Droht eine neue Finanzkrise?

Innerhalb weniger Tage sind in den USA zwei Banken Pleite gegangen oder geschlossen worden (Silicon Valley Bank und Signature Bank), während in der Schweiz am vergangenen Wochenende der Notverkauf der Credit Suisse an die UBS von den Behörden und der Finanzmarktaufsicht in die Wege geleitet wurde. Kein Wunder, dass sich nun viele Anleger:innen die Frage stellen, ob es wie 2008/2009 zu einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kommen wird. Auch wenn es auf den ersten Blick gewisse Parallelen zur damaligen Situation geben mag, sind die Ursachen der heutigen Entwicklungen anders gelagert.

Insolvenzen sind normal

Dass Banken insolvent und geschlossen werden, ist für sich allein genommen noch kein Anzeichen für eine verfehlte oder zu lasche Regulierung und damit für eine bevorstehende Krise des Finanzsystems. In den USA haben in den vergangenen knapp 100 Jahren fast jedes Jahr Finanzinstitute ihr Geschäft aufgeben müssen. Allein seit 1980 haben nach Angaben der US-Einlagensicherungsbehörde FDIC mehr als 3.500 Banken ihre Pforten geschlossen, seit 2001 gab es immerhin gut 570 Schließungen. Die meisten Insolvenzen gab es während der Savings-and-Loan-Sparkassenkrise sowie im Nachgang zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Schließlich trägt jede Bank – wie grundsätzlich auch jede andere Firma – ein unternehmerisches Risiko. Im Unterschied zu den meisten „normalen“ Unternehmen hat die Insolvenz einer Bank jedoch eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Untergang nicht nur mikro- sondern fast immer auch makroökonomische Auswirkungen hat. Seit 2015 ist die Zahl der Schließungen mit weniger als zehn pro Jahr dagegen äußerst gering, wobei 2018, 2021 und 2022 keine einzige Bank ausausgefallen ist. Dies hat sicherlich etwas mit den sehr niedrigen Zinsen und den damit verbundenen günstigen Refinanzierungsbedingungen zu tun, ist aber vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass die Regulierung sehr wohl ihre Wirkung zeigt.

Dies hat sicherlich etwas mit den sehr niedrigen Zinsen und den damit verbundenen günstigen Refinanzierungsbedingungen zu tun, ist aber vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass die Regulierung sehr wohl ihre Wirkung zeigt.

Finanzmärkte haben sich wieder entspannt

Mittlerweile haben sich die Wogen an den internationalen Finanzmärkten wieder geglättet, nachdem es noch am vergangenen Wochenende so aussah, als wenn für die Finanzmärkte großes Unheil drohen könnte. Mit etwas Abstand lässt sich nun gut zusammenfassen und einordnen, was in den letzten zwei Wochen passiert ist.

Spezifische Probleme bei der SVB

Die Turbulenzen der Silicon Valley Bank (SVB) sind auf ihr spezielles Geschäftsmodell zurückzuführen, das allerdings einen absoluten Spezialfall darstellt, der nicht für das gesamte US-Bankensystem repräsentativ ist. Aufgrund ihrer wenig granularen Kundenbasis hatte die SVB einen sehr hohen Anteil Einlagen, die nicht unter die staatliche Einlagensicherung von 250.000 US-Dollar pro Kunde fielen. Ende des Jahres 2022 lagen immerhin 94 Prozent der Einlagen oberhalb dieser Deckungsgrenze! Gleichzeitig hatte die SVB einen extrem hohen Anteil ihrer Kundeneinlagen in Wertpapiere investiert, vor allem in Anleihen mit langen Restlaufzeiten. Während die SVB in den letzten Jahren auf der Einlagenseite davon profitierte, dass sich Startups vor Finanzierungsrunden kaum retten konnten und dementsprechend ihre Einlagen immer weiter aufstockten, passierte im letzten Jahr genau das Gegenteil:

Die Zinsen stiegen, Finanzierungsrunden blieben aus und die schlechte Konjunktur führte zu einer hohen sog. Cash-Burn-Rate und damit zu einem beschleunigten Einlagenabzug.

Um ihren Verpflichtungen nachzukommen, musste die SVB Staatsanleihen, die noch mit ihrem Fälligkeitswert von 100 in der Bilanz standen, zu den deutlich gesunkenen Marktpreisen verkaufen. So wurden aus „Buchverlusten“ echte Verluste, die das Eigenkapital aufzehrten. Eine notwendige Kapitalerhöhung scheiterte, zudem sprach sich unter den Kunden herum, dass ihre Einlagen nicht versichert sind. Der drohende Bank-Run wurde innerhalb kürzester Zeit zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die zentrale Frage ist nun die, ob dieser Sachverhalt (der in abgemilderter Form noch bei einigen anderen Regionalanken beobachtet werden konnte), für das US-Finanzsystem symptomatisch und damit repräsentativ ist.

Bankeinlagen gehen zurück, aber das Schlimmste ist vermutlich schon vorbei

Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Wir denken, dass das nicht der Fall ist. Allerdings kann nicht so getan werden, als ob es ansonsten im US-Bankensystem gar keinen Stress gegeben hätte. Blickt man beispielsweise auf die Entwicklung der Einlagen bei den US-Banken, lässt sich am aktuellen Rand ein signifikanter Rückgang beobachten. Dieser ist darauf zurückzuführen, dass Einlagen von Tagesgeldkonten beispielsweise in Geldmarktfonds oder –ETFs sowie in andere Wertpapiere umgeschichtet wurden.

Abzüge der Einlagen im relativen Bild

Dieser Rückgang sieht allerdings dramatischer aus, als es tatsächlich der Fall ist. Denn hier darf nicht übersehen werden, dass Niveaueffekte eine Rolle spielen und manchmal zu verzerrten Wahrnehmungen führen, die erst bei einer Logarithmierung der Zeitreihe „entzerrt“ werden. Aus diesem Grund haben wir in einer zweiten Grafik nur die prozentualen Rückgänge der Einlagen gegenüber ihrem zuvor erreichten Höchststand aufgezeigt. Und spätestens hier kann man erkennen, dass in der Vergangenheit schon häufiger ähnliche Rückgänge beobachtet werden konnten, wobei allerdings der letzte ähnlich große Rückgang in der Finanzkrise stattgefunden hat.

Es gibt aber eine gute Nachricht: In der Vergangenheit waren die Rückschläge bei den Einlagen zeitlich immer begrenzt. Meistens dauerte es nur wenige Wochen, bis der Rückgang zu einem großen Teil schon wieder aufgeholt werden konnte. Mit der Erholung der Einlagen ging i.d.R. auch wieder eine Beruhigung der Märkte einher. Auch diesmal spricht viel dafür, dass es ähnlich kommen könnte.

2023 ist nicht 2008!

Hier sind aus unserer Sicht die wesentlichen Gründe, die dafür sprechen, dass sich der Sturm im Finanzsystem bald wieder legen dürfte:

  • Im Jahr 2008 gab es gewaltige Unsicherheiten bezüglich der Frage, wie Hypothekendarlehen und teilweise irrwitzig komplexe Derivate zu bewerten waren. Im Jahr 2023 leiden Banken zwar auch unter Buchverlusten, aber diesmal geht es i.d.R. um Staatsanleihen, deren Werthaltigkeit nicht in Frage steht.
  • Die Notenbanken agieren 2023 signifikant proaktiver als im Jahr 2008. Das lässt sich an US-Garantien für Einlagen genauso ablesen wie an dem neuen Bank Term Funding Program der Fed oder dem beherzten Eingreifen der Finma in der Schweiz. Auch implizite Garantien und Zusagen der EZB haben den Markt in den letzten Tagen beruhigt. Aus den Fehlern vorheriger Jahre wurde offensichtlich gelernt – teilweise ist das Agieren derart proaktiv, dass schon ordnungspolitische Fragen entstehen. Für die kurzfristige Stabilität des Finanzsystems sind ordnungspolitische Fragen jedoch weniger relevant.
  • Die US-Wirtschaft steht hinreichend solide da. Die Beschäftigung und die Löhne steigen, die „Überersparnisse“ aus der Corona-Krise bilden immer noch einen wertvollen Risikopuffer. In Europa verbessern sich viele Konjunkturdaten schon wieder – die Gefahr einer (scharfen) Rezession scheint gering zu sein. Die Gefahr einer Abwärtsspirale aus negativen finanzwirtschaftlichen und konjunkturellen Entwicklungen ist gering.
  • Der US-Immobilienmarkt zeigt keine Zeichen einer längerfristigen Schwäche. Relativ zur Größe der US-Bevölkerung wird in den USA viel zu wenig gebaut, und das Alter der Häuser in den USA hat den höchsten Wert seit dem Zweiten Weltkrieg. Leerstandquoten sind äußerst gering; folgerichtig sind Immobilienpreise zuletzt wieder angestiegen. Dementsprechend kann die Sparquote wieder fallen und die Konsumquote steigen, was die Wirtschaft stützt.
  • In Europa und auch den USA hat sich die Eigenkapitalausstattung der Banken seit 2009 deutlich verbessert, gleichzeitig ist der Anteil notleidender Kredite am gesamten Kreditgeschäft gering. Zudem ist der Quotient aus Krediten zu Einlagen gerade bei US-Banken immer noch deutlich niedriger als im Jahr 2008, obwohl der Wert in den letzten Monaten etwas angestiegen ist.
  • Die Aufregung um die Handhabung der sog. AT1-Anleihen war etwas verfrüht. Die komplette Abschreibung der AT1-Anleihen der Credit Suisse lässt sich so nicht eins zu eins auf vergleichbare Anleihen aus der Eurozone oder aus anderen Ländern übertragen. Die Gefahr einer Panikreaktion bei diesen Wertpapieren scheint gebannt.

Es bleibt volatil

Ist also alles wieder gut? Für diese Aussage ist es sicher noch zu früh. Kritisch stimmt, dass sich sowohl in den USA als auch in Europa die Bank Lending Standards, also die Finanzierungsbedingungen für Kreditnehmer, deutlich verschlechtert haben. Für die Konjunktur bringt das Belastungen mit sich, wenn weniger Kredite vergeben werden – auf der anderen Seite ist aber genau dies auch von Notenbanken gewollt, um die Inflation einzudämmen.

So werden sich Märkte in naher Zukunft wahrscheinlich im Spannungsfeld von hohen Inflationsraten, schwächeren Konjunkturdaten und weniger leistungsfähigen Banken bewegen.

Das spricht für höhere Volatilitäten an den Kapitalmärkten, aber nicht unbedingt für eine massive Korrektur. Zudem werden die Notenbanken in den kommenden Wochen und Monaten darauf achten, vorsichtig zu agieren und keinen Anlass zu bieten, einen neuen Schwächeanfall an den Märkten zu provozieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die jüngste Fed-Entscheidung vom 22. März: Zwar hielt die amerikanische Notenbank an ihrem geldpolitischen Kurs fest und erhöhte den Leitzins um 25 Basispunkte auf eine Spanne 4,75 bis 5 Prozent, jedoch schlug Fed-Präsident Jerome Powell sehr moderate Töne an und formulierte einen behutsameren geldpolitischen Ausblick. Der Markt verstand die Äußerungen als Indiz dafür, dass 50er-Zinsschritte quasi ausgeschlossen sind, Zinsanpassungspausen folgen und die Fed den Zinshöhepunkt nahezu erreicht hat.

Dass es aber für Zinssenkungen in diesem Jahr zu früh ist und die Markterwartungen im Hinblick auf die amerikanische Zinspolitik zu optimistisch sind, betonte Jerome Powell einmal mehr auf der letzten Fed-Sitzung und verwies auf weitere Zinserhöhungen, sofern die Inflation und insbesondere die Kerninflation nicht wie gewünscht fallen. Es wird sich zeigen, wer am Ende Recht behalten

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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