Frankfurt, New York, Tokio, … Wir haben ein Problem!

An den Aktenmärkten dominieren weiterhin die negativen Vorzeichen. Auch wenn es an einzelnen Tagen zu kräftigen Kurserholungen kommt, ist der vorherrschende Trend abwärts gerichtet. Wo könnte der DAX seinen Boden finden und was bedeutet dies für die Anlagestrategie?

Hohe Inflationsraten, eine restriktivere Geldpolitik, steigende Zinsen, der Krieg in Europa sowie Corona-Lockdowns in China fordern in diesem Jahr ihren Tribut. Anleger benötigen in diesen Zeiten Nerven wie Stahlseile – und Geduld, denn eine schnelle Trendwende zum Besseren ist noch nicht absehbar. Der MSCI World Aktienindex liegt seit Jahresanfang mittlerweile mehr als 20 Prozent im Minus, der die besonders nachhaltigen Unternehmen abbildende MSCI World SRI Index hat sogar fast 25 Prozent an Wert verloren.

Kursverluste, gestiegenen Zinsen: Zeit, um Aktien zu kaufen?

Die Kursverluste sind bisher vor allem auf die deutlich gestiegenen Zinsen zurückzuführen, auf die Growth-Aktien mit hohen erwarteten Wachstumsraten besonders sensibel reagieren. Höhere Zinsen bedeuten, dass sich der Diskontierungsfaktor für die zukünftigen Gewinne erhöht und deren Barwert sinkt. Niedrigere Bewertungsmultiplikatoren sind die Folge.

Die in diesem Jahr zu verzeichnenden Kursverluste sind darauf zurückzuführen, dass die Kurs-Gewinn-Verhältnisse deutlich gefallen sind. So liegen US-amerikanische Technologieaktien, die in den vergangenen Jahren die beste Wertentwicklung aufwiesen und die Aktien-Hausse angeführt haben, seit Jahresbeginn mit 30 % im Minus, weil sich deren KGV von 30 auf 20 reduziert hat.

Die gute Nachricht: Waren Aktien in den vergangenen Jahren historisch gesehen hoch bewertet und teuer, ist dies mittlerweile nicht mehr der Fall. US-Aktien sind so bewertet wie im Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre, europäische Indizes wie der DAX oder der Stoxx 50 Europe sind sogar deutlich günstiger zu haben.

Dennoch bedeutet dies nicht automatisch, dass dies schon wieder Kaufkurse sind.

Solange die Zinsen steigen, bleiben die Bewertungen unter Druck.

Man sollte derzeit davon ausgehen, dass die Notenbanken, die in den vergangenen Jahren immer die besten Freunde der Anleger waren, weil in jeder sich anbahnenden Krise die Geldpolitik gelockert wurde, nun zum größten Feind geworden sind. Inflationsbekämpfung hat die höchste Priorität, eine wirtschaftliche Abschwächung wird in Kauf genommen, und der Aktienmarkt spielt zumindest für den Moment keine Rolle im geldpolitischen Kalkül.

DAX, S&P 500: Wie sind die Gewinnerwartungen 2022 und 2023?

Hinzu kommt eine noch viel größere Krux: Angesichts des sich verdüsternden Konjunkturszenarios dürften die Erwartungen für die Unternehmensgewinne in diesem und im nächsten Jahr zu optimistisch sein. Für die DAX-Unternehmen haben die Unternehmensanalysten ihre Gewinnprognosen bis zuletzt angehoben. Anfang des Jahres wurde für 2022 ein Zuwachs von vier Prozent erwartet, mittlerweile sind es gut sechs Prozent, 2023 wird unverändert mit einem weiteren Anstieg von knapp zehn Prozent gerechnet.

Ähnlich ist es beim S&P 500, dort wird mit einem Gewinnanstieg von jeweils zehn Prozent in diesem und im nächsten Jahr gerechnet. Aber wie realistisch sind diese Erwartungen?

Einerseits spiegelt sich in den Schätzungen die höhere Inflation (hierin kommt explizit der Inflationsschutz, den Aktien in Zeiten wie diesen bieten, zum Ausdruck) und andererseits die stabilen oder sogar besseren Gewinnmargen der Unternehmen wider.

Auch wenn die Gewinnschätzungen in den großen Indizes noch stabil sind, zeigt sich unter der Oberfläche und auf Branchenebe viel Bewegung. In den USA, wo die besten und aussagekräftigsten Datensätze zur Beurteilung von veränderten Prognosen auf Brancheneben vorliegen, sind die Prognosen in den konsumnahen Sektoren deutlich reduziert worden, gleiches ist auch im Kommunikationssektor und bei den Technologieaktien zu beobachten. Auf Indexeben wird dies durch sehr positive Gewinnrevisionen in den Branchen Energie und Rohstoffe ausgeglichen.


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Konjunktur: Deutsche Wirtschaft auf dem Weg in die Stagflation

Was die Gewinnerwartungen jedoch nicht berücksichtigen, ist ein negativeres Konjunkturszenario. Das Schreckgespenst der Stagflation ist mittlerweile zur Realität geworden, und den Unternehmen dürfte es schwerer fallen, die Preise auf die Abnehmer zu überwälzen. In Deutschland ist die Wirtschaft im ersten Halbjahr auf der Stelle getreten, und die Hoffnung auf ein besseres zweites Halbjahr ist verflogen.

In der bevorstehenden Urlaubssaison werden wir es uns nochmal gutgehen lassen und viel Geld ausgegeben, aber danach dürften die Kassen ziemlich leer sein. Schließlich sinken die real verfügbaren Einkommen so stark wie seit der deutschen Wiedervereinigung nicht mehr. Aus diesem Grund reduzieren wir unsere Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr von 2,2 auf 1,7 Prozent. Ohne den statistischen Überhang von 1,1 Prozentpunkten käme dies fast einer Stagnation gleich.

Für 2023 rechnen die meisten Konjunkturbeobachter mit einer Wachstumsbeschleunigung, doch scheint uns dies keine realistische Annahme zu sein. Die hohen Inflationsraten werden sich bremsend auf den Konsum auswirken, hinzu kommen höhere Zinsen und schlechtere Finanzierungsbedingungen. In Europa herrscht zudem Unsicherheit über die Sicherheit unserer Energieversorgung.

Mit anderen Worten: Die Rezessionsrisiken nehmen zu, nicht nur bei uns, sondern weltweit.

Aus diesem Grund gehen wir für 2023 von einem Wachstum des deutschen realen Bruttoinlandsproduktes von nur 0,9 Prozent aus. Gegen ein noch pessimistischeres Konjunkturszenario sprechen im Moment Frühindikatoren, wie der Ifo Geschäftsklimaindex oder die Einkaufsmanagerindizes, wobei das Risiko besteht, dass sich diese in den nächsten Monaten abschwächen.

Zwar sprechen die mehrheitlich soliden Bilanzen der Unternehmen, die geringe Verschuldung der meisten Privathaushalte sowie die immer noch hohe Nachfrage nach Arbeitskräften in den USA und in der Eurozone gegen einen starken wirtschaftlichen Abschwung, doch selbst für den Fall einer Stagnation oder einer milden Rezession dürften die derzeitigen Gewinnerwartungen zu optimistisch sein.

Aktienmärkte unter Druck

Die Aktienmärkte stehen somit derzeit von zwei Seiten unter Druck:

  • Höhere Zinsen aufgrund einer restriktiveren Geldpolitik führen zu geringeren Bewertungsmultiplikatoren,
  • und die sich abschwächende Wirtschaft bringt die Gewinnerwartungen unter Druck – ein perfekter Sturm.

Trotz der bereits hohen Kursverluste an den Aktienmärkten raten wir im Moment weiterhin zur Vorsicht.

Der DAX dürfte in absehbarer Zeit nochmal seinen Jahrestiefstand bei rund 12.400 Punkten in Angriff nehmen. Sollte dieses Niveau nicht halten, stellt der Buchwert bei knapp 10.000 Punkten im Worst-Case-Szenario die entscheidende Auffanglinie dar. Diese hat in den beiden großen Abschwüngen im Jahr 2002 und 2008 als untere Begrenzung gehalten, spätestens dann muss man die Aktienquote wieder erhöhen. Da man den unteren Wendepunkt ohnehin nur mit Glück erwischen wird, sollte man auch in dieser Marktphase ein Basisportfolio aus wenig konjunkturabhängigen Aktien mit guter Preissetzungsmacht halten.

Kommt es nicht zu einer Rezession oder bildet sich die Inflation schneller als momentan erwartet wieder zurück, würde dies den Weg für eine deutliche Kurserholung ebnen. Hat man dann keine Aktien im Depot, läuft man der Erholung hinterher. Zudem gilt auch in dieser schwierigen Marktphase: Langfristig dominiert an den Aktienmärkten der Aufwärtstrend. Bislang wurden alle in Krisenzeiten entstehenden Kursverluste wieder aufgeholt und Anleger dafür entschädigt, durch ein Tal der Tränen zu gehen. Wir sind überzeugt davon, dass es auch diesmal so sein wird.

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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