EZB: Keine Sorge vor Verschuldung!

Die EZB-Präsidentin hat Staaten relativ unverblümt dazu aufgerufen, weiterhin eine extrem expansive Fiskalpolitik zu betreiben. Für eine Notenbank ist das eine vergleichsweise untypische Forderung. 

Ein Perpetuum mobile ist eine Maschine, die ohne Energiezufuhr von außen kontinuierlich laufen kann. Da eine solche Konstruktion gegen den ersten Hauptsatz der Thermodynamik verstößt, kann und wird es eine solche Maschine niemals geben. Trotzdem ist das Internet voll von zweifelhaften und oftmals esoterisch angehauchten Erfindungen, die alle den Anspruch haben, wie ein Perpetuum mobile zu funktionieren.

Ein besonderer Grund zu Aufregung ist das allerdings nicht; in den meisten Fällen handelt es sich hierbei nicht um Betrugsfälle, sondern eher um harmlose Spinnereien.

Die Refinanzierung von Staaten der Notenbanken

Kritischer zu beurteilen ist dies möglicherweise bei einem „Perpetuum mobile“ anderer Art. Dabei geht es um den scheinbaren Pakt, den Notenbanken mit Staaten geschlossen haben, um die Refinanzierung von Staaten dauerhaft und teilweise losgelöst von ökonomischen Grundgesetzen sicherstellen zu können. Üblicherweise müssen Staaten im Blick behalten, dass eine überbordende Verschuldung zu einer Bonitätsverschlechterung führt, die wiederum Zinsen steigen lässt und die Refinanzierung erschwert.

Aus diesem Grund tun sich Staaten unter normalen Bedingungen keinen Gefallen, die Verschuldung zu schnell steigen zu lassen, da dies die zukünftige Verschuldung durch die steigenden Zinsen überproportional „teuer“ werden lässt. Dieser Mechanismus scheint nun aber durchbrochen zu sein, da spätestens mit Beginn der Corona-Krise die EZB (wie auch die US-Notenbank) eine Art Blankocheck ausgestellt hat und im Zweifel immer als Käufer von Anleihen auftreten wird.

Und damit ist eine Art Perpetuum mobile geschaffen worden

Der Staat begibt Anleihen, die von Notenbanken gekauft werden, die dafür das notwendige Geld „schöpfen“ – ein eleganteres Wort für das Drucken von Geld. Dieses Spiel kann zunächst endlos gespielt werden, schließlich hat eine Notenbank per Definition das Potenzial und die Fähigkeit, unendlich Geld zu schöpfen.

Existiert also doch zumindest im Finanzbereich ein Perpetuum mobile?

Und könnte dieses im Gegensatz zu seinem physikalischen Bruder tatsächlich endlos funktionieren?

Ein Blick auf die Faktenlage

In der Corona-Krise wurden die Staatsausgaben weltweit innerhalb kürzester Zeit so stark angekurbelt wie nie zuvor in einem solch kurzen Zeitraum. Im Durchschnitt haben die 20 größten Volkswirtschaften etwa in Höhe von sechs Prozent des BIP zusätzliche Ausgabenprogramme getätigt oder aber auf Steuereinnahmen verzichtet. Gleichzeitig wurden noch einmal im Umfang von weiteren sechs Prozent der Wertschöpfung Kredite vergeben und Eigenkapitalhilfen bereitgestellt.

Nur zum Vergleich: In „normalen“ Krisen bewegen sich solche Werte vielleicht bei zwei Prozent des BIP, nie aber in derart hohen Dimensionen. Zumindest der angedachte Effekt wurde damit erreicht: Weltweit sind die Geschäftsklimaindikatoren ab Mai wieder sprunghaft nach oben geschossen und fangen erst jetzt an, im Anstieg abzuflachen. Ein gutes Beispiel dafür ist der wöchentliche US-Aktivitätsindex der New Yorker Fed, der das US-BIP-Wachstum (mit einer kleinen Fehlermarge) in Echtzeit abbildet und nun etwa die Hälfte des Einbruchs schon wieder aufgeholt hat. Diese extrem expansive Fiskalpolitik hat selbstredend einen Preis: Eine dramatisch ansteigende Staatsverschuldung.

Und diese dramatisch ansteigende Staatsverschuldung ist nur deshalb kein drängendes aktuelles Problem, da auch die Notenbanken aus allen Rohren feuern und damit
die Refinanzierung der stark ansteigenden Verschuldung absichern. So ist in den USA die Fed-Bilanz seit Beginn der Corona-Krise in nahezu einmaliger Weise aufgebläht worden. Während es beispielsweise im QE-1-Programm nach der Lehman-Insolvenz 80 Wochen gedauert hat, bis Wertpapiere im Umfang von 1.500 Mrd. US$ gekauft worden waren, liegen wir nun schon 23 Wochen nach Beginn der Krise bei 2.500 Mrd. US$.

Europa: PEPP-Programm

In Europa ist das Bild sehr ähnlich. Das in der Krise aufgelegte (und wahrscheinlich gegen EU-Regeln und Gesetze verstoßende) PEPP-Programm bricht hinsichtlich der Aufkäufe von Anleihen sämtliche bisherigen Rekorde. Noch nicht einmal darin enthalten sind Finanzierungsgeschäfte für Banken (TLTROs) in Höhe von 1.000 Mrd. Euro seit März dieses Jahres.

Da kann es nicht überraschen, dass nun auch die Geldmengen weltweit rasch ansteigen.

Ein von uns erstelltes Modell, mit dem wir die globale Dynamik des Geldmengenwachstums bestimmen (bezogen auf die engen Geldmengenaggregate M0 und M1), liegt nun seit mehreren Monaten in Folge bei Werten von plus vier Standardabweichungen und mehr. Das sind extreme Werte, die in volkswirtschaftlichen Zeitreihen nur sehr selten vorkommen.

Das alles führt nun dazu, dass das Perpetuum mobile der Geld- und Fiskalpolitik zunächst wirklich zu funktionieren scheint.

Die Staaten geben Geld aus, so als ob der Weltuntergang droht

… und die Notenbanken sorgen dafür, dass Staaten dieses Spiel scheinbar unendlich spielen können. Wer glaubt, dass diese Darstellung vielleicht ein wenig zu stark auf die Spitze getrieben wurde, sollte sich die Aussagen von Christine Lagarde auf der Zunge zergehen lassen. So hat die EZB-Chefin vor einigen Tagen tatsächlich dazu aufgerufen, dass Staaten ihre Staatsausgaben weiter steigern oder sehr hoch halten mögen. Denn die Zuversicht der Privatwirtschaft beruhe zu einem erheblichen Maß auf der Erwartung an staatliche Ausgaben. Eine großzügige Fiskalpolitik sei entscheidend, um Arbeitsplätze zu erhalten.

Nun könnte man diese Äußerung als etwas übereifrige Interpretation eines leicht trivialisierten John Maynard Keynes abtun, doch so leicht ist es nicht. Denn indem die Notenbank Staaten direkt zu einer steigenden Staatsverschuldung aufruft, gibt die Notenbank zumindest billigend ihre Unabhängigkeit auf. Schließlich begibt sie sich damit aktiv in die Rolle des „lenders of last resort“. Wer sich aber willentlich in diese Lage bringt, kann unmöglich noch frei und unabhängig agieren, sondern wird Teil des Systems.

Damit ist man tatsächlich nur einen kleinen Schritt von einer monetären Staatsfinanzierung entfernt, und die Modern Monetary Theory (MMT) lässt grüßen. Für Kapitalmärkte muss das zunächst nicht schlecht sein, da unmittelbare Risiken reduziert und Zinsen niedrig gehalten werden. Aber am Ende gilt auch in der Wirtschaft, was in der Physik gilt. Es gibt kein Perpetuum mobile, und es wird es nicht geben. Wer trotzdem an einer solchen Idee festhält, wird langfristig einen Preis dafür zahlen müssen. Und der besteht  vermutlich aus Inflation und Stagnation.

Foto: ©suschaa photocase.de
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Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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