„Don’t fight the Fed!“ – Kapitalmärkte im Bann der Notenbanken
6. Januar 2023Das Kapitalanlagejahr 2022 wird man nicht so schnell vergessen. Geprägt wurde es von der Zinswende der Notenbanken. So erhöhte die US-Notenbank den Leitzins in sieben Schritten um 425 Basispunkte, und auch die Europäische Zentralbank beendete im vergangenen Jahr ihre expansive Geldpolitik mit vier Zinserhöhungen um insgesamt 250 Basispunkte.
Vor allem dem Anleihemarkt bekam diese Zinswende nicht: Sowohl Staats- als auch Unternehmensanleihen erlebten ein Blutbad mit mehrheitlich zweistelligen prozentualen Verlusten, die bei länger laufenden Anleihen umso höher ausfielen. So verlor eine 10-jährige Bundesanleihe im vergangenen Jahr rund zwanzig Prozent an Wert, bei einer 30-jährigen Bundesanleihe betrug das Minus sogar fast fünfzig (!) Prozent. Im Vergleich dazu fielen die Kursverluste bei vielen Aktien moderater aus.
Das neue Jahr beginnt erfreulicher an den Kapitalmärkten
Die ersten Handelstage des Jahres 2023 zeigten eine freundlichere Tendenz, sowohl Aktien als auch Anleihen starteten in das neue Jahr mit Kursgewinnen. Ursächlich hierfür waren die Inflationsraten aus einigen europäischen Ländern, die im Dezember stärker als erwartet gesunken sind. In Deutschland ging die Preissteigerungsrate von 10,0 auf 8,6 Prozent zurück, in Frankreich von 6,2 auf 5,9 Prozent und in Spanien von 6,8 auf 5,8 Prozent. Ausschlaggebend hierfür waren die Energiepreise. So ging der Preis für Öl der Sorte Brent im Monatsvergleich um fast 15 Prozent zurück, Benzin und Diesel verbilligten sich bei uns um knapp zehn Prozent. Zudem machte sich die staatliche Übernahme der monatlichen Zahlung für Erdgas und Fernwärme in Deutschland preisdämpfend bemerkbar, wobei aber nicht alle Privathaushalte von dieser Maßnahme profitierten.
Welche Faktoren sind für die Notenbankpolitik 2023 entscheidend?
Entscheidend für die Geldpolitik der Notenbanken im Jahr 2023 werden zwei Dinge sein: Zum einen werden die Zinsen von der konjunkturellen Lage beeinflusst. Die meisten Frühindikatoren haben sich im Verlauf der vergangenen Monate deutlich abgeschwächt, ein scharfer wirtschaftlicher Einbruch ist dennoch unwahrscheinlich. Dies liegt insbesondere an der Robustheit der Arbeitsmärkte. Ohne einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit, der sich im Moment weder in den USA noch in der Eurozone abzeichnet, ist ein starker Rückgang des privaten Konsums unwahrscheinlich. Dies wäre aber eine notwendige Voraussetzung für eine Rezession, die die Notenbanken zu einem Umdenken in Richtung einer expansiveren Geldpolitik veranlassen könnte.
Sowohl die Fed als auch die EZB messen der Bekämpfung der Inflation weiterhin oberste Priorität bei
Zum anderen, und dieser Aspekt ist der deutlich Wichtigere, haben die Federal Reserve und die EZB klargemacht, dass für ihre Geldpolitik die Bekämpfung der Inflation oberste Priorität hat. Angesichts von Inflations- bzw. Kerninflationsraten, die derzeit noch bei 10,1 und 5,0 Prozent in der Eurozone sowie von 5,5 und 4,7 Prozent in den USA liegen, sind weitere Zinserhöhungen deswegen vorprogrammiert. Die EZB dürfte auf ihren kommenden beiden Sitzungen am 2. Februar und am 16. März die Leitzinsen um mindestens 75, wenn nicht um insgesamt 100 Basispunkte erhöhen. Die US-Notenbank hat mit den im Dezember veröffentlichten „Summary of Economic Projections“ gezeigt, dass sie davon ausgeht, dass der Leitzins bis Ende 2023 um weitere 75 Basispunkte von aktuell 4,25 bis 4,5 Prozent auf 5 bis 5,25 Prozent angehoben wird.
Erst 2024 und 2025 ist nach der aktuellen Einschätzung der Fed mit Zinssenkungen von jeweils 100 Basispunkten zu rechnen.
Die Erwartungen der Marktteilnehmer haben sich von der Fed abgekoppelt
Hält die US-Notenbank an dieser Einschätzung fest und trifft sie ihre geldpolitischen Entscheidungen so wie angekündigt, könnte sich hieraus allerdings ein Problem für die Märkte ergeben, da diese sich mit ihren Erwartungen von der Notenbank abgekoppelt haben. So zeigen die Fed-Funds-Futures, dass der Markt zwar im Einklang mit der Fed Zinserhöhungen von jeweils 25 Basispunkten für die drei kommenden Sitzungen am 1. Februar, 22. März und 3. Mai erwartet, dann aber schon im September und Dezember Zinssenkungen von jeweils 25 Basispunkten für wahrscheinlich hält. Statt der Medianprognose der Fed von 5,1 Prozent erwarten die Marktteilnehmer also eine Lockerung der Geldpolitik auf 4,7 Prozent. Für Ende 2024 liegt die Prognose der Notenbank bei einem Leitzins von 4,1 Prozent, die Zinsfutures gehen dagegen nur von einem Zins von 3,5 Prozent aus.
„Don’t fight the Fed!“
Anleger/-innen sind normalerweise gut beraten, sich nicht gegen die Politik der Notenbanken zu stellen, nicht umsonst heißt eine bekannte Investmentphilosophie „Don’t fight the Fed!“. In dem jüngst veröffentlichten Protokoll der letzten Notenbanksitzung warnt die Fed dann auch nochmal mit offenen und deutlichen Worten davor, die Entschlossenheit der Zentralbank zu unterschätzen, den Leitzins für längere Zeit auf einem hohen Niveau zu belassen, um sicherzustellen, dass die Inflation wieder in Richtung der Zwei-Prozent-Zielmarke sinkt.
Anleger/-innen sollten die Entschlossenheit der Notenbanken nicht unterschätzen, die Leitzinsen länger auf einem höheren Niveau zu belassen.
Steigende Aktien- und Anleihekurse, wie sie zuletzt zu beobachten waren, führen zu einer Lockerung der finanziellen Bedingungen und könnten zu einer erneuten Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und der Nachfrage nach Arbeitskräften führen – mit ungewollten und negativen Auswirkungen auf die Inflationsrate.
„Participants noted that, because monetary policy worked importantly through financial markets, an unwarranted easing in financial conditions, especially if driven by a misperception by the public of the Committee’s reaction function, would complicate the Committee’s effort to restore price stability.“
Eine Erholung der Kapitalmärkte könnte aus Sicht der Notenbankmitglieder also dazu führen, die Zinsen noch stärker als angekündigt zu erhöhen und damit das Risiko einer schwerwiegenderen und länger anhaltenden Rezession zu vergrößern. Dies spricht unter Anlagegesichtspunkten im Moment dagegen, sich zu stark in risikobehafteten Wertpapieren zu engagieren und beispielsweise die Aktienquote deutlich zu erhöhen.
Selbst bei sinkender Inflation wird es noch dauern, bis die Notenbanken grünes Licht geben
Da sich allerdings die Anzeichen verstärkt haben, dass der Inflationsdruck schneller und stärker nachlässt, als es bislang erwartet wurde, steigen die Chancen, dass von Seiten der Geldpolitik in den kommenden Monaten doch Entwarnung gegeben werden kann. Die Lieferkettenprobleme lösen sich immer weiter auf, die Transportkosten sind gegenüber dem Vorjahr geradezu eingebrochen und angesichts hoher Lagerbestände nehmen viele Unternehmen hohe Preisabschläge in Kauf, um ihre Güter an den Mann und an die Frau zu bringen. Zudem sind die Energiepreise stark gesunken, sodass es dieses Jahr tatsächlich zu den eigentlich schon 2022 erwarteten Basiseffekten kommen dürfte, die ab dem Frühjahr zu einem deutlichen Rückgang der weltweiten Preissteigerungsraten führen.
Ab Frühjahr dürfte es zu einem deutlichen Rückgang der weltweiten Preissteigerungsraten kommen.
Hinzu kommen in einigen Ländern, wie bei uns in Deutschland, ab dem Frühjahr die Effekte der Strom- uns Gaspreisbremse. Alles in allem halten wir es deshalb aus heutiger Sicht für wahrscheinlich, dass die Inflationsraten in Deutschland, der Eurozone und in den USA bis Jahresende auf drei Prozent und mit Glück sogar noch etwas tiefer fallen werden. Da aber die Notenbanken nicht den Fehler machen wollen, die Inflation zu früh für besiegt zu erklären, wird es noch etwas dauern, bis sie grünes Licht geben werden.
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Donnerstag, der 24. Oktober 2024, 13:00 Uhr
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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