Fed senkt Leitzins und erteilt damit EZB eine Lehrstunde

Die US-amerikanische Notenbank hat gestern die Leitzinsen um 50 Basispunkte gesenkt. Damit liegt der Zielkorridor für die Fed Fund Rate bei 4,75%-5,0%. Außergewöhnlich an dieser Entscheidung war, dass sie nicht einstimmig getroffen wurde. Michelle Bowman, die der Fed seit 2018 angehört, sprach sich nur für eine Leitzinssenkung von 25 Basispunkten aus. Das ist in gewisser Weise ein erstaunlicher Vorgang, da seit nahezu 20 Jahren in der Fed Zinsentscheidungen einstimmig getroffen wurden.

Auch der Markt war sich nicht einig

Die offensichtlichen Differenzen in der Einschätzung der geldpolitischen Lage innerhalb der Fed waren allerdings auch ein Spiegelbild dessen, was am breiten Markt zu beobachten war, da auch hier kein Konsens bezüglich der anstehenden Entscheidung herrschte. Auch die Tatsache, dass es der Fed zuvor nicht gelungen war, den Markt mit einer hinreichenden Klarheit auf eine deutlichere Zinssenkung vorzubereiten, deutet darauf hin, dass sich der Fed-Chef Powell vor Beginn der sog. Blackout Period, die am 7.9. gestartet war, noch nicht einer Mehrheit der Stimmen für eine deutlichere Zinssenkung sicher sein konnte.

Wie ist die Entscheidung der Fed nun zu würdigen?

Aus unserer Sicht ist der größere Zinsschritt gut begründet. Wie die volkswirtschaftlichen Projektionen der Fed-Mitglieder zeigen, haben sich seit der letzten Sitzung im Juni kleine, aber doch bedeutende Verschiebungen in der Einschätzung wichtiger Kennzahlen ergeben. So wurde im Median das erwartete reale BIP-Wachstum für 2024 marginal nach unten revidiert, und die Erwartungen für die Arbeitslosenquote wurden im Trend nach oben revidiert. Gleichzeitig wurde der erwartete Pfad für die Entwicklung der Inflationsrate wiederum nach unten revidiert. Da ist es nüchtern betrachtet fast schon logisch, einen ersten Zinsschritt eher groß als klein ausfallen zu lassen, zumal man mit diesem ersten Schritt keinen fürchterlichen Fehler begehen kann.

Denn der inflations- und konjunkturneutrale Zins liegt dramatisch unter dem aktuellen Zinssatz.

Und wenn auch kein Mensch auf diesem Planeten exakt weiß, wo dieser neutrale Zins liegt, so steht doch fest, dass auch nach dieser Zinssenkung die Geldpolitik immer noch restriktiv sein wird. Und somit gibt es gerade am Beginn von Zinssenkungszyklen gute Gründe, etwas stärker zu schießen, und genau das hat die Fed gemacht. Für diesen Mut muss man die Fed ein wenig bewundern, denn man hätte vor einigen Tagen auch noch argumentieren können, dass genau so ein Schritt gefährlich sein könnte. Denn in einer Welt, in der vor zehn Tagen die Märkte mehrheitlich eher noch von einem kleinen Zinsschritt ausgegangen waren, hätte man auch Angst davor entwickeln können, dass ein zu deutlicher Zinsschritt die Marktteilnehmer sogar verschreckt.

Eine Notenbank muss geldpolitische Richtung vorgeben

Allerdings würde in dieser Logik der Schwanz mit dem Hund wackeln. Am Ende muss jedoch die Notenbank die gelpolitische Richtung vorgeben, nicht die Märkte. Es darf nicht sein, dass man richtige Entscheidungen unterlässt, nur weil sie vielleicht für ein paar Stunden von Märkten falsch interpretiert werden könnten.

Am Ende ist die Fed dem Wohlergehen des Landes verpflichtet und nicht der möglichst reibungslosen Verarbeitung von Informationen an den Märkten.

Es ist erfrischend zu sehen, dass sich die Fed diesem Motto immer noch verpflichtet fühlt. Das muss allerdings nicht heißen, dass man trotzdem nicht meisterlich darin ist, mit den Märkten zu kommunizieren, wenn es wirklich darauf ankommt. Und da war die gestrige Pressekonferenz von Jerome Powell ein Lehrstück, auch und vor allem für die EZB und ihre Chefin Christine Lagarde. Denn Lagarde neigt dazu, in technokratischen Floskeln zu reden und im entscheidenden Moment eher zu kneifen, wenn Handeln angesagt wäre.

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Es hat dagegen richtig Spaß gemacht, dem Fed-Chef zuzuschauen

Wie er Geldpolitik erklärt und mit jeder Faser seines Körpers Geldpolitik lebt. Statt blutleerer und teilweise abgedroschener, reflexhafter Phrasen erkannte man mit jedem Satz einen Praktiker, der versucht, Journalisten und letztlich Märkten die Tücken der Geldpolitik ganz ehrlich zu erklären, um sie für alle Eventualitäten und diverse denkbare Szenarien vorzubereiten.

Schön war z.B. der Moment, wo er einem Journalisten erklärte, dass man jetzt noch keine Zinspfade antizipieren kann, die eines Tages beim neutralen Zins auslaufen.

Kein Mensch weiß, wo dieser Zins in Zukunft sein wird. Vermutlich merke man zwar ab einem gewissen Punkt, wann man diesem Zins nahe sei, aber das sehe man erst dann, wenn es passiert. Bis dahin gleicht der Weg zuweilen auch einem Pfad mit trial and error, bei dem man sich eher tastend nach vorne bewegt. Daher solle man auch den Dot-Plot der Fed-Mitglieder nicht zu ernst nehmen.

Der Dot-Plot wird seiner Meinung nach überschätzt

Schon fast etwas despektierlich beschrieb er das Zustandekommen dieser Punktegrafiken, an denen man indirekt ablesen kann, welchen Zinspfad die Fed-Mitglieder für angemessen halten. Nicht ganz zu Unrecht wies er darauf hin, dass alleine schon die gewaltige Spannweite der Schätzungen und Erwartungen zwischen den Fed-Mitgliedern ein Hinweis auf die gewaltige Unsicherheit seien, so dass man hier nicht zu viel hineininterpretieren dürfe. Auch als Anleger wäre man bei nüchterner Betrachtung in den letzten Jahren nicht immer gut damit gefahren, zu viel in die Entwicklung oder das Niveau von Dot-Plots zu interpretieren. Denn Geldpolitik folgt nicht in dem Maße akademisch planbaren Mustern, so wie viele das fälschlicherweise denken.

Die Kunst der Geldpolitik: Mehr als nur Theorie

Geldpolitik beruht zweifellos auf geldtheoretischen Überlegungen, aber angesichts unsicherer Daten und nicht immer perfekt erklärbarer ökonomischer Zusammenhänge (schwankende Stimmungen und psychologische Effekte sind nie zu unterschätzen) gleicht Geldpolitik zuweilen nicht nur einer Wissenschaft, sondern auch einer Kunst. Das zumindest mal indirekt zu kommunizieren ist für sich genommen schon eine Leistung und zeugt von großem Realitätssinn und auch großer Souveränität, denn man nimmt sich nicht wichtiger als man ist.

Jerome Powell versucht wie ein Arzt die richtige Dosis zu finden

Wenn Jerome Powell versucht, die (manchmal wenig zielführenden) Fragen von Journalisten zu beantworten, dann erinnert er zuweilen an einen Arzt, der seinem Patienten erklärt, dass er die Krankheit im Prinzip gut verstanden hat, aber die Wahl und die Menge der Medikation von Mal zu Mal auch zu einem gewissen Grad „ausprobiert“ werden muss, um die optimale Dosis zu finden. Aber so wie ein Arzt sich niemals dem Vorwurf aussetzen will, nicht alles Notwendige probiert zu haben, agiert auch die Fed nach dem Motto, möglichst nicht „hinter die Kurve“ fallen zu dürfen.

Und Powell hat gestern selbst zugegeben, dass genau das passiert wäre, wenn man jetzt nicht mutig und entschlossen die Leitzinsen um 50 Basispunkte gesenkt hätte.

Und er betonte nochmal explizit, dass dieser Fehler nicht passieren dürfe. Nun kann man sich trefflich darüber streiten, ob er mit dieser Bemerkung auch schon die Basis für den nächsten 50-Basispunkte-Schritt gelegt hat. Der Autor dieser Zeilen hatte bei der gestrigen Pressekonferenz für eine Sekunde den Eindruck, dass er das damit implizit sagen wollte. Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass es für einen derartigen Schritt derzeit noch keine Mehrheit im Fed-Gremium geben würde.

Zudem war Powell so geschickt, auch diverse fundamentale Gründe zu nennen, warum auch ein folgender 25-Basispunkte-Schritt angemessen wäre.

Schließlich sei zwar die Arbeitslosigkeit gestiegen, aber die Wirtschaft und auch der Arbeitsmarkt befänden sich nach wie vor in einer sehr robusten und guten Verfassung, was ja auch stimmt. Wie vertrackt die Sache im Detail werden kann zeigte sich gestern in der Pressekonferenz, als ein kritischer Journalist danach fragte, warum die Fed ein insgesamt nach wie vor moderat optimistisches Bild für den Arbeitsmarkt habe. Teil der Antwort war der, dass die Fed mit ihrer Geldpolitik ja auch dafür sorge, dass es so kommen wird.

Wie schwer Geldpolitik in der Praxis ist

Die hier indirekt geäußerten Interdependenzen zeigen, wie schwer Geldpolitik in der Praxis ist, denn mit seiner Geldpolitik beeinflusst man ja die Daten, die man wiederum als Grundlage für seine Arbeit nutzt. Das macht die Bestimmung eines angemessenen Zinses zu einem sehr dynamischen Problem, und vermutlich weiß tatsächlich Jerome Powell zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht, welche Zinsänderung er am 6.11. (zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl) auf der nächsten Sitzung favorisieren wird.

Was wir aber jetzt schon wissen ist, dass auch die Entscheidung mit Mut und gelebter Unabhängigkeit erfolgt – ohne den Anspruch, es allen Recht zu machen.

Aber immer im ehrlichen Bestreben, möglichst nicht hinter die Kurve zu fallen. Das sollte auch die EZB versuchen; man könnte hier viel von der Fed lernen.

Foto by unsplash Jan Tinneberg

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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