben, gleichzeitig gäbe es Rückenwind von der Bewertungsseite (obwohl vor allem US-Aktien bereits teuer sind; für europäische Titel gilt dies aber nicht). Dies spricht auch dafür, in den kommenden Monaten stärker auf Growth-Aktien als auf Value-Titel zu setzen.

Was machen die Notenbanken in den Schwellenländern?

Im Unterschied zu den Industrieländern haben die Notenbanken in den Schwellenländern den Zinserhöhungszyklus deutlich früher eingeläutet, nun dürften sie auch diejenigen sein, die ihn als erstes wieder beenden. So liegen die Leitzinsen in vielen Ländern Lateinamerikas deutlich über der Inflationsrate, so beispielsweise in Brasilien oder in Mexiko. Die brasilianische Notenbank hat ihren Leitzins, die Selic-Rate, im August letzten Jahres zuletzt erhöht; damals lag die Inflationsrate noch über der Marke von zehn Prozent. Spätestens bei einem Unterschreiten der Marke von fünf Prozent dürfte die Zentralbank ihre Geldpolitik wieder lockern. Insofern könnten Emerging-Market-Bonds im Laufe dieses Jahres überdurchschnittliche Kursgewinne erzielen.

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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