Das Vermögen soll in der Familie bleiben
20. September 2023Oft ist das Thema „Erbe“ heikel, denn mit dem eigenen Tod, dem des Partners oder dem eines Verwandten beschäftigt sich niemand gerne. Doch gerade für Unternehmer ist es wichtig, sich frühzeitig um eine geregelte Nachfolge zu kümmern und ihr Erbe zu organisieren. Professor Dr. Christian Rödl , Vorsitzender der Geschäftsleitung und Gesellschafter von Rödl & Partner, und Klaus Sojer, Leiter Private Banking Deutschland bei M.M.Warburg & CO, sprechen über das Vererben von materiellen und immateriellen Werten.
Klaus Sojer: Herr Professor Rödl, Sie sind Geschäftsführender Partner bei Rödl & Partner und haben sich mit Ihrer global tätigen Rechtsberatung, Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung auf Familienunternehmen aus dem deutschsprachigen Raum spezialisiert. In welchen Situationen kommt bei Ihnen das Thema Erben und Vererben auf das Tableau?
Prof. Dr. Christian Rödl: Das Thema sprechen in der Regel wir selbst an – und zwar meist dann, wenn sich etwas an der Lebenssituation unserer Mandanten ändert.
Ein Testament sollte jeder Unternehmer haben, genauso wie Vorsorgevollmachten – eine für den unternehmerischen Bereich, eine für das private Vermögen und möglichst noch eine für die persönlichen Aspekte.
Von sich aus kommen die Mandanten am ehesten dann auf uns zu, wenn sich in ihrem Bekanntenkreis jemand um das Thema Vererben und Testament gekümmert hat. Dann drängen sich auch bei unseren Mandanten häufig die Frage nach der Nachfolge in der Unternehmensführung und einem Testament auf.
Sojer: Fällt Ihren Mandanten die Entscheidung für einen geeigneten Nachfolger in ihren Unternehmen leicht?
Rödl: Die Nachfolge ist für Unternehmer und Unternehmen eine sehr wichtige Entscheidung. Viele tun sich schwer damit. Sie müssen entscheiden, welches ihrer Kinder als Gesellschafter ins Unternehmen geht und ob überhaupt eines der eigenen Kinder die Führung des Unternehmens übernehmen soll. Zudem gilt es zu klären, wer welchen Anteil bekommt und wie möglichst alle gerecht berücksichtigt werden können.
Sojer: Sind das immer rationale Entscheidungen? Bei uns im Haus erleben wir oft, dass es gerade bei diesem Thema schnell emotional wird.
Rödl: Die Gespräche beginnen meistens rational und bleiben es oft über weite Strecken auch. Doch sobald es dann an die Entscheidungen geht, wird es sehr emotional, manchmal auch irrational.
Generationenunterschiede sind sichtbar
Sojer: Gehen die Generationen, der Unternehmer und die potenziellen Nachfolger, unterschiedlich mit derartigen Situationen um?
Rödl: Mandanten, die in ihren Vierzigern sind, beschäftigen sich unbefangener mit dem Thema. Für sie ist oft klar, dass es sich dabei um eine reine Vorsorge für den Notfall handelt. Ihre Situation wird allerdings erschwert, wenn sie minderjährige Kinder haben. Dann wollen sie sich noch nicht wirklich festlegen und können das vernünftigerweise auch noch gar nicht. Die Testamentsgestaltung wird dann deutlich komplexer. Dagegen weiß der 80-Jährige mit seinen erwachsenen Kindern: Er muss sein Testament machen und seine Angelegenheiten regeln. Wir hatten früher die Faustregel: Wenn einer mit 70 noch nicht geschenkt hat, dann wird er auch nichts mehr schenken. Das würde ich aber heute nicht mehr unterschreiben.
Sojer: Bei uns hatten wir vor kurzem den Fall, dass ein Mandant sagte: ‚Ich werde aus dem Grab heraus weiterregieren.‘ Kommt das auch bei Ihnen vor?
Rödl: So deutlich habe ich das noch nicht gehört. Aber ich gebe Ihnen Recht: Viele haben das Bedürfnis, ihre Werte wie auch ihre Unternehmenskultur weiterzugeben. Oft treibt unsere Mandanten die Sorge um, was mit ihrem Unternehmen passiert, wenn sie einmal nicht mehr sind. Gerade um Themen wie Kostendisziplin, schlanke Strukturen, familiäre Unternehmenskultur oder eine starke und stetige Unternehmensführung machen sich viele Unternehmer Gedanken.
Sojer: Hilft es bei der Übergabe, dass wir in einer disruptiven Zeit leben und sich viele Unternehmen und Geschäftsmodelle ändern? Weil Unternehmer erkennen, dass sich die Dinge ohnehin ändern werden – egal ob sie selbst am Ruder stehen oder ein Nachfolger?
Rödl: Es gibt in der Tat Mandanten, die sagen, es sei nicht mehr ihre Welt, damit meinen sie, es seien nicht mehr die Märkte, die sie seit Jahrzehnten kennen und vielleicht beherrschen. Nun sollen sich die anderen, die Jungen darum kümmern. Das ist aber eher die Ausnahme. Viele Unternehmer wünschen sich einfach, dass ihr Lebenswerk fortgeführt wird.
Sollte man in die Verwendung des eigenen Erbes eingreifen?
Sojer: Wie sinnvoll ist es denn aus ihrer Sicht überhaupt, sehr stark steuernd in die Verwendung des eigenen Erbes einzugreifen?
Rödl: Wir machen die Erfahrung, dass Mandanten diesen Wunsch hegen – sie versuchen aber in der Regel nicht, über das Testament Bedingungen aufzustellen. Viele möchten absichern, dass das Vermögen dauerhaft in der Familie bleibt. Doch dafür müssen viele Szenarien durchgespielt werden. Beispielsweise: Was passiert, wenn ein Vertreter der nächsten Generation vorzeitig stirbt, oder kinderlos bleibt?
Sojer: Was empfehlen Sie denn ihren Mandanten, die sich einen starken Einfluss auf ihr Unternehmen über ihren eigenen Tod hinaus wünschen? Wie sieht die optimale Planung in dieser Hinsicht aus?
Rödl: Wenn jemand wirklich dauerhaft Einfluss nehmen will, dann muss er eine Stiftung gründen, also in der Regel eine Familienstiftung. Nur auf diesem Weg kann er die Entwicklung und die Struktur des Unternehmens auch nach seinem Ableben dauerhaft beeinflussen. Eine Stiftung hat dabei immer Vor- und Nachteile. Die gilt es abzuwägen. Es gibt immer mehr Fälle, in denen die nächste Generation nicht die Nachfolge in der Geschäftsleitung antreten möchte. In dieser Situation werden eher andere Governance-Modelle gewählt.
Gerade für große, internationale Unternehmen braucht es den idealen Steuermann oder die ideale Steuerfrau – und diese Person findet man nicht unbedingt in einem Pool von einem bis drei Kandidaten.
Sojer: Wie häufig ist beim Gedanken an die Nachfolge auch der Verkauf, eventuell unter Einbindung von Private Equity ein Thema?
Rödl: Ein Unternehmensverkauf ist immer auch eine mögliche Variante der Unternehmensnachfolge. Wenn ein Unternehmer das in seiner Familie anspricht, wundert er sich heutzutage oft, wie positiv das Echo der jüngeren Generation ausfällt. Schließlich können strategische Käufer, aber durchaus eben auch Private-Equity-Investoren, aussichtsreiche Perspektiven für Unternehmen und Mitarbeiterschaft mitbringen.
Sojer: Was ist aus Ihrer Sicht der häufigste Fehler, den Vermögende begehen, wenn sie über ihren Nachlass nachdenken?
Rödl: Der gefährlichste Fehler für Unternehmer ist es, gar kein Testament zu machen, also das Thema erst gar nicht anzugehen oder zu verschleppen. Ansonsten wird öfter der Auslandsbezug nicht ausreichend berücksichtigt. Gerade bei größeren, stark international agierenden Unternehmen und bei der Internationalisierung der Familien ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor, der die Komplexität beträchtlich erhöht.
Kann das Testament nochmal geändert werden?
Sojer: Wie sehr ist ein Testament in Stein gemeißelt, wenn es einmal verfasst wurde?
Rödl: Jedes Testament ist letztlich temporär und muss irgendwann angepasst werden. Wir machen Testamente mit einem Gedankenhorizont von fünf Jahren. In diesem Turnus sollte es regelmäßig überprüft werden. Und wir fragen bei unseren Mandanten nach, sobald sich an der Lebenssituation etwas geändert hat – etwa bei einer Scheidung, einer Hochzeit oder neuen Kindern.
Sojer: Würden Sie sagen, es ist richtig, das Testament mit den Nachkommen offensiv zu besprechen, oder sollte es ein Geheimnis bleiben?
Rödl: Es kommt darauf an, wie alt die Kinder sind. Wenn sie bereits erwachsen sind, sollte es auf jeden Fall besprochen werden. Aber auch mit dem Ehepartner sollte immer gesprochen werden. Denn es ist schlimm, wenn bei einem Erbe Überraschungen auftreten. Gerechtigkeit ist ein großes Thema bei einem Testament. Um Streit zu vermeiden, ist es besser, wenn der Unternehmer bereits zu Lebzeiten seine Angelegenheiten ordnet.
Aus eigener Erfahrung gesprochen
Sojer: An welchen Fall aus Ihrer Vergangenheit erinnern Sie sich noch als „wäre er gestern gewesen“?
Rödl: Ehrlich gesagt an meinen eigenen. Mit unseren rund 5.000 Mitarbeitern und unseren eigenen Standorten in 50 Ländern sind wir ja ein typischer internationaler Mittelständler. Mein Vater ist 2015 verstorben und hatte vorher schon Anteile verschenkt. Da habe ich selbst am eigenen Leib mitbekommen, was Unternehmensnachfolge bedeutet – im Prozess mit meinem Vater, meinen Geschwistern, meiner Mutter.
Sojer: Sind sie auch von Mandaten auf Ihren eigenen Fall angesprochen worden – nach dem Motto „Der hat es selbst erlebt, der kann es“?
Rödl: Selten so direkt. Ich glaube aber tatsächlich, dass es in der Beratung ein Vorteil ist, selbst Erfahrungen mit dem Thema gemacht zu haben. Das gilt im Grunde für alle Bereiche unseres Geschäfts.
Klaus Sojer begann seinen beruflichen Werdegang 1983 mit einer Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Bayerischen Vereinsbank. Nach Traineeprogramm und Abendstudium an der VWA, welches er als Betriebswirt abschloss, wechselte er 1990 in die Vermögensverwaltungstochter der Bayerischen Vereinsbank zur Bethmann Vermögensbetreuung nach Frankfurt.
Nach einem vierjährigen Aufenthalt in Nürnberg übernahm er 1998 die Leitung der HVB Tochter Bethmann Bank in München. Im Jahr 2002 wechselte Herr Sojer in das Private Banking zu Sal. Oppenheim München, für welches er im Zeitraum 2008 bis 2012 zuständig war. Seit 10 / 2012 ist er für die Geschäftsstelle München und den Aufbau des Geschäftes in Bayern für Bankhaus M.M.Warburg & CO verantwortlich. Seit Mai 2021 leitet Herr Sojer das Private Banking Deutschland.
Kurz & knapp: Das ist Christian Rödl
Prof. Dr. Christian Rödl berät Familienunternehmen und deren Inhaber vorwiegend zur grenzüberschreitenden Struktur von Unternehmensgruppen sowie zur Unternehmens- und Vermögensnachfolge. Er ist Honorarprofessor an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg und lehrt Unternehmensnachfolge und Internationale Steuerplanung.
Auf diesen Gebieten ist er Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher und Fachaufsätze. Prof. Dr. Rödl absolvierte Jurastudium und Referendariat in Würzburg, Caen (Normandie), Nürnberg, Paris und New York (Abschluss als Master of Laws der Columbia University). Er war zunächst als Notarassessor im bayerischen Notardienst und anschließend bei einer großen amerikanischen Rechtsanwaltsgesellschaft tätig. 1999 trat er bei Rödl & Partner ein. Prof. Dr. Rödl ist Mitglied in mehreren Beiräten, Aufsichts- und Stiftungsräten. Er ist Vizepräsident der IHK Nürnberg für Mittelfranken. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags lud Prof. Dr. Rödl wiederholt als Sachverständigen zu Gesetzgebungsverfahren im Steuerrecht.
Hinweis: Das Interview wurde ursprünglich im März 2020 geführt.
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